Theresienstadt-Überlebender:Ein Leben in Angst und Unsicherheit

Ernst Grube bei Gedenkfeier in Dachau, 2015

Zeitzeuge Ernst Grube spricht oft über die schlimme Zeit der Ausgrenzung und Rechtlosigkeit.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Zeitzeuge Ernst Grube spricht in der Karlsfelder Mittelschule über seine Kindheit als jüdischer Bub und die Verfolgung durch die Nazis

Von WALTER GIERLICH, Karlsfeld

Es habe sie ziemlich mitgenommen, was sie eben gehört habe, sagte Anastasia. Und ihre Mitschülerin Ella fand es "spannend und interessant", was der Zeitzeuge Ernst Grube am Dienstagabend eine gute Stunde lang in der vollbesetzten Aula der Karlsfelder Mittelschule über seine Kindheit als jüdischer Bub im München der Nazizeit erzählt hatte. Ob es ihm schwer falle, da vorne zu stehen und über all das zu sprechen, wollte sie nach dem Vortrag von dem 84-Jährigen zudem wissen. Grube verneinte, er spreche oft über jene schlimme Zeit der Ausgrenzung und Rechtlosigkeit, der Deportationen und des fürchterlichen Kriegsgeschehens. Denn es sei ihm wichtig, die junge Generation über die Schrecken der Nazizeit aufzuklären und zu ermuntern, sich dafür einzusetzen, dass sich so etwas nicht wiederhole. Genau das hatten Rektor Hakan Özcan und Elternbeiratsvorsitzende Yvonne Stommel in ihren Begrüßungsworten als Ziel des Abends genannt.

"Wenige Wochen nach meiner Geburt im Dezember 1932 ist Hitler an die Macht gekommen", sagte Grube und erzählte dann die Geschichte seiner Kindheit. Die Familie, Mutter jüdische Krankenschwester, Vater nicht-jüdischer Malermeister, zu der auch noch der drei Jahre älterer Bruder Werner und die sechs Jahre jüngere Schwester Ruth gehörten, hat bis 1938 in einem Haus neben der Synagoge in der Innenstadt gewohnt. Als die Nazis im Sommer 1938 das jüdische Gebets- und Versammlungshaus abrissen, mussten die Grubes ihre Wohnung räumen. Da die Eltern in dieser Situation nicht wussten wohin, brachten sie die Buben und das Mädchen in ein jüdisches Kinderheim. Für ihn ist das Heim, in dem er und seine Geschwister mehr als drei Jahre lang lebten, "schon ein bisschen Familienersatz" gewesen, schildert der Zeitzeuge. Im Heim lernte er auch erstmals jüdisches Leben und dessen religiöse Feste kennen. Draußen hätten die jüdischen Kinder ihn "ausgelacht, verspottet, angespuckt und als Judensäue beschimpft."

Als das Heim 1941 geschlossen wurde, kamen die Grube-Kinder ins Judenlager Milbertshofen, von dem aus die Deportationszüge in die Vernichtungslager im Osten fuhren. Die Nachbarn schauten tatenlos zu, wie die Transporte abgingen. "Wir dürfen heute nicht zuschauen, wenn Unrecht geschieht", mahnte der Zeitzeuge die Zuhörer in der Aula. Dank ihres nicht-jüdischen Vaters konnten die drei Geschwister 1943 zu den Eltern zurückkehren. In eine Schule aber durften sie nicht gehen, sie lebten ausgegrenzt. Angst und Unsicherheit über die Zukunft beherrschten den Alltag, denn es war Krieg, es gab fast jeden Tag Fliegerangriffe, und Juden war es nicht erlaubt, in Luftschutzkellern Schutz zu suchen. Die Mutter, deren drei Schwestern in Lagern im Osten ermordet wurden, und der große Bruder mussten Zwangsarbeit leisten. Jeden Tag habe man Radio London oder Moskau gehört, so Grube, und gehofft, "dass die Deutschen den Krieg verlieren. Wir waren der Meinung, dass wir so nicht deportiert werden. Doch diese Meinung war falsch."

Im Februar 1945 wurden die Mutter und die Kinder - 15, zwölf und sechs Jahre alt - ins Ghetto Theresienstadt deportiert. "Wir hatten Angst, was die Nazis mit uns tun werden", sagte Ernst Grube. "Es ist diese Angst und Unsicherheit, an die ich heute oft denke: Wie geht es Menschen, die auf der Flucht sind, die nicht wissen, was die Zukunft bringt?" Doch die Grubes hatten Glück, sie wurden im Mai 1945 befreit. Ende Juni war der zwölfjährige Ernst wieder München und konnte endlich wieder in die Schule gehen. Nur zwei Jahre lang habe er einst den Unterricht besuchen dürfen, so dass er nicht richtig schreiben und rechnen konnte.

Fragen zu stellen trauten sich die Schüler vor dem großen Publikum zwar nicht. Doch hinterher bestürmten einige den 84-Jährigen, denn sie wollten vor allem wissen, wie sein Leben nach der Rückkehr aus Theresienstadt verlaufen und wie es ihm in der Schule gegangen sei. Staunen löste es aus, als Ernst Grube erzählte, dass er mit 40 Jahren das Abitur nachgeholt habe und Berufsschullehrer geworden sei. Auf dem Heimweg sagte dann ein junges Mädchen: "Es ist doch ganz etwas anderes, das alles von jemandem zu hören, der es selbst erlebt hat, als es nur in einem Buch zu lesen."

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