Tödlicher Arbeitsunfall:Hilflos im Gerichtssaal

Die Witwe des Unfallopfers wünschte sich ein Signal der Anteilnahme vom Angeklagten. Der gewährte ihr ein knappes Wort des Bedauerns. Richterin Svenja Lux verurteilte ihn wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe.

Von Benjamin Emonts

ACHTUNG Firma heißt Pöttinger

Beton auf der Baustelle (Symbolbild)

Der tödliche Unfall ist fast zwei Jahre her: Der Mann von Anna W. (Name geändert) starb auf einer Baustelle in Karlsfeld. Die Witwe kann den Schicksalsschlag bis heute nicht verkraften. "Sie ist immer noch in Behandlung", sagt ihr Anwalt. Seit dem Unfall wartet sie wenigstens auf ein Wort des Bedauerns oder des Miteids durch den Mann, der sich jetzt vor dem Amtsgericht Dachau wegen fahrlässiger Tötung verantworten muss.

Am 20. Juni 2012 fährt der Lastwagenfahrer am späten Nachmittag mit einem Betonmischer zu der Baustelle in Karlsfeld. Gemeinsam mit einigen Bauarbeitern soll mit Hilfe des Mischers Beton in eine Baugrube geschüttet werden, um die Bodenplatten zu füllen. Da der Schwenkarm nicht in die hintersten Ecken der Grube reicht, versetzt der heute 56-jährige Angeklagte den Betonmischer. Anschließend betätigt er den Knopf, der den Beton in den Schlauch pumpt. Es kommt zu einem "Stopfer", wie die Bauarbeiter die Verstopfung des Schlauches nennen. Der Druck wird zu groß. Ein lauter Knall. Der Befüllschlauch schlägt unkontrolliert umher. Der Mann von Anna W. wird am Kopf getroffen, er sinkt zu Boden. Einer seiner Kollegen schildert die Situation völlig aufgebracht und mit Tränen in den Augen vor dem Amtsgericht: "Er lag da und es floss Blut aus seinem Mund." Wenig später ist der damals 48-jährige Familienvater tot. Im Dachauer Klinikum stellt man die Todesursache fest: schweres, dumpfes Schädel-Hirn-Trauma. Durch den Schlag kam es im Gehirn des Mannes zu tödlichen Blutungen und Quetschungen.

Für die Staatsanwaltschaft, Amtsrichterin Svenja Lux und einen Gutachter des Gewerbeamts vom Freistaat Bayern steht fest, dass der Lastwagenfahrer, der den Betonmischer bediente, sich der fahrlässigen Tötung schuldig machte. Denn die gängigen Sicherheitsvorkehrungen besagen, er hätte darauf achten müssen, dass sich während des Anpumpens des Betons niemand in der Nähe des Schlauchs aufhält. Der Mann von Anna W. sowie zwei weitere Bauarbeiter standen aber unmittelbar daneben. Außerdem verwendete der Angeklagte unerlaubterweise einen Schlauch, an dessen Ende ein Metallgewinde angebracht war. "Bei Beachtung der Sicherheitsvorschriften wäre die Schwere der Verletzung geringer gewesen", erläutert der Gutachter.

Der 56-jährige Angeklagte, der im Landkreis Dachau lebt, legtt am Dienstagmorgen nach einem Rechtsgespräch ein vollumfängliches Geständnis ab, er wird später von der Vorsitzenden Lux zu einer Zahlung von 120 Tagessätzen zu 50 Euro verurteilt. Ein zweiter Angeklagter, ein Bauarbeiter aus Sachsen, geht einen Handel ein: Er zahlt 800 Euro an die Frau des Verstorbenen und den gleichen Betrag an eine öffentliche Einrichtung. Wessen der Mann sich aber schuldig gemacht hat, bleibt vor Gericht unklar. Sein Anwalt jedenfalls sagt: "Die Zahlung ist keinesfalls ein Schuldeingeständnis, sondern hat verfahrensökonomische Hintergründe." Dann verließen der Anwalt und sein Klient vorzeitig die Verhandlung.

Der Hauptangeklagte sagt indes aus. "Es tut mir unheimlich leid", schickt er vorweg. Es habe wie aus Kübeln geschüttet, "alle wollten schnell fertig werden". Zudem habe er die Arbeit erst seit drei Monaten ausgeführt, über Sicherheitsvorkehrungen sei er nie richtig geschult worden. "Ein Schlauch mit Metall war übliche Praxis."

Anna W., die als Nebenklägerin auftritt, beginnt während der Verhandlung immer wieder zu weinen, mit einem Taschentuch wischt sie sich die Tränen aus dem Gesicht. Dann, kurz bevor der Angeklagte sein letztes Wort spricht, steht sie auf und spricht ihn direkt an: "Ich habe zwei Jahre gewartet, wenigstens auf eine Beileidskarte." Im Gerichtssaal herrscht völlige Stille.

Doch der Angeklagte, der es während der Verhandlung vermied, Gefühle zu zeigen, schaut Anna W. nur für den Bruchteil einer Sekunde ins Gesicht. Dann schweift sein Blick wieder ins Leere und er sagt: "Ich bedauere sehr, was da passiert ist." Als der 56-Jährige den Gerichtssaal verlässt, geht er mit einem Meter Abstand an der Frau vorüber - ohne Blick, ohne Händedruck und ohne weitere Worte.

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