Theaterprojekt:Hoffnung schaffen

Lesezeit: 3 min

Warum das Theaterprojekt von Rebecca Molinari und Nicolas Hohmann mit einer Gruppe von Flüchtlingen zeigt, wie Integration wirklich ausschauen kann. Beide hoffen, dass ihr Projekt weitergeht und von den Kommunen finanziert wird

Von Wolfgang Eitler, Dachau

Flüchtlinge sollen sich integrieren, heißt es. Die Mehrheit der Politiker zumindest in Bayern versteht darunter vor allem: Anpassung. Deswegen sollte die kleine Theatergruppe, die aus den Flüchtlingsklassen an der Dachauer Berufsschule entstanden ist, ihr Stück "Liebe Immer" unbedingt noch mehrmals aufführen. Am besten auch vor Politikern. Denn gemeinsam mit den Theaterpädagogen Rebecca Molinari und Nicolas Hohmann eröffnen sie im Spiel die mehrschichtige Dimension dieses, in politischen Reden, so selbstverständlich daher kommenden Anspruchs. Dass die Wiederauflage der Inszenierung vom November vergangenen Jahres im Dachauer Jugendzentrum Dachau-Ost ein starkes Plädoyer für Integration und nicht nur für Anpassung war, lag besonders am Publikum.

Denn die jungen Leute spielten eigens für ihre Lehrer und Mitschüler an der Dachauer Berufsschule. Direktor Johannes Sommerer überreichte jedem einzelnen am Ende nicht nur ein paar Süßigkeiten als Dankeschön, sondern hofft darauf, dass dieses Projekt weiter geht. Und er würdigte den Mut der Flüchtlinge, ihre Gefühle und ihre Wünschen so offen und freimütig darzulegen. 30 Lehrer kümmern sich mittlerweile um die Flüchtlingsklassen. Sommerer sagt: "Alle mit großem Engagement."

Flüchtlingen, die an der Berufsschule unterrichtet werden (von links): Alaa, Foday, Majid, Chari aus Dachau und Tarek. (Foto: Toni Heigl)

Die beiden Theaterpädagogen schufen eine Form, die den "voyeuristischen Blick" der Zuschauer auf die Schicksale der Schauspieler verhindert. Damit aber auch jenes bloße Mitleiden, aus dem sich keine Zukunftsperspektiven ergeben. Betroffenheit reicht nicht. Sie wählten eine Form aus, wie sie das Metropoltheater von Joachim Schölch in München ausgeklügelt beherrscht. Mit wenigen Requisiten entsteht ein Raum, in dem die Schauspieler sich entfalten können und ihren eigenen Charakter entwickeln. Die Inszenierung im voll besetzten Discoraum des Jugendzentrums von Dachau-Ost wirkte deshalb in manchen Passagen spontan entstanden. Dann wieder genau geplant.

Schüchtern wagt sich ein junger Mann mit einer Blume in der Hand um die Ecke. Er überreicht seiner Angebeteten. Ein Schuss fällt. Das Mädchen stirbt in den Armen des Geliebten. Die Sequenz ist kurz und unsentimental gespielt. Da will genau geprobt sein.

Foday aus Sierra de Leone, die Schwestern Tasnem und Alaa aus Syrien, Marteen aus Afghanistan (wegen eines Unfalls nur aus dem Off zu vernehmen), Majid aus Syrien, Tarek aus Libyen, Bahaa aus Syrien und Chari, ein gebürtiger Dachauer, können sich selbst spielen, aber auch in andere Rollen schlüpfen. Um die Distanz zum eigenen Schicksal zu schaffen und um das Theater als ganz eigenen Erfahrungsraum zu entwickeln, haben die jungen Leute diejenigen Szenen, die sie ausdachten, nicht immer selbst gespielt. Dieses Zurücktreten, sagen Molinari und Hohmann, sei sehr wichtig, um auf der Bühne glaubhaft bestehen zu können. Deshalb müssen die scheinbar einfachen Dinge passen: das selbstverständliche Bewegen auf der Bühne oder die Choreografie in jeder Szene. Vor allem aber wollten die beiden ein Stück schaffen, in dem die Gruppe ihre eigene Hