Süddeutsche Zeitung

Homeschooling im Schnee:"Man fühlt sich schon im Stich gelassen"

Selina Seebauer bereitet sich gerade auf ihr Abitur vor. Weil es in ihrem Wohnort mit der Digitalisierung hakt, muss sie ihr Referat im Garten bei Schneegestöber halten. Eine Geschichte über erschwerte Bedingungen beim Unterricht zuhause.

Von Julia Putzger, Vierkirchen

Das Thermometer zeigt um die null Grad an, Flocken rieseln leise vom Himmel, die Schneedecke im Garten misst mittlerweile einige Zentimeter. Ideale Voraussetzungen also, um einen Schneemann zu bauen oder eine Schneeballschlacht zu veranstalten. Selina Seebauer allerdings hat anderes im Sinn, als sie sich an diesem Montag ihre Winterjacke, Wollhandschuhe, Schal und Mütze anzieht: Die Abiturientin schnappt sich ihr Tablet, Smartphone und Notizen, um im Schneegestöber ein Referat zu halten. Denn drinnen ist das Internet zu schlecht für die Übertragung, und ohne Referat könnte sie nicht benotet werden.

Noch vor einem Jahr hätte man wohl viel Fantasie gebraucht, um sich solch eine Situation auch nur auszudenken. Nun jedoch, da Homeoffice und Homeschooling an der Tagesordnung sind, ist Selina Seebauers Erlebnis zwar vielleicht eine Höhepunkt in Sachen Absurdität, doch zeigt er schlussendlich nur zwei grundlegende Probleme: Es fehlt - nicht nur im Dachauer Hinterland - an digitaler Infrastruktur und an entsprechendem Problembewusstsein dafür in der Politik. "Man fühlt sich schon im Stich gelassen", sagt die Abiturientin. Denn: Schon seit rund einem Jahr ist im Haus der Seebauers am Rande des Vierkirchener Ortsteils Rettenbach ein Glasfaseranschluss eingerichtet. Doch die entsprechenden Leitungen dafür gibt es im Ort nach wie vor nicht.

Referat im Schneegestöber

Selina Seebauer besucht die FOS für Gestaltung in München und möchte in diesem Jahr ihr Abitur ablegen. Doch statt täglich ihre Mitschüler im Klassenzimmer zu begrüßen, muss sie die Schulbank wie alle wegen des Lockdowns vorerst zuhause drücken. Das Problem dabei: Ihre jüngere Schwester und auch ihr Vater, der als Webdesigner arbeitet, benötigen Zugang zum Internet - doch das ist einfach zu viel für das bisschen Netz, das es im Vierkirchener Ortsteil Rettenbach gibt.

Normalerweise, erzählt Selina Seebauer von ihren Homeschooling-Erfahrungen, könne sie sich zumindest zu den digitalen Unterrichtseinheiten einloggen. Ihre Kamera einzuschalten sei zwar aufgrund der schlechten Verbindung nicht möglich, und auch die Tonübertragung von Rettenbach in den digitalen Klassenraum funktioniere selten. Aber immerhin kann sie den Unterricht mitverfolgen und bei Bedarf ihre Fragen im Chat formulieren. Nun aber musste sie ein Referat halten, da in dem Fach eine mündliche Leistung vorgesehen ist. "Niemand weiß, ob wir überhaupt noch mal in die Schule kommen", sagt die Abiturientin. Darum sei es auch keine Option gewesen, das Referat zu verschieben. Doch da weder der heimische Internetanschluss noch der Empfang am Smartphone im Haus ausreichen würde, um das Referat per Liveübertragung zu halten, wandte Seebauer sich an ihre Lehrerin, die zunächst auch keinen Ausweg wusste. "Es war eigentlich eher als Witz gedacht, als ich zu ihr sagte, dass ich ja raus aufs Feld gehen könnte, da es dort an einer Ecke guten Empfang gibt", erzählt die junge Vierkirchenerin. Doch die Lehrerin griff die Idee auf - schließlich tue frische Luft ja gut und man würde ja auch draußen spazieren gehen.

Die Schülerin äußerte zwar ihr Unbehagen, doch es blieb dabei: Sie hielt ihr Referat schließlich im Garten. Zwar hätte es noch die Option gegeben, für das Referat zu Bekannten zu fahren, aber: "Meine Großeltern wohnen bei uns im Haus und ich möchte sie schützen. Schon die ganze Zeit über habe ich nur eine einzige Kontaktperson." Auch eine in der Schule diskutierte Option, Lernplätze für diejenigen mit Verbindungsprobleme anzubieten, wäre deshalb für Seebauer keine Option, da sie dann täglich zwei Stunden für die Fahrt in der S-Bahn sitzen müsste.

"Es passiert einfach nichts und das kann ich nicht verstehen"

Insgesamt sei das Referat im Garten zwar ein amüsantes Gesprächsthema gewesen, doch der Ernst der Sache überwiegt: "Seit fast einem Jahr weiß jeder in der Politik und in den Firmen, dass alle durch das Homeoffice und Homeschooling auf gute Verbindungen angewiesen sind. Aber es passiert einfach nichts und das kann ich nicht verstehen", sagt Seebauer. Immerhin sei ihre schulische Bildung und somit auch ihr Abschluss und ihr Werdegang aktuell vom Internet abhängig - doch das ist bei ihr zuhause derzeit eben nur, wenn überhaupt, in schlechter Qualität verfügbar. Allein ist sie mit diesem Problem aber nicht, auch viele ihrer Mitschüler hätten ähnliche Schwierigkeiten.

Auch Selina Seebauers Vater ist verärgert und schickte darum der CSU Oberbayern und Kultusminister Micheal Piazolo von den Freien Wählern höchstpersönlich Nachrichten. Antworten hat er bisher aber keine erhalten - und das liegt nicht am schlechten Empfang.

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SZ vom 20.01.2021/van
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