„Kunstland 2“:Zwischen Saubirnen und Fetzenfratzen

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Gruppenbild mit "Großem Wank". Von links: Tobias Freude, Ulrich Hochmann, Anna Dietze und Alfred Ullrich.
Gruppenbild mit "Großem Wank". Von links: Tobias Freude, Ulrich Hochmann, Anna Dietze und Alfred Ullrich. (Foto: Toni Heigl)

Zum zweiten Mal lädt der Sulzemooser Bildhauer Ulrich Hochmann mit weiteren Künstlern zu einer Freiluftausstellung in seinen Garten ein. Das sorgt nicht nur für eine idyllische Kulisse, sondern ermöglicht auch ganz neue Bezüge zwischen Kunst und Natur.

Von Gregor Schiegl, Sulzemoos

Der Stein hat’s in sich. Unterm Apfelbaum steht er, in den Ausmaßen einer alten Seemannskiste, ein Quader mit zwei eingelassen Stahlgriffen. Als Ulrich Hochmann daran zieht, öffnet sich der Brocken wie ein monumentaler Klappkoffer. Nun sieht man, dass der Block aus mehreren Segmenten besteht, das mittlere offenbart die Form eines Kreuzes. „Das hat was Sakrales“, sagt der Bildhauer ergriffen, während er alte Blätter aus dem Inneren klaubt. „Fast wie ein Altar.“

Steine sind ein schwerer, massiver Werkstoff, aber unter Hochmanns kräftigen Händen verwandelt er sich in etwas Offenes, Leichtes, ja, Bewegliches. Sie werden zu elastischen, von Stahlseilen gehaltenen Wirbelsäulen, zu Hinkelsteinen, die sich wie Stehaufmännchen von alleine wieder aufrichten. Bei der Jubiläumsausstellung der Künstlervereinigung Dachau (KVD) ließ Hochmann sogar einen ausgehöhlten Stein im Gröbenbach schwimmen.

Viele Arbeiten lagert er das ganze Jahr über draußen in seinem weitläufigen Garten, wo sie Wind und Wetter ausgesetzt sind. Jetzt sind es etwas mehr Objekte als sonst, auch der „Große Wank“ ist da, ein gut zwei Meter hohes Trum aus Eschenholz, dazu „Der fiese Quader“, ein Granitbrocken von 40 bis 50 Kilo Gewicht. Er ist rundum mit Eisenstäben gespickt und lässt sich deshalb nur schwer transportieren. Hochmann musste dafür ein eigenes Tragegestell konstruieren.

Wenn man schon Rasenmähen muss

Man findet auch andere Kunstwerke, Gemälde, Druckobjekte – und je länger man schaut, desto mehr von ihnen entdeckt man überall. Im Gras, von Ästen baumelnd, halb vergraben im Erdreich, die „Rauchbilder“ von Alfred Ullrich kleben wie Schwalbennester unterm Dach der alten Hofstelle. Und dann stößt man auch noch auf die Holzwinzlinge von Christiane Osann. Sie haben sich zu einer Massenkundgebung auf einem bierfilzgroßen Stück Dachpappe versammelt.

Ein ganzes Dutzend von Künstlerinnen und Künstlern ist an dieser ungewöhnlichen Freiluftausstellung beteiligt, „Kunstland 2“ heißt das Projekt, es gab nämlich schon mal eines, 2021 war das. Corona versetzte den Galerie- und Kunstbetrieb damals landesweit in ein staatlich verordnete Koma, und Ullrich Hochmann dachte sich: „Wenn ich schon Rasen mähe, muss man auch was hier machen.“ So entstand „Kunstland“.

Die Ausstellungssituation zwischen mehligen Saubirnen, Tulpenbaum und schwer tragenden Schwarzen Johannisbeersträuchern ist allerdings speziell. Anders als in einer Galerie muss man die Kunstwerke auf dem verwinkelten Grundstück erst einmal finden und dann auch noch als solche identifizieren. Die Malerin Ester Balász experimentiert in ihrer Serie „Zwischen“ mit Licht und Farbe, aber an einer verwitterten Holzwand erwartet man eher das Gemälde eines röhrenden Hirschen als abstrakte Farbfeldmalerei. Das kann immer wieder zu peinlichen Situationen führen: „Ach so, das gehört auch zur Ausstellung? Aber der Schubkarren da hinten, der nicht – oder?“

Eines der Werke, die man kaum übersehen kann: die Arbeit von Johannes Karl.
Eines der Werke, die man kaum übersehen kann: die Arbeit von Johannes Karl. (Foto: Toni Heigl)
Eine Steinpaste verwandelt Tobias Freudes Assistent in eine lebende Skulptur.
Eine Steinpaste verwandelt Tobias Freudes Assistent in eine lebende Skulptur. (Foto: Toni Heigl)

Die Neutralität der leeren weißen Wände gibt es hier nicht, dieser Ort schafft Bezüge, wo vorher keine waren. Das kann aber auch sehr interessant sein und neue Sichtweisen öffnen. Anja Niedring ist eine Schülerin von Rudi Tröger, einen Großteil ihrer Zeit verbringt sie im englischen Seebad Brighton, wo sie maritime Szenen auf Sperrholzbretter malt. Zu finden sind ihre Bilder in einer Nische unter einem Vordach, wo Hochmanns Badewanne steht. Das Wasser kann man im Ofen mit Holz anheizen. Am schönsten sei es hier zu baden, wenn es kühl sei, sagt Hochmann, sozusagen bei „Brighton-Graden“.

Im Kunstland ist Hochmann nicht der einzige Steinbildhauer, da ist auch noch Tobias Freude. Er hat Kunstgeschichte geschrieben und das wortwörtlich. Seine Buchstabenbausteine aus Untersberger Marmor reihen sich im Rasen zu ebendiesem Schriftzug: „Kunstgeschichte geschrieben“. Eine steinerne Ananas findet man bis zum Bauch in einem Erdhaufen versenkt, die Erklärtafel daneben steht im mulchenden Kompost. Und ja, das gehört schon so.

Christiane Osann hat eine befreundete Bildhauerin aus Holz gemeißelt. Die Augen der Skulptur, so hört man, lassen sich bewegen.
Christiane Osann hat eine befreundete Bildhauerin aus Holz gemeißelt. Die Augen der Skulptur, so hört man, lassen sich bewegen. (Foto: Toni Heigl)
Wehrhaftes Kunstwerk: "Der fiese Quader" von Ulrich Hochmann.
Wehrhaftes Kunstwerk: "Der fiese Quader" von Ulrich Hochmann. (Foto: Toni Heigl)
Anna Dietze bringt mit ihren "Fetzenfratzen" viel Farbe in den sommerlichen Bauerngarten.
Anna Dietze bringt mit ihren "Fetzenfratzen" viel Farbe in den sommerlichen Bauerngarten. (Foto: Toni Heigl)

Wechsel rüber auf die Sonnenseite des Gartens: Hier wehen an einer Wäscheleine die fröhlichen „Fetzenfratzen“ von Anna Dietze. Es sind Gesichter, die sie halbseitig als sogenanntes Drip Painting aufgetragen hat, danach wurde einfach die zweite Hälfte darüber gefaltet. Jetzt gucken rotbackige Glubschaugenwesen aus der im Wind wallendenden Wäsche.„Ich arbeite ja gerne konzeptionell“, sagt die Dachauer Künstlerin. Als Trägermaterial habe sie die Tücher ihrer Großmutter hergenommen, weil es zu dem urigen Ort passe; der Stoff hat noch die wilden Muster aus den Sechzigerjahren, alles ziemlich retro. Außerdem habe sie nach einem „Farbkaufrausch“ ihren riesigen Bestand an Acrylfarben endlich mal dezimieren müssen. Kunst ist da immer eine gute Lösung.

Zu finden ist auch eine sehr großformatige Arbeit von Johannes Karl, dem Vorsitzenden der Künstlervereinigung Dachau. Er hat das Hoftor bis zur Dachrinne mit einer Computerzeichnung tapeziert, die seinen Sohn im Hoodie zeigt. Die Witterung wird das Motiv nach und nach zerstören. Die Vergänglichkeit ist ein Prozess, der hier – Tag für Tag, Woche für Woche – stärker sichtbar sein wird. Und eines Tages wird es dann vielleicht „Kunstland 3“ geben. Versprechen will Ulrich Hochmann das jetzt aber lieber noch nicht. „Es ist doch jedes Mal eine ganze Menge Arbeit.“

„Kunstland 2“ in der Hauptstraße 14 in Sulzemoos. Öffnungszeiten Samstag, 20. Juli, und Sonntag, 21. Juli, sowie 27. und 28. Juli, jeweils von 10 bis 18 Uhr.

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