Tödliche Schüsse am Amtsgericht Dachau:Staatsanwalt fordert Haftbefehl wegen Mordes

Am Tag nach den tödlichen Schüssen auf einen Staatsanwalt im Amtsgericht Dachau äußert sich der Schütze nicht zu der Tat. Die Staatsanwaltschaft fordert Haftbefehl wegen Mordes.

Walter Gierlich, Matthias Pöls, Susi Wimmer und Helmut Zeller

Einen Einen Tag nach den tödlichen Schüssen auf einen jungen Staatsanwalt im Amtsgericht Dachau liegen die Motive des 54 Jahre alten Schützen weiter im Dunkeln. "Er hat sich nicht geäußert", sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft München II am Donnerstagmorgen der Nachrichtenagentur dapd. Der Mann werde voraussichtlich am Nachmittag einem Ermittlungsrichter vorgeführt. Die Staatsanwaltschaft will gegen den 54-Jährigen Haftbefehl wegen Mordes beantragen. Er hatte am Mittwochnachmittag gegen Ende einer Verhandlung auf den Staatsanwalt geschossen und ihn so schwer verletzt, dass das Opfer kurze Zeit später starb.

Gegen 16 Uhr sprang der 54-jährige Täter Rudolf U. aus Dachau während der Urteilsverkündung plötzlich hoch und feuerte aus einer Pistole fünf Schüsse ab. Offenbar zielte er erst auf Richter Lukas N., dann auf den 31-jährigen Staatsanwalt Tilman T. Der Amtsrichter konnte sich wegducken, aber drei Kugeln trafen den jungen Staatsanwalt. Der Täter hatte die Pistole offensichtlich unbehelligt in den Gerichtssaal mitbringen können.

Rudolf U. musste sich wegen Veruntreuung und Vorenthaltung von Arbeitsentgelt vor Gericht verantworten. Der Mann, nach Informationen der SZ ein Transportunternehmer, hatte Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 44.000 Euro nicht gezahlt. Amtsrichter Lukas N. verurteilte ihn deswegen zu einer einjährigen Haftstrafe auf Bewährung. Noch während der Urteilsbegründung begann der Täter zu schießen. Er konnte von zwei Zollbeamten überwältigt werden, von denen einer als Zeuge in dem Prozess geladen war.

Der Notarzt reanimierte den schwer verletzten Staatsanwalt, der von Schüssen in den Bauch, die Schulter und in einen Arm getroffen worden war. Die Verletzungen waren aber so schwer, dass er im Amperklinikum in Dachau trotz einer Notoperation gegen 17 Uhr starb. Der Dachauer Schlossplatz vor dem Amtsgericht wurde weiträumig abgesperrt, Presse und Passanten vom Ort des Geschehens ferngehalten.

Auf einer Pressekonferenz am Mittwochabend in der Dachauer Polizeiinspektion sagte Bayerns Justizministerin Beate Merk: "Eine absolute Sicherheit kann nicht erreicht werden." Man könne nicht aus jedem Gerichtsgebäude eine Trutzburg machen. Die Politikerin betonte, dass es sich um einen Routineprozess gehandelt habe, um "ein Verfahren, in dem kein Mensch damit rechnen konnte, dass so etwas passiert".

Der Täter ist offenbar im Dachauer Amtsgericht kein Unbekannter. Ein Justizbeamter des Amtsgerichts sagte nach der Schießerei zur Süddeutschen Zeitung: "Ich hab's gewusst, das was passieren wird. Der hat sich in der Verhandlung schon aufgeführt und war völlig uneinsichtig. Er hat sogar seine eigene Anwältin angeplärrt." Zeugen beschreiben den Täter als übergewichtigen Mann mit grauen, ungepflegten Haaren. Der ledige 54-Jährige hatte erst vor einiger Zeit einen Schlaganfall erlitten und galt als hilfsbedürftig, wie auf der Pressekonferenz erklärt wurde.

"Wir wollen keine Geheimjustiz"

Sicherheitskontrollen sind am Amtsgericht Dachau nicht üblich, da dort keine schweren Straftaten verhandelt werden. Der Mann konnte offenbar völlig unbemerkt eine Waffe von zu Hause in den Gerichtssaal mitnehmen. Die Waffe, eine Pistole vom Kaliber 6,35 Millimeter, ist von dem 54-Jährigen illegal erworben worden. Der nicht vorbestrafte Täter, der am Mittwochabend noch verhört wurde, soll keine Angaben gemacht haben. Die Staatsanwaltschaft München II will diesen Donnerstag Haftbefehl wegen Mordes gegen Rudolf U. beantragen.

Tödliche Schüsse am Amtsgericht Dachau: Ein 54 Jahre alter Unternehmer hat am Mittwoch am Amtsgericht Dachau einen Staatsanwalt erschossen.

Ein 54 Jahre alter Unternehmer hat am Mittwoch am Amtsgericht Dachau einen Staatsanwalt erschossen.

(Foto: npj)

Bereits wenige Minuten nach dem ersten Notruf rückten die ersten Streifenwagen der Dachauer Polizei an, die Beamten stürmten mit schusssicheren Westen und Maschinenpistolen in den Verhandlungssaal C. Kurz danach brachten sie den Schützen aus dem Gericht und schafften ihn in einem VW-Bus weg. Als die Schießerei im Saal C begann, flüchteten die Zeugen, die im Vorraum auf ihre Aussagen warteten, und einige Beteiligte aus der Verhandlung im Nachbarsaal, die gerade unterbrochen war, aus dem Amtsgerichtsgebäude.

Ein Jugendgerichtshelfer berichtete, noch sichtlich unter Schock stehend, er habe befürchtet, dass es sich um einen Amokschützen handeln könnte. Er rannte um die Ecke in die Toilette und sperrte sich ein. Richter Lukas N. lehnte jede Stellungnahme zum Vorgang ab. Es war nicht das erste Mal, dass im Dachauer Amtsgericht Schüsse fielen. Vor etwa 30 Jahren, so erinnert sich ein Zeuge, habe schon einmal ein Angeklagter mit einer Gaspistole auf den inzwischen verstorbenen Dachauer Rechtsanwalt Hans Riedl geschossen und ihn verletzt.

Der Bayerische Richterverein forderte schärfere Sicherheitsvorkehrungen in Gerichtssälen. Es müsse nach dem Vorfall darüber nachgedacht werden, "ob wir der Sicherheit gerecht werden, die wir den Mitarbeitern und Besuchern der Gerichte schuldig sind", sagte der Vorsitzende des Richtervereins, Walter Groß, am Mittwochabend. Groß sprach den Angehörigen des Opfers sein Mitgefühl aus.

Ihr "tiefes Mitgefühl" drückte auch Justizministerin Merk aus. "Es ist eine bittere, wenn auch nicht neue Erkenntnis, dass der Dienst für den Staat große Gefahren birgt", sagte Merk. Die Sicherheit in Gerichtssälen sei immer ein "Spagat", sagte Groß. Bei allem notwendigen Schutz dürften diese "keine Festungen werden".

Am Tag nach der Tat äußerte sich auch der Münchner Generalstaatsanwalt Christoph Strötz zu der Debatte um mehr Sicherheit an Gerichten. Es sei nicht möglich, eine Gerichtsverhandlung vollständig vor der Öffentlichkeit abzuschotten, sagte er im Bayerischen Rundfunk. "Sozusagen in Geheimjustiz zu verhandeln, das wollen wir nicht, und diese Sicherheit werden wir nicht herstellen können."

Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) hält generell verstärkte Sicherheitskontrollen in Justizgebäuden für "überzogen". Der Vorsitzende des bayerischen DPolG-Landesverbands, Hermann Benker, teilte am Donnerstag mit: "Höhere Sicherheitsmaßnahmen soll es nach wie vor nur geben, wenn konkrete Anhaltspunkte für Bedrohungsszenarien bekannt sind."

Der Dachauer Oberbürgermeister Peter Bürgel (CSU) zeigte sich indes tief bestürzt. "Es ist tragisch, dass ein junger Mensch bei Ausübung seines Berufs gestorben ist", sagte Bürgel. "Da fehlen einem wirklich die Worte."

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