Der Begriff „Orchester“ wurde primär für den Platz vor der Bühne, sekundär für das Instrumentenensemble der Oper gebraucht, dann auch für die Instrumentalgruppen der Kirchenmusik, was letztlich auf ein Ensemble hinausläuft, das man heute „Symphonieorchester“ nennt. Dafür ist das Karlsfelder Sinfonieorchester ein sehr bemerkenswertes Beispiel. Bald nannte man auch die Ansammlung von Musikern in kleiner oder spezieller Besetzung „Orchester“, zum Beispiel Streichorchester, Blasorchester.
Die Idee, viele Akkordeons oder Zupfinstrumente wie Mandolinen, Mandolas und Gitarren chorisch besetzt, also gleichzeitig spielen zu lassen, führte zur Gründung von Akkordeon- und Zupforchestern. Das Vivaldi Orchester Karlsfeld ist eines der bedeutendsten Zupforchester in Bayern, vermutlich sogar in ganz Deutschland. Das ist Monika Fuchs-Warmhold zu verdanken, die dieses Orchester 1970 gründete und 54 Jahre lang leitete. Jetzt aber hat sie ihre äußerst verdienstvolle Leitung abgegeben, und Heiko Holzknecht durfte als neuer Chefdirigent sein Premierenkonzert dirigieren.
Dank an die Feuerwehr
Im Vorprogramm musizierte das Vivaldi Jugendorchester unter Nadezhda Pantina, die dieses erfreulich muntere Ensemble von 16 Kindern seit 2022 leitet. Zu einem Premierenkonzert dieser Art gehören auch Grußworte. Adam Haranghy und Anna Pobel begrüßten als Vorsitzende des Vivaldi Orchesters Karlsfeld in angenehmer Kürze eine lange Reihe von Ehrengästen. Besonders erfreulich war, dass sie auch an die Feuerwehr dachten und sich für deren engagierten Einsatz gegen das Hochwasser der jüngst vergangenen Tage bedankten. Das erhielt von allen Ehrungen den größten Beifall.
Jetzt aber der mit Spannung erwartete Auftritt des neuen Dirigenten: Heiko Holzknecht betritt, betont locker das Podium, strahlt und dirigiert sehr exakt die erste Nummer beziehungsweise Station des Programms, das „in 99 Minuten um die Welt“ führen will. Es ist „Eine Nacht in Buenos Aires“ von Andreas Lorson, in der das Zupforchester von Schlagzeug, Percussion und Pauken kräftig unterstützt wird. Das Bassfundament liefern ohnehin zwei souverän gespielte Kontrabässe (mehr gestrichen als gezupft). Andreas Lorson, geboren 1994, von dem später eine weitaus bessere Komposition „Kollaps“ gespielt wird, ist der jüngste Komponist in diesem Programm, in dem nur Komponisten aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erklingen.



Aber da ist doch auch Antonio Vivaldi, geboren 1678, mit einem Konzert für vier Mandolinen und Zupforchester! Nun, Vivaldi hat dieses Konzert für vier Violinen und Streichorchester geschrieben, Johann Sebastian Bach hat es für vier Cembali (die bekanntlich den Ton nicht durch Anschlagen, sondern durch Zupfen der Saiten erzeugen) und Streichorchester bearbeitet. Die neueste Bearbeitung für vier Mandolinen stammt von Shaul Bustan, geboren 1983, also auch im 20. Jahrhundert. Brigitte Rost, Ramona Wimmer, Katrin Nozicka und Benedict Wienecke spielen sehr überzeugend und lassen Vivaldis Konzert in neuen Klangfarben aufleuchten.
Die 99-Minuten-Reise dauert exakt drei Stunden
Nach diesem sehr schönen Konzert des Namensgebers geht die musikalische Kreuzfahrt in angeblich 99 Minuten um die Welt munter weiter, wobei Adam Haranghy (Gitarre) und Andreas Froschmayer (E-Gitarre) in einem Konzert für Gitarren und Zupforchester den Klang mit kräftigen Farben (auch mit Gesang) bereichern und Brigitte Rost in einem Stück mit dem Titel „Look into my soul“ außerordentlich virtuos hervortritt. Diese musikalische Kreuzfahrt führt schließlich sogar noch nach Australien und – mit einer Tanzsuite für Zupforchester von Takashi Kubota, geboren 1942 (also der älteste Komponist in diesem Karlsfelder Musica-viva-Zupfprogramm) als Höhepunkt – nach Japan. Für das Vivaldi Orchester Karlsfeld ist Heiko Holzknecht – das lässt sich schon nach diesem ersten Konzert sagen – ein Glücksfall.
Die ausgezeichnete Moderation dieses Abends im Karlsfelder Bürgerhaus betont zuletzt die Pünktlichkeit dieser 99-Minuten-Kreuzfahrt mit einem treffenden Vergleich mit der Pünktlichkeit der Deutschen Bundesbahn. Das Konzert dauerte nämlich (mit Vorprogramm, Reden, Pause, Moderation und Zugaben) nicht 99 Minuten, sondern auf die Minute genau drei Stunden.