Süddeutsche Zeitung

Versöhnungskirche:Seelsorger in der Hölle

Lesezeit: 2 min

Eine Historikerin beleuchtet das Leben der inhaftierten Pfarrer im Konzentrationslager

Die Historikerin Rebecca Scherf hat in ihrer Dissertation "Evangelische Kirche und Konzentrationslager 1933 bis 1945" einige aufschlussreiche Forschungsergebnisse zusammengetragen, die auch die Geschichte des KZ Dachau beleuchten. Auf der Grundlage von Tagebucheinträgen und Predigten konstruiert die Historikerin das protestantische Leben der inhaftierten Geistlichen im Dachauer Pfarrerblock. Das sei "eine wichtige Ergänzung zu den bereits vorliegenden Studien zu den katholischen Priestern", welche die große Mehrheit der Geistlichen im KZ Dachau stellten, schreibt die Versöhnungskirche an der KZ-Gedenkstätte Dachau in einer Pressemitteilung.

Die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Ludwig-Maximilians-Universität München nimmt in ihrer neuen Studie das Verhältnis der evangelischen Kirche zum nationalsozialistischen KZ-System kritisch in den Blick. Sie untersucht die kirchliche Seelsorgetätigkeit in den Konzentrationslagern, die in einigen Fällen von nationalsozialistischen Pfarrern als Beitrag zur "Umerziehung" der NS-Gegner verstanden und von der SS bis 1937 geduldet wurde. Andererseits sperrten die Nazis bereits im März 1933 den ersten evangelischen Pfarrer aus politischen Gründen ins Konzentrationslager, bis März 1945 waren es insgesamt 71 deutsche Geistliche. In einem Überblick dokumentiert die Scherf erstmals alle diese Geistlichen. Ein Großteil der Inhaftierungen erfolgte 1935 und 1941/42, zumeist in den Lagern Sachsenburg und Dachau. Die Doktorarbeit wurde 2018 mit dem Wilhelm Freiherr von Pechmann-Preis der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern ausgezeichnet. Scherf stellt ihr Buch am Donnerstag, 31. Januar, um 19.30 Uhr in der evangelische Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau vor (Zugang durch das Kloster Karmel, Alte Römerstraße 91).

Außerdem berichtet der Zeitzeuge Heinz H. Niemöller (95) darüber, wie er mit einer Ausnahmegenehmigung seinen im KZ Dachau inhaftierten Vater, den Pfarrer Martin Niemöller, besuchen konnte. Die ehemalige Bundesministerin Irmgard Schwaetzer, die nun Vorsitzende der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland ist, spricht ein Grußwort. Von 2014 bis 2018 engagierte sie sich als stellvertretende Vorsitzende des Vereins "Gegen Vergessen - für Demokratie".

Bei der Buchpräsentation wird sie zum Gedenktag für die NS-Opfer "grundsätzlich über Erinnern und Gedenken in Zeiten des Geschichtsrevisionismus sprechen und auch auf die Bedeutung der Evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte für die Evangelische Kirche in Deutschland eingehen", sagt Pfarrer Björn Mensing, der an diesem Abend die Moderation übernimmt. Zudem habe der Künstler Alfred Ullrich seine Teilnahme zugesagt, dessen Mutter aus einer Sinti-Familie stammte und von den Nazis ins KZ Ravenbrück verschleppt wurde. In seinem Atelier in Vierkirchen greift Ullrich immer wieder Verfolgung und Diskriminierung von Sinti und Roma auf.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4305823
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.01.2019 / thra
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.