Süddeutsche Zeitung

Unbekannter Lebensretter:In tiefer Verbundenheit

Lesezeit: 3 min

Tobias Stich aus Radenzhofen kennt den Mann aus Großbritannien zwar noch nicht, aber er hat das Leben des 49-Jährigen durch eine Stammzellenspende gerettet. Jetzt will der 19-jährige Sparkassenangestellte ihn unbedingt treffen

Von Daniela Gorgs, Dachau

Tobias Stich war 17. Alt genug, um an einer Typisierungsaktion teilzunehmen. Seine Berufsschule in Dachau hatte im Frühling 2015 dazu aufgerufen. Der Schüler gab seine persönlichen Daten an, ein Wangenabstrich folgte. Nach 15 Minuten war die Aktion der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS) beendet. Und vergessen. Bis seine Mutter ihm ein paar Wochen später eine Whatsapp-Nachricht schickte. "Da ist ein Packerl gekommen. Und ein Brief."

Die DKMS teilte Tobias Stich mit, dass er in der engeren Auswahl sei. Seine Gewebemerkmale würden zu denen eines Blutkrebspatienten passen und müssten jetzt genauer analysiert werden. In dem "Packerl" fand der Schüler Kanülen für eine Blutprobe beim Hausarzt. Und der war genauso aufgeregt wie der Schüler. Mit einer Stammzellenspende hatte er bislang noch nicht zu tun gehabt. Im Oktober verschickte der Hausarzt die gefüllten Röhrchen. Am 23. Dezember rief die DKMS bei Tobias Stich an, um ihm mitzuteilen, dass es als Lebensspender für einen Patienten in Frage komme. Tobias Stich lächelt, als er das knapp eineinhalb Jahre später erzählt. Der 19-Jährige hat seine Ausbildung als Bankkaufmann beendet, sitzt in seinem eigenen Büro in der Sparkasse Indersdorf und erinnert sich, was ihm damals durch den Kopf ging. "Wahnsinn. Einen Tag vor Weihnachten. Das war schön." Er hat sich riesig gefreut. "Ich - ein echter Lebensretter."

Ein echter Naturbursche

Tobias Stich, ein echter Naturbursche, wohnt in Radenzhofen im Gemeindegebiet Altomünster. 17 Einwohner zählt der Weiler. Man kennt sich, man hilft sich. Er schwärmt vom großen Zusammenhalt in seiner Heimat. Für ihn war es selbstverständlich, bei der Stammzellenspendenaktion mitzumachen. Einen Organspendeausweis besitzt er schon seit Realschulzeiten. Der 19-Jährige sagt: "Ich bin gesund. Es ist schon etwas besonderes, so etwas leisten zu können." Zunächst hatte er es nicht für möglich gehalten, dass es jemanden mit völlig identischen Gewebemerkmalen gibt. Dieser Jemand ist ein 49-jähriger Mann aus Großbritannien.

Die Wahrscheinlichkeit, einen passenden Spender zu finden, ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Sie liegt bei 1 zu 20 000, in schwierigen Fällen sogar bei eins zu mehreren Millionen. Für jeden siebten Patienten in Deutschland findet sich nach Informationen der DKMS kein sogenannter genetischer Zwilling. Für eine erfolgreiche Transplantation müssen die Gewebemerkmale des Spenders zu hundert Prozent mit denen des Erkrankten übereinstimmen.

Mulmiges Gefühl

Im Februar fuhr Tobias Stich zur Voruntersuchung ins Entnahmezentrum im Klinikum Köln, begleitet von seinen Eltern. Zur eigentlichen Stammzellenspende fuhr dann seine Freundin mit. Am Abend vorher im Hotel war ihm ein wenig mulmig. Die Vorstellung, vier Stunden lang mit einer Nadel in der Armbeuge ruhig auf einem Stuhl zu sitzen, schüchterte ihn ein. Doch das war dann alles halb so schlimm, erzählt er lächelnd. Es gab einen Fernseher und Kalziumtabletten. Und, er war dankbar, dass seine Stammzellen ambulant entnommen wurden. In 80 Prozent der Fälle wendet die DKMS die "periphere Stammzellenentnahme" an, bei der dem Spender über mehrere Tage ein hormonähnlicher Stoff verabreicht wird. Zwei Wochen vorher musste sich Tobias Stich ein Medikament spritzen, um vermehrt Stammzellen ins Blut zu schwemmen.

"Er ist aus dem Krankenhaus entlassen. Es geht ihm gut"

Rückblickend sagt Tobias Stich, war diese Vorbereitung auf die eigentliche Spende das Unangenehmste. Die DKMS hatte ihm Medikamentenspritzen geschickt. Seine kleinen Schwestern hätten das damals gerne übernommen, sagt er. Doch der große Bruder pikste sich lieber selbst in den Bauch. Und er ertrug es auch tapfer, zwei Monate nach der erfolgreichen Stammzellenentnahme noch einmal nachzuspenden. Darum hatte ihn die DKMS gebeten. Der zweite Besuch in der Kölner Klinik verlief viel entspannter. "Ich wusste ja, was passiert." Im Dezember vergangenen Jahres erhielt er eine Nachricht über den Gesundheitszustand "seines Patienten". "Er ist aus dem Krankenhaus entlassen. Es geht ihm gut." Und jetzt kann Tobias Stich es kaum erwarten, den Briten kennenzulernen. Die DKMS setzt eine Kontaktsperre von zwei Jahren, um Spender und Patient nicht emotional zu belasten. Diese Frist ist bald abgelaufen. Tobias Stich fährt, wenn er darf, sofort nach Großbritannien, um seinen Stammzellenbruder kennenzulernen. "Englisch hab' ich in der Schule gelernt. Das bekomme ich hin." Unbedingt möchte er den Mann kennenlernen, der jetzt einen Teil seiner Identität hat. "Ich fühle mich mit ihm verbunden."

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Quelle:
SZ vom 25.03.2017
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