Vernissage am Freitag:Die Linse als Pinsel

Der Landsberger Künstler Wolfgang Bauer fotografiert schmutzige Fenster, Pfützen und eilige Passanten und das auch noch unscharf. Heraus kommen dabei Kunstwerke, die Gemälden zum Verwechseln ähnlich sehen

Von Gregor Schiegl, Karlsfeld

Bei einem Besuch in Madrid saß Wolfgang Bauer in einem Sightseeing-Bus. Er fotografierte durch die regennasse Frontscheibe die Lichter vorbeiziehender Autos. Das Bild war unscharf und verwackelt, von den Gebäuden der königlichen Stadt war nicht viel zu erkennen. Die meisten hätten ohne nachzudenken auf die Löschtaste gedrückt, aber das Resultat war so eindrucksvoll, dass Bauer beschloss, nur noch solche Bilder zu machen. Bilder, die nicht aussehen wie Fotos, sondern wie gemalt. Mit einer Unschärfe, die der Imagination des Betrachters Raum geben, aber auch künstlerische Qualitäten haben, wie sie einem richtigen Gemälde zu eigen sind. Goldener Schnitt. Komposition von Form und Farbe. Ästhetische Prägnanz. Atmosphärische Tiefe, ja, Poesie.

Die Arbeiten des Landsberger Fotomalers sind einigen Kunstfreunden aus Dachau bereits vertraut. Vor nicht mal einem Jahr zeigt er im Wasserturm unter dem Titel "Fotografie als Dimension der Malerei" rund 50 Arbeiten. In der kleinen Karlsfelder Galerie Kunstwerkstatt sind es bedeutend weniger, was ihren Wert aber keineswegs mindert. "In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister", sagt Bauer lächelnd, und bis auf ein Motiv ist bislang auch noch keines der in Karlsfeld gezeigten Bilder in einer Ausstellung zu sehen gewesen.

Wer Bauers Bilder zum ersten Mal sieht, staunt über den Stilreichtum, den er mit seiner Kamera erzielt. Ein unscharf aufgenommener Sonnenuntergang begegnet dem Betrachter als aquarellhaft waberndes Farbspektakel; die erleuchtete Szenerie vor einem Theater verschwimmt in einem feurigen Farbnebel, die Menschen lösen sich auf zu abstrakten Figuren, Stimmung und Optik erinnern frappierend an ein William-Turner-Gemälde; in einer Nachtszene erscheinen die Reflexionen der bunten Lichter in den Pfützen wie mit expressivem Strich auf die Leinwand gepinselt. Auf die Leinwand als Untergrund legt Bauer großen Wert - auch um das Selbstverständnis seiner Arbeiten als Gemälde zu unterstreichen.

Natürlich bedarf es für das, was Wolfgang Bauer macht, weitaus mehr, als nur im richtigen Moment auf den Auslöser zu drücken. Man braucht ein gutes Auge fürs Motiv, technisches Verständnis und Erfahrung, denn die feinen Bewegung mit der Kamera, die Bauer vollführt - er spricht von einem "multimodalen Pinsel" - wollen auch erst mal gelernt sein. Eine digitale Bildverfremdung braucht es da gar nicht mehr; ohnehin wäre die Auflösung verschwimmender Objekte durch Pixel-Tools in dieser Perfektion so gar nicht zu erzielen. Künstlerische Nachbearbeitungen finden allenfalls analog statt: In der Serie "Märchenwald" kombiniert er die farbigen Fotos mit Wachsapplikationen und Seidenpapier, welches das Bild mit Silhouetten kahler Bäume rhythmisch strukturiert.

Wolfgang Bauer knüpft mit seiner hybriden Kunstform an eine uralte Tradition an, nämlich an die Schule der Piktorialisten. Als die Fotografie im 19. Jahrhundert die Welt eroberte, musste sich die Malerei neu erfinden. Der Realismus verdünnisierte sich, das Familienporträt erledigte nun der Fotograf, schnell und preisgünstig. Allerdings war der Siegeszug der Fotografie zunächst mit wenig Ruhm verbunden. Die Fotografie stand im Ruf nur simple Knipserei zu sein und eine Kunst allenfalls im technischen Sinne. Das wollten die Piktorialisten grundlegend ändern und der Fotografie als Kunstform zu ihrem Recht zu verhelfen. Sie experimentierten mit verringerter Konturschärfe und nebelartig zerstreuter Lichtführung. Die erhoffte Anerkennung blieb damals aus, der Piktorialismus erschien den Zeitgenossen doch zu sehr als Imitation und nicht als eigenständige Kreation. Als "Neopiktorialist", wie Bauer sich selbst bezeichnet, hat er heute einen besseren Stand als die Fotografen vor mehr als hundert Jahren: In einer Flut makelloser fotorealistischer Motive entwickelt diese "andere Fotografie" eine neuen, aufregenden ästhetischen Reiz. Eine suggestive Magie.

Doch es geht Bauer auch explizit um Inhalte. Zentrales Werk - auch im räumlichen Sinne - ist sein Triptychon mit dem Titel "Es reicht, ich kann nicht mehr!" Es ist ein Hilfeschrei der Erde, dem der Künstler seine Stimme gibt: Jede der drei Teile ist mit zwei Leinwänden bespannt. Die obere ist von Brandlöchern perforiert und gibt den Blick frei auf die noch intakte "Unterhaut" aus Leinwand, das Mittelstück ist in der Mitte brutal aufgerissen, die losen Fetzen sind in blutrote Farbe getränkt. "Die Erde blutet, und wir merken es gar nicht", sagt Wolfgang Bauer. Wer seine Ausstellung besucht, kann dies beim besten Willen nicht mehr übersehen.

Malen mit der Kamera: Ausstellung von Wolfgang Bauer in der Galerie Kunstwerkstatt Karlsfeld. Vernissage am Freitag, 8. März, um 19 Uhr. Öffnungszeiten der Galerie sind Samstag und Sonntag jeweils von 14 bis 18 Uhr. Die Ausstellung geht noch bis 17. März.

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