Lesung in der Gemäldegalerie„Thomas Mann konnte nur nach unten lieben“

Lesezeit: 4 Min.

Der Autor Oliver Fischer und die Leiterin der Stadtbücherei Angelina Hanke bei der Lesung in der Gemäldegalerie Dachau.
Der Autor Oliver Fischer und die Leiterin der Stadtbücherei Angelina Hanke bei der Lesung in der Gemäldegalerie Dachau. (Foto: Toni Heigl)

Die Gemäldegalerie Dachau geht neue Wege: Umrahmt von den Bildern der aktuellen Schau stellt Thomas-Mann-Experte Oliver Fischer seine Recherchen über die heimliche Liaison des Literaturnobelpreisträgers mit einem attraktiven, aber künstlerisch eher unbedeutenden Maler vor.

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Man kann sie an diesem Abend förmlich spüren: eine sanfte Brise der Offenheit für Neues in der ehrwürdigen Gemäldegalerie Dachau. Nach einem „Feier-Kunst-Abend“ im Februar haben Leiterin Laura Cohen und ihr Team am Donnerstag zu einem Lesegespräch in Sachen Thomas Mann und Paul Ehrenberg eingeladen. Und zwar inmitten der Sonderausstellung „In der Welt unterwegs“, den farbstrahlenden Arbeiten der Künstlerkolonie Solingen.

Klar, Thomas Mann (1875 – 1955), dessen 150. Geburtstag und 70. Todestag heuer teils gefeiert, teils zelebriert werden, war viel in der Welt unterwegs – wenn auch teils unfreiwillig, als er 1933 in die Schweiz emigrierte. Dennoch stellen sich gleich zwei Fragen. Erstens: Was hat Thomas Mann mit Dachau zu tun? Zweitens: Wer ist Paul Ehrenberg? Antworten auf diese und andere Fragen zum Leben des übergroßen Literaten und des eher unbedeutenden Malers gab es von Autor Oliver Fischer und Stadtbücherei-Leiterin Angelina Hanke in einem fein aufs Thema abgestimmten Gespräch.

Fischer, ein ausgewiesener Thomas-Mann-Kenner und Vorsitzender der Hamburger Thomas-Mann-Gesellschaft, hat sich in seinem Buch „Man kann die Liebe nicht stärker erleben“ intensiv mit der Beziehung der beiden auseinandergesetzt. Besonders bemerkenswert und in der Tat erhellend: Er hat Ehrenberg nicht als Sidekick des späteren Literaturnobelpreisträgers „abgehandelt“, sondern sich ausführlich mit dessen Leben und seinen Arbeiten beschäftigt. In der gebotenen Kürze zusammengefasst: Paul Ehrenberg (1876 – 1949) war der ältere Bruder des Komponisten, Dirigenten und überzeugten Nazis Carl Ehrenberg, der von 1935 bis 1945 Professor an der Musikhochschule München war und zudem ein hohes Tier innerhalb der NS-Hierarchie.

Fischer malt förmlich mit Worten

Paul Ehrenberg studierte bei Heinrich von Zügel in München Tiermalerei. Heinrich von Zügel (1850 – 1941) wiederum war einer der Mitbegründer der Münchner Sezession, entdeckte wie so viele andere Anfang der 1880er-Jahre das Dachauer Moos und gilt als bedeutender Vertreter des Impressionismus. Zügel ist auch mit einigen Arbeiten in der Gemäldegalerie vertreten. Zügels Lieblingsort der Freiluftmalerei war aber nicht Dachau, sondern das Dorf Wörth bei Karlsruhe. Dort tobten sich seine Studenten (Frauen waren noch nicht zum Akademiestudium zugelassen) im Sommer in jeder Hinsicht aus. Mit dabei war auch der gut aussehende blonde Paul Ehrenberg. Er hatte 1899 in einem Münchner Salon Thomas Mann kennengelernt.

Wenn Fischer diese und andere Passagen vorliest, malt er förmlich mit Worten. Das versetzt das Publikum schnell in eine großbürgerliche Salon-Atmosphäre mit schwerem Mobiliar, dunklen Stoffen und allerlei Krimskrams, schmuckbehangenen Frauen und korrekt gekleideten Herren in gepflegter Unterhaltung. Was für ein Kontrast zur Künstlerfreiheit im sommerlichen Wörth mit seinen eher rustikalen Vergnügungen, den Malbuben, den oftmals widerspenstigen tierischen „Modellen“, den jungen, einer Sommerliebe nicht abgeneigten Frauen und den Vermietern „von Zimmern mit Geruch nach Mist“, die zum Überleben auf ein karges Zubrot angewiesen sind.

