Vieles ist längst verschwunden: auch das Krokodil Emil:"Alles fließt"

Vieles ist längst verschwunden: auch das Krokodil Emil: Freuen sich auf Besucher: Kurator Horst Pajung, Museumsleiterin Ilsa Oberbauer und ihre neue Sonderausstellung über Karlsfeld.

Freuen sich auf Besucher: Kurator Horst Pajung, Museumsleiterin Ilsa Oberbauer und ihre neue Sonderausstellung über Karlsfeld.

(Foto: Toni Heigl)

Wie Karlsfeld zu seinen Seen gekommen ist und vieles mehr: eine Ausstellung von Horst Pajung im Heimatmuseum

Von Gregor Schiegl, Karlsfeld

Neun Seen gibt es in der Gemeinde Karlsfeld, sieben Weiher und Biotope, 13 Bäche, sieben Gräben sowie zwei Kanäle. An Material mangelt es Kurator Horst Pajung also nicht für die neue Sonderausstellung mit dem Titel "Alles fließt", die am Sonntag zum ersten Mal im Heimatmuseum zu sehen ist. Wer nun denkt, Bäche und Flüsse, schön und gut, aber trotz des Wassers doch ein eher trockene Sujet, der irrt: Die heute so natürlich erscheinende Wasserwelt Karlsfelds ist Menschenwerk. Jedes Gewässer hier hat seine eigene Geschichte, und immer ist sie auch ein Stück Ortsgeschichte. Der Hobbyheimatkundler und Elektro-Ingenieur im Ruhestand Pajung hat sie alle zusammengetragen. Es sind Geschichten aus rund 400 Jahren, mal skurril wie beim Krokodil Emil, das bei einem Badeausflug im Karlsfelder See verschwand und für dessen Ergreifung der Gemeinderat 1967 einen Kasten Bier auslobte, mal grausig wie bei der Trockenlegung des Moores mit Hilfe französischer Kriegsgefangener aus dem Ersten Weltkrieg als billigen Arbeitskräften. Eines ist diese fundiert recherchierte Ausstellung aber nie: langweilig.

Man muss nur mal einen Blick auf die alte Karte aus dem Jahr 1863 werfen, um zu begreifen, was für einen Wandel diese Landschaft in nur 150 Jahren erlebt hat: Das Moos ist darauf noch fast menschenleer, es gibt noch keinen einzigen See, dafür sind die Wiesen voller Wasser, wild mäandernde Gräben durchziehen das Land. Ackerbau ist auf dem morastigen Boden kaum möglich. Mit Entwässerungsgräben und Begradigungen der Bäche ringen die Bauern dem Land urbaren Boden ab. Die historischen Kanäle wie der Schleißheimer Kanal gibt es da schon; sie wurden im 17. Jahrhundert gebaut für so feudale Späße wie die Wasserversorgung für Brunnenfontänen am Schleißheimer Schloss.

Die "Regulierung" der Würm fand erst Ende des 19. Jahrhunderts statt. Der Abfluss des Starnberger Sees wurde, vorangetrieben von der königlichen Regierung, in ein schnurgerades Bett gezwungen, um die verheerenden Überschwemmungen zu verhindern, die es bei strengen Wintern immer wieder gab, wenn sich Grundeis im Fluss bildete. Die Maßnahme fruchtete nur wenig. 1929 kam es an der Würm zur Eiskatastrophe: Edeltraut Klapproth, die in der Nähe des Bahnhofs wohnte, schrieb in ihren Erinnerungen, die "armen Rindviecher" hätten "bis zu den Eutern im Eiswasser" gestanden.

Dank der Würm gab es von 1901 an aber auch eine Badeanstalt mit dem klingenden Namen "Bad Karlsfeld". Bei manchen Zeitgenossen stand sie im Ruch, der Verlotterung der Sitten Vorschub zu leisten. In den Umkleiden konnte man durch Astlöcher gucken, manche Pärchen verschwanden wohl auch mal zusammen in einer Kabine.

1938 wurde das Bad geschlossen: Die Bahn brauchte Grund, um ihre Trasse zu verbreitern. Damals war das Badevergnügen sowieso bereits getrübt, wie Ilsa Oberbauer berichtet. "Zu dieser Zeit war die Würm sehr verdreckt und die Wasserqualität auch nicht mehr sehr gut."

Karlsfelds Badeseen entstanden alle erst in den Dreißiger- und Vierzigerjahren durch den Kiesabbau für Großprojekte im Münchner Norden wie etwa den Rangierbahnhof. Das Grundwasser füllte die Gruben, wobei selbst diese jungen Gewässer manches Geheimnis bergen: Das berühmtestes ist natürlich das entfleuchte Krokodil Emil, das in Karlsfeld jedes Schulkind kennt. Im Sommer '67 hatte es ein junger Dachauer Reptilienfreund an den See mitgenommen, wo es spurlos verschwand. Ein weiteres Rätsel ist, warum in der Abbaugrube, aus der der Waldschwaigsee entstand, eine Insel geblieben ist. Alteingesessene Karlsfelder erzählen, auf der Insel stehe ein Gedenkstein für Wilhelm Lindemann, der den Gutshof Waldschwaige gründete, deshalb sei dieser Teil nicht angerührt worden. Horst Pajung bezweifelt diese Erklärung: Auf der Insel habe er keinen Gedenkstein gefunden; vermutlich liegt er irgendwo im Waldschwaigsee.

Die Ausstellung zeigt noch wesentlich mehr, etwa die Brunnen im Gemeindegebiet, die leider nicht mehr alle in Betrieb sind. Und doch ist im Heimatmuseum nur ein Bruchteil dessen zu sehen, was Horst Pajung akribisch recherchiert hat. Für ortskundige Interessierte empfiehlt sich daher der Kauf des mehr als 60 Seiten starken Begleithefts zur Ausstellung inklusive Quellenangaben.

"Alles fließt - Geschichte der Gewässer in Karlsfeld": Sonderausstellung im Heimatmuseum bis 15. Oktober, Gartenstraße 6, Eröffnung am Sonntag, 21. Mai. Öffnungszeiten jeden ersten und dritten Sonntag im Monat, jeweils von 14 bis 17 Uhr.

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