Unermüdlicher Zeitzeuge:Seine Freunde nannten ihn den Löwen

Unermüdlicher Zeitzeuge: Der Holocaust-Überlebende Bill Glied sprach auch in Dachau.

Der Holocaust-Überlebende Bill Glied sprach auch in Dachau.

(Foto: Toni Heigl)

Bill Glied überlebte Auschwitz und Dachau. Jetzt ist er in Toronto im Alter von 87 Jahren gestorben

Von Helmut Zeller, Dachau/Toronto

Max Eisen, ein Auschwitz-Überlebender, sagt über seinen guten Freund Bill Glied: "Er war stärker als ein Löwe und schneller als ein Adler." Er war auch ein Mann mit Manieren, höflich und aufmerksam, ein Zuhörer und guter Erzähler, witzig und charmant - und ein großer Leser. Als er 1947 aus dem kriegszerstörten Europa nach Kanada auswanderte, kam er für 18 Monate in ein Sanatorium, da ein Arzt bei dem 17-Jährigen Tuberkulose diagnostiziert hatte. In dieser Zeit las Bill Glied alles, was ihm unter die Finger kam, um Englisch zu lernen. Die Angewohnheit behielt er sein ganzes Leben bei; so eignete sich Bill Glied ein Universalwissen in Geschichte, Politik, Judaismus und sogar Mathematik an.

Wer ihm in seiner Heimatstadt Toronto begegnete, fühlte sich sofort aufgenommen in der Atmosphäre von Gemeinschaft und Herzlichkeit, die er über den Fremden ausbreitete. Fremdsein, Ausgestoßensein hatte er selbst schmerzlich erfahren - als jüdisches Kind in der serbischen Stadt Subotica, annektiert von Ungarn, nachdem deutsche Truppen im April 1941 einmarschiert waren.

Bill Glied war 13 Jahre alt, als er mit seiner Familie nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurde. Seine Mutter, die Tanten, die achtjährige Schwester Aniko - alle seiner Familie wurden bis auf den Vater sofort nach der Ankunft in den Gaskammern ermordet. Sein Überleben verdankt er dem Vater, der an der Rampe seine Hand wegstieß. Denn wer an der Hand der Eltern ging, war ein Kind und wurde vergast. So wurden er und sein Vater zunächst zur Zwangsarbeit selektiert und nach Kaufering IV, einem Außenlager von Dachau, verschleppt. Am 21. April 1945 starb sein Vater im Lager an Typhus - nur ein paar Tage vor der Befreiung durch amerikanische Soldaten.

In den vergangenen 20 Jahren wurde Bill Glied zu einem bekannten und unermüdlichen Zeitzeugen, der in Schulen, auf Konferenzen, in Kirchen und Synagogen in ganz Kanada über den Holocaust und den Nationalsozialismus erzählte und aufklärte. Mit anderen Überlebenden führte er jährlich den Marsch der Lebenden an, der zum Gedenken an die ermordeten Juden von Auschwitz nach Birkenau führt. Auch in Dachau ist Bill Glied bekannt - und nahm auch mal einige aus seiner großen Familie mit - seine Frau, die drei Töchter, acht Enkelkinder. Im Jahr 2013 hielt er eine beeindruckende Rede zum Holocaust-Gedenktag im Rathaus in der Altstadt.

Bill Glied kam auch 2015 zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau am 29. April 1945 nach Dachau. Er nahm an der Eröffnung der Ausstellung "Das Internationale Mahnmal von Nandor Glid. Idee, Wettbewerbe, Realisierung" teil. Nicht von ungefähr. Der Jugoslawe Nandor Glid war ein Cousin Bill Glieds. Der Bildhauer starb 1997. Die Ausstellung informierte über die Entstehungsgeschichte und die Gestaltung des Internationalen Mahnmals, das im Jahr 1968 auf Initiative des Comité International de Dachau, der länderübergreifenden Vereinigung der Überlebenden des KZ Dachau, am ehemaligen Appellplatz errichtet wurde. Das Mahnmal ist heute einer der zentralen Gedenkorte in der KZ-Gedenkstätte Dachau.

Im Detmolder Auschwitz-Prozess trat Bill Glied im Jahr 2016 noch als einer der Nebenkläger gegen den Angeklagten Reinhold Hanning, SS-Mann in Auschwitz-Birkenau, auf. Glieds Familie gehörte zu den Juden, mehr als 430 000, die im Sommer 1944 nach Auschwitz deportiert worden waren. Auch zur Urteilsverkündung reiste der damals 86-Jährige nochmals nach Detmold. Im Jahr davor war er als Zeuge in der Verhandlung gegen den SS-Mann Oskar Gröning aufgetreten.

"Ich kam her, weil ich zwar nicht hasse, aber auch nicht vergessen kann. Meine Hoffnung ist, dass die Verurteilung dieses SS-Offiziers helfen wird, die verbleibenden Holocaust-Skeptiker zum Schweigen zu bringen. Und dass die Welt erfährt, dass die Menschheit mitfühlt."

Jetzt ist Bill Glied im Alter von 87 Jahren in Toronto gestorben.

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