Verständnis soll wachsen:Brückenbauer

Verständnis soll wachsen: Vizelandrat Helmut Zech (v.l.) mit Faleh Sarsam, Ramazan Kursunlu, Meliha Satir-Kainz, Eva Gruberová, Afaf Al-Tashi sowie dem Vorsitzenden des Dachauer Forums, Anton Jais, und Caritas-Vertreterin Christine Torghele-Rüf.

Vizelandrat Helmut Zech (v.l.) mit Faleh Sarsam, Ramazan Kursunlu, Meliha Satir-Kainz, Eva Gruberová, Afaf Al-Tashi sowie dem Vorsitzenden des Dachauer Forums, Anton Jais, und Caritas-Vertreterin Christine Torghele-Rüf.

(Foto: Toni Heigl)

Das Dachauer Forum hat neue Kulturdolmetscher ausgebildet. Sie helfen bei der Integration von Flüchtlingen

Von Julia Haas, Dachau

Afaf Al-Tashi darf sich nun offiziell Kulturdolmetscherin nennen. Die junge Mutter kommt aus dem Jemen und lebt nun schon seit drei Jahren mit ihrem Mann und den zwei Töchtern in Deutschland. Gemeinsam mit drei anderen Kursteilnehmern hat sie jetzt im Dachauer Forum ihr Zertifikat erhalten. Zur Feier des Tages haben ihre Töchter ihr sogar ein kleines Blumengesteck mitgebracht. In Zukunft will Al-Tashi anderen Migranten helfen, die deutsche Kultur, die deutschen Eigenheiten im Zusammenleben besser zu verstehen. Sie möchte Missverständnisse aufklären. Denn die können schnell passieren, das weiß Al-Tashi aus eigener Erfahrung nur zu gut.

Sie erzählt ein Beispiel von ihrer Nachbarin, die plötzlich vor ihrer Tür stand. Vorher habe man sich nur förmlich gegrüßt. Die Nachbarin habe vielleicht mal ein Paket abgeholt, das Al-Tashi für sie angenommen hatte, auf einen Tee wollte sie nie hereinkommen. Doch auf einmal stand die Nachbarin nun an der Tür, erzählte ihr, dass sie am Abend eine Geburtstagsparty feiere. Al-Tashi habe sich gefreut. "Ich dachte, ich werde eingeladen", sagt sie. Sie hätte gerne Kontakte geknüpft. Doch die Nachbarin wollte ihr nur Bescheid sagen, dass es wohl lauter werden wird. Einladen wollte sie Al-Tashi nicht. "Bei uns im Jemen würden wir den Nachbarn nie von einer Party erzählen und dann nicht einladen", sagt Al-Tashi. Ihr Mann erklärte ihr schließlich, dass das nicht beleidigend gemeint gewesen sei, so mache man das eben unter deutschen Nachbarn. Er lebt und arbeitet schon seit zwölf Jahren in Deutschland. "Mein Mann war damals mein Kulturdolmetscher", sagt sie.

Doch die wenigsten, die neu hierher kommen, haben ein Familienmitglied oder Freunde, die ihnen bei der Integration helfen. Aus diesem Grund hat das Dachauer Forum zusammen mit der Caritas Dachau den Qualifizierungskurs zum Kulturdolmetscher initiiert. Das Projekt leitet die Sozialpädagogin Meliha Satir-Kainz - nun schon zum fünften Mal. Sie hat selbst bikulturelle Wurzeln, wie sie es nennt, und gestaltet mit den Teilnehmern zwölf Kurseinheiten. Insgesamt dauert jeder Kurs ungefähr ein halbes Jahr.

In den Kursen geht es einmal um praktische Dinge: Afaf al-Tashi hat zum Beispiel zum Abschluss des Kurses einer anderen Familie mit Migrationshintergrund das deutsche Schulsystem erklärt. Andere klären nach ihrer Ausbildung über gesunde Ernährung auf oder die Gesundheitsversorgung in der neuen Heimat. Nicht weniger aber geht es auch um kulturelle Werte, das Rollenverständnis zwischen Mann und Frau und die Menschenrechte. Eva Gruberová, eine Kursteilnehmerin aus der Slowakei, hat in Deutschland studiert und lebt seit 20 Jahren hier. Sie hat sich mit senegalesischen Geflüchteten zusammengesetzt und mit ihnen über die Geschichte des Nationalsozialismus gesprochen. "Viele kommen mit bestimmten Bildern nach Deutschland", sagt Eva Gruberová. Die wenigsten wüssten jedoch, was damals wirklich geschah, auch im früheren Konzentrationslager in Dachau, und welche Folgen das bis heute im politischen und sozialen Leben hat. Eva Gruberová brachte die jungen Männer aus dem Senegal mit dem Holocaust-Überlebenden Abba Naor, Vizepräsident des Internationalen Dachau-Komitees, zusammen. Sie hörten erstmals von der Verfolgungsgeschichte der europäischen Juden.

Wer Kulturdolmetscher werden will, muss selbst einen Migrationshintergrund haben. Bei der Job- oder Wohnungssuche sei das ja eher ein Nachteil, sagt Kursleiterin Meliha Satir-Kainz, die sich der Ausbildung der Kulturdolmetscher mit viel Kenntnissen und Einfühlungsvermögen widmet. "Ein schöner Effekt dieses Kurses ist, dass die Teilnehmer ihre multikulturelle Herkunft zum ersten Mal als Stärke sehen lernen." Jedoch nicht nur deshalb, weil sie viele Sprachen sprechen. Afaf al-Tashi zum Beispiel spricht neben Deutsch und Französisch, die Sprache hatte sie bereits im Jemen studiert, natürlich auch Hocharabisch und den jemenitisch-arabischen Dialekt.

Die Kurse folgen dem Grundsatz: Wer selbst einen Integrationsprozess durchmachte, kann anderen mit seiner Erfahrung helfen. "Integration ist mehr, als am Sonntag den Tatort zu schauen", sagt Eva Gruberová. Wer gerade zu Beginn seiner Zeit in Deutschland viele negative Erfahrungen mache, tue sich schwer damit, heimisch werden, sagt Meliha Satir-Kainz. Integration ist keine Einbahnstraße: Viele Flüchtlinge machen jedoch Erfahrungen mit Alltagsrassismus.

Die Kulturdolmetscher wollen im praktischen Leben den Migranten beistehen - aber auch auf beiden Seiten Vorurteile abbauen und Brücken schaffen. Darum geht es Annerose Stanglmayr. Sie ist die Geschäftsführerin des Dachauer Forums, seit 40 Jahren die katholische Erwachsenenbildungseinrichtung im Landkreis Dachau. Gerade in der heutigen Zeit ist die Integration der Flüchtlinge und Migranten eine der wichtigsten Aufgaben der Gesellschaft, wie Annerose Stanglmayr sagt. Das sieht auch die Politik so: Vizelandrat Helmut Zech (CSU) gratulierte den Kulturdolmetschern.

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