Tierheim Dachau:Ausgesetzte Tiere

"Die Menschen kaufen Tiere, so wie man Spielzeug für Kinder kauft": Das Tierheim Dachau kümmert sich um Tiere, die niemand mehr will.

Wolfgang Eitler

Benno ist ins Tierheim nach Dachau gekommen, weil sein Herrchen im Gefängnis sitzt. Rocky indes ist wegen einer Schilddrüsenunterfunktion verlassen worden. Sein früherer Besitzer hätte ihm jeden Tag eine Tablette geben und diese auch noch bezahlen müssen. Der Labrador ist gerade mal ein Jahr alt und schaut mit schrägem Kopf durch die Gitter des Zwingers.

Tierheim Dachau: Labrador Rocky hat eine Schilddrüsenunterfunktion. Sein Herrchen wollte ihn nicht mehr.

Labrador Rocky hat eine Schilddrüsenunterfunktion. Sein Herrchen wollte ihn nicht mehr.

(Foto: Toni Heigl)

Auch Lucky würde man am liebsten sofort mitnehmen, so treuherzig blickt einen der Border-Collie an. Aber ohne Dipsy kann er nicht leben. Kaum jemand nimmt zwei Hunde auf einmal auf. Irgendwann waren sie seinem Vorbesitzer eine zu große Last. Also weg, ab ins Tierheim. Jedes dieser Tiere, ob Hund, Katze oder Hase, hat eine solch anrührende Geschichte. Zurzeit könnte man sie sich an die hundert Mal im völlig überfüllten Tierheim in der Roßwachtstraße in Dachau erzählen lassen.

Aber wie ist es möglich, dass Menschen Tiere erwerben und sie abgeben, sobald ihnen etwas nicht passt? So wie den Golden Retriever Sammy. "Bei ihm", erzählt Maren Rottleb, seit 13 Jahren Mitarbeiterin im Tierheim, "ist alles schief gegangen, was schief gehen konnte."

Zuerst war Sammy heiß geliebt, bis er eine der Töchter seines Herrchens angriff. Er musste weg. Die wahre Geschichte dahinter lautet so: Die Kinder haben den Hund ständig getriezt, ihn sogar mit Fressen gelockt und es ihm entzogen. Das Herrchen fand es lustig. Zuerst bellte Sammy nur; schließlich biss er zu. Nun hätte das Herrchen zum Tierarzt oder Tierpsychologen gehen können oder zum Hundeexperten. Aber einfacher sei es, ihn ins Tierheim abzuschieben, sagt Rottleb.

In Sittenbach bei Odelzhausen wohnt Andrea Fischer. Sie besitzt zwei Boxer. Schon ihre Eltern bevorzugten diese Rasse. Fischer kennt sich mit Menschen und mit Tieren aus. Sie ist Diplompsychologin, Unternehmensberaterin und hat sich auf Coaching spezialisiert, dazu gehört auch eine Art Moderation von Konfliktsituationen.

Diese Fähigkeit kann sie für ihren zweiten Beruf gebrauchen. Die 45-jährige Mutter eines Sohnes trainiert Besitzer mit ihren Hunden, damit eine gute Beziehung ohne Bellen, Beißen und Verhaltensstörungen entsteht.

Auf die Frage nach den Gründen für übervolle Tierheime in ganz Deutschland antwortet sie prompt: "Die Menschen kaufen Tiere, so wie man Spielzeug für Kinder kauft." Sie spricht von einer Statusfrage gerade in Mittelschichtsfamilien. Ein Hund komplettiert die Familie, wie in der Werbung. "Und dann beginnen die Probleme." Mit dem Erziehen, mit dem täglichen Spazierengehen, mit meist teuren Krankheiten. "Dann bricht die romantische Vorstellung vom Kuscheltier in sich zusammen." Zuerst werde in ein Tier viel Menschliches hineinprojiziert - und wenn das Tier die menschlichen Erwartungen nicht erfülle, werde es zur Sache.

Wie bei einem Jack-Russel, den sich eine Dachauer Familie für 280 Euro in München gekauft hatte und keine zwei Stunden später merkte, dass ihr diese Rasse zu umtriebig ist. Es gebe keine, die anstrengender sei, sagen Fachleute. In der Nacht erhielt das Tierheim Dachau einen Anruf, die Nervensäge aufzunehmen.

Kater Martin bleibt wohl allein

Der Notdienst lehnte ab. Einige Zeit später stand ein junger Mann vor der Tür des Tierheims und behauptete, eben einen Hund gefunden zu haben. Ein Fundtier gilt als Notfall. "Und jetzt raten Sie mal, was für einer es war?", fragt Silvia Gruber, Vorsitzende des Tierschutzvereins, der das Tierheim betreibt.

Die Aufnahme von Fundtieren ist eine Pflichtaufgabe der Kommunen, die das Tierheim übernommen hat. Nach jahrzehntelangem Gezerre haben sie sich bis auf Pfaffenhofen und Odelzhausen alle entschieden, diese Einrichtung wie von Gruber gefordert zu unterstützen. Außerdem kann das neue Katzenhaus für voraussichtlich 460.000 Euro doch gebaut werden.

Plötzlich brach auf Gruber und ihren Verein eine Welle der Kritik in Leserbriefen und in Telefonaten herein, als wäre bei ihnen der Luxus ausgebrochen. Das Katzenhaus soll 80 Tiere aufnehmen können, einschließlich einer kleinen Praxis mit Operationsraum. Teuer wird der Bau durch die Hygienevorschriften, zum Beispiel müssen sämtliche Räume deckenhoch gefliest werden.

Seit einigen Monaten zweifelt Gruber am Sinn ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit. Denn diese öffentliche Schelte gepaart mit dem Anspruch, dass das Tierheim selbstverständlich alle Tiere aufnehmen müsse, die geliefert würden, zerrt an den Nerven. "Die Menschen erpressen uns", sagt sie.

Mit anderen Worten: Sie wollen ihre Tiere los werden, und setzen darauf, dass die Mitarbeiter aus Mitgefühl nicht ablehnen. Gleichzeitig wird das Engagement von ihr und dem 15-köpfigen Team mit mehr als 50000 Stunden jährlich öffentlich abgewertet. Gruber sagt: "Ich halte das fast nicht mehr aus."

Ein einziges Mal haben sie und ihr Team versucht, aus diesem Teufelskreis aus Anspruch und Herablassung auszubrechen. Sie verhängten einen Aufnahmestopp. Wenige Tage später erhielten sie einen Anruf, dass Zwergkaninchen am Leitenberg bei Dachau ausgesetzt wurden. Gruber: "Wir haben Tage gebraucht, um sie einzusammeln." Menschen, die ihre Tiere los werden wollten, ließen sich nicht erpressen.

Die beiden Katzen Horst und Mimi recken sich in ihrem Zimmer mit Stoffmäusen und Kuschelecke. Beide haben schon einen neuen Besitzer. Martin ist ein echter Kater, eigenwillig und alleingängerisch. Rottleb vermutet: "Für ihn werden wir kein neues Zuhause finden." Kater Theo dagegen hat eine Familie gefunden, der sein chronischer Schnupfen nichts ausmacht. Solche Glücksfälle gibt es viele, mehr als 1000 Tiere werden in Dachau jedes Jahr vermittelt. Und die wenigsten kommen zurück. Aber zu viele werden abgegeben.

Gruber hält es nicht für übertrieben, von "einer Katzenflut in Dachau" zu sprechen. Die meisten Besitzer weigerten sich, zu kastrieren oder zu sterilisieren. Auch deshalb braucht der Landkreis jetzt ein Katzenhaus. Mittlerweile sind die Bürgermeister einig, dass es gebaut werden muss. Gruber würde das Geld lieber für anderes ausgeben. Aber sie weiß keinen Ausweg.

Psychologin Fischer fällt einer ein: "Konsequente Aufklärung schon im Kindergarten." Wenn die Kinder einen stinkenden Hasenstall säubern müssten, wollten sie vielleicht doch kein Haustier mehr. Und wenn doch eines angeschafft werde, dann aus einer klaren Entscheidung heraus und nicht wegen eines spontanen Konsumwunsches. "Richtig", sagt Gruber. "Da stehe ich voll dahinter." Und sie fragt vorsichtig: "Sollen wir das auch noch machen?"

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