So gegensätzlich darf man sich auch Thomas Mann und Paul Ehrenberg vorstellen. Wobei der aufstrebende Schriftsteller in dieser Beziehung nicht besonders gut wegkommt. „Mann konnte nur nach unten lieben, nur Menschen lieben, die ihm intellektuell unterlegen waren“, schreibt und sagt Fischer. Das illustriert er mit vielen Zitaten aus Briefen und Postkarten, „den SMS des frühen 20. Jahrhunderts“. Als Ehrenberg seinem Freund einmal nach einer Unterhaltung schrieb: „Ich hoffe, es war nicht zu langweilig“, antwortete Mann: „Nein, nein, ich habe ganz angenehm geruht.“ Und in einer Widmung der 1901 erschienenen „Buddenbrooks“ degradiert er Ehrenberg gar zum „tapferen Maler“.

Es ist die alte Frage: Hat er oder hat er nicht?

Aber wie war das Verhältnis der beiden wirklich? „Das Märchen vom asexuellen Charakter ihrer Freundschaft ist eine Vorspiegelung falscher Tatsachen“, sagt Fischer. Es sei nach wie vor unklar, ob es bei „Musikabenden, Radtouren und gemeinsamem Kaffeetrinken“ geblieben sei. Nun sind ja bekanntlich Manns homoerotische Neigungen immer noch ein spannendes Thema. Hat er oder hat er nicht? Zumindest sei Ehrenberg „Mann nähergekommen, als es in den Tagebüchern vermerkt ist“, sagt Fischer. Was sich noch Jahrzehnte später in Manns Romanfiguren niederschlägt, etwa in der Figur des Hans Hansen in „Tonio Kröger“, des blonden Geigers Rudi Schwerdtfeger in „Doktor Faustus“ und des Joseph in „Joseph und seine Brüder“.

Womöglich war es Ehrenberg gar nicht so recht bewusst, welches Feuer er in Thomas Mann entfacht hatte. Waren doch beide noch jung genug, um „den Übergang zwischen zwei Orientierungen“ voll auszuleben. Feststeht, dass Ehrenberg „für den Flirt geboren ist“ und ebenso steht fest, dass Thomas Mann in seinen Werken eine Art Geheimcode verwendet hat, wenn er von „Entgegenkommen“ schreibt und damit die gleichgeschlechtliche Liebe meint. Die – auch das sollte man nicht vergessen, im berüchtigten Paragrafen 175 noch bis 1994 unter Strafe gestellt war. Ein offenes Bekenntnis zur Homosexualität wäre zu Beginn des 20. Jahrhunderts einem gesellschaftlichen Selbstmord gleichgekommen.

Die wie auch immer ausgelebte Beziehung der beiden Männer änderte sich. Mann heiratete 1905 Katia Pringsheim und hatte sechs Kinder mit ihr. Ehrenberg war zunächst noch erfolgreich, geriet aber immer mehr ins künstlerische Abseits und in Geldnöte. Das ging so weit, dass er 1933 – kurz vor der Machtübernahme der Nazis – an „Thommy“ einen Bettelbrief schrieb, weil er Geld brauchte. Mit den braunen Diktatoren arrangierte er sich, „er war ein Mitläufer“ und endete „als Lokalgröße in der sächsischen Provinz“. Damit endet dieser bemerkenswerte Abend jedoch nicht: „Es ist mit der Selbstverständlichkeit der Demokratie in aller Welt eine zweifelhafte Sache geworden …“, liest Fischer aus Thomas Manns Essay „Vom zukünftigen Sieg der Demokratie“ aus dem Jahr 1938. Und zeigt: Aktueller kann ein Literaturnobelpreisträger nicht sein.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Zweckverband Dachauer Galerien und Museen
:„Das Museumsforum als Gemeinschaftsort“

Auf dem Gelände der ehemaligen Papierfabrik soll Oberbayerns erstes Arbeiter- und Industriemuseum entstehen. Beteiligt an der Konzeption des Museumsforums ist auch Eva Muster vom Zweckverband Dachauer Galerien und Museen. Im Interview mit der SZ spricht die 38-Jährige über den aktuellen Planungsstand.

SZ PlusInterview von Jana Rick

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: