Süddeutsche Zeitung

Trial-Radfahrer:Balanceakt

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Andreas Strasser aus Dachau ist auf dem Weg zu einem der besten Trial-Athleten der Welt. Mit seinem Spezialrad turnt er scheinbar mühelos über meterhohe Hürden. Die größten Erfolgs-Hindernisse liegen für ihn ohnehin außerhalb der abgesteckten Parcours

Von Andreas Förster, Dachau

Es kann einem Kind offenbar nützen, etwas nicht zu dürfen: Von klein auf wollte der Pellheimer Andreas Strasser seinem Vater nacheifern, der eine Leidenschaft für Motorcycle-Trial hat. So oft es geht, pflügt er mit seinem Motorrad durchs Gelände. Der Junior darf das natürlich noch nicht und probiert es deshalb erst einmal mit dem Fahrrad - schnell findet Strasser Gefallen daran und bleibt dabei.

Mittlerweile ist Andreas Strasser 22 Jahre alt und Bayerns bester Trial-Fahrradfahrer. Auch national und international fährt er ganz vorne mit. Bei der UCI Urban Cycling World Championship in Chengdu in China belegte er im November einen exzellenten zwölften Platz und war damit bester Deutscher in der 26-Zoll-Klasse. Vor ihm lagen überwiegend Fahrer aus Frankreich und Spanien. Dort genießt der Bike-Trial-Sport große Popularität. "Es gibt dort spezielle Trial-Parks, trockenere Bedingungen und es ist wärmer. Viele Fahrer haben sogar eigene Trial-Hallen, um auch im Winter auf dem Fahrrad trainieren zu können", erzählt Strasser. Er liebt seinen Sport und wünscht sich nichts sehnlicher, als dass er auch in Bayern die Aufmerksamkeit bekommt, die er andernorts schon hat. "In Baden-Württemberg gibt es traditionell mehr Vereine und dadurch auch mehr Trial-Fahrer als hier bei uns." Das schlägt sich im sportlichen Ergebnis nieder: Die 18-Jährige Nina Reichenbach aus Ölbronn bei Pforzheim verteidigte in Chengdu ihren Weltmeistertitel, der 20-jährige Dominik Oswald aus Freiburg errang die Vizeweltmeisterschaft in der 20-Zoll-Klasse.

Spektakuläre Sprünge über unüberwindbar aussehende Felsbrocken

Um mehr Zuschauer anzulocken, wurde die World Championship erstmals zusammen mit den Fun- und Actionsportarten BMX-Freestyle und Mountain Bike Eliminator ausgetragen. "In China steckt der Fahrradsport definitiv noch in den Kinderschuhen", sagt Strasser, "aber das Interesse der Menschen am Trial-Sport wurde immerhin geweckt." Spektakuläre Sprünge über unüberwindbar aussehende Felsbrocken, Holzstapel und Betonröhren oder atemberaubende Balancierakte auf dem Hinterrad über schmale, auf- oder abwärts führende Stämme versetzen die Zuschauer in ungläubiges Staunen. Es wirkt ein bisschen wie Zirkus unter freiem Himmel. Einen kleinen Eindruck von der Akrobatik auf zwei Rädern vermitteln Videos von dem Wettbewerb in Chengdu auf Youtube.

Neben der Körperbeherrschung sind beim Bike Trial Kraft und Ausdauer gefragt: Jeder Fahrer muss fünf unterschiedliche Strecken dreimal hintereinander bewältigen und hat jeweils zwei Minuten dafür Zeit. Wer keine Fehler macht, bekommt pro Sektion sechzig Punkte. Wer absteigt, mit den Pedalen hängen bleibt oder stürzt bekommt Punkte abgezogen. "Am Ende der letzten Sektion war ich so platt, dass ich nur noch mit letzter Kraft bremsen konnte", erinnert sich Strasser. Die Bremse ist das wichtigste Utensil bei einem Trial Bike, man bedient sie andauernd und nur mit einem Finger. Die Spezialräder haben keine Sättel: Trial ist keine Disziplin zum Hinsetzen. Mit Karbongabel und Alu-Rahmen kostet so ein spezielles Sportrad etwa 2000 Euro.

Aus dem Stand springt Strasser mit dem Rad über sechs Leute - und den Landrat schafft er auch

Im Sommer schließt Strasser seine Ausbildung zum Konstruktionsmechaniker ab. Danach will er studieren. Den Leistungssport kann er eigentlich nicht finanzieren. So wohnt er noch zuhause, die Eltern und auch der Radfahrer-Verein Soli Dachau unterstützen ihn. Neben der Ausbildung nimmt Strasser gelegentlich Termine für bezahlte Show-Vorführungen wahr. Zuletzt bei der Regionalmesse Diva im Oktober. Aus dem Stand sprang er da unter anderem mit seinem Spezial-Bike über sechs Jugendliche, einmal legte sich sogar Landrat Stefan Löwl dazu. Auch diese Hürde nahm Strasser elegant.

Bei der nächsten WM möchte Strasser unter die Top Ten kommen. Ein realistisches Ziel - sofern die Gesundheit mitspielt. Das war vergangenes Jahr nicht durchweg der Fall. Trainingsrückstand und fehlende Wettkampfpraxis machte Strasser durch seine Leidenschaft für den Sport wett. Dank der Unterstützung seines Athletiktrainers Günther Ferg vom KSC Attila konnte er kräftemäßig in den vergangenen Monaten wieder zulegen und das Jahr doch noch erfolgreich beenden.

Sowieso begegnet Strasser allen Hindernissen mit Humor und sportlichem Ehrgeiz. Im Sommer fährt er sofort nach der Arbeit und an jedem Wochenende zu seinem Trainingsplatz in Gröbenried, den er zusammen mit seinem Vater zum Trial-Gelände umfunktioniert hat. Viel Zeit für andere Freizeitbeschäftigungen bleibt nicht. Manchmal radelt er mit Kumpels in München zum Spaß durch die Stadt. "Street Trial" nennen sie das, es sei im Grunde wie Fahrrad Trial, nur etwas dynamischer und flüssiger als das reine Wettkampf-Trial, erklärt Strasser. Man cruist dabei nach Lust und Laune durch die City und zeigt auf Straßen, Gehwegen, Treppen, Brücken, Mülltonnenhäuschen und allem, was sich so entgegen stellt, möglichst spektakuläre Tricks und Stunts. Der Schotte Danny Mac Askill und der Österreicher Fabio Wibmer sind die Stars dieser Szene. "Der Trend unter den Jugendlichen geht in diese Richtung Street-Trial, weil es freier und kreativer und mit weniger Training und Leistungsdruck verbunden ist als im Wettkampf-Trial", sagt Strasser.

Doch ihm ist das egal, er bleibt seinem Sport treu. Auch als Einzelkämpfer ist er ein Überflieger, den vierten Platz bei der Deutschen Meisterschaft 2017 nimmt er als Ansporn, dieses Jahr aufs Treppchen zu springen. Und wer ihn kennt, der weiß: Er kann es schaffen.

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Quelle:
SZ vom 08.01.2018
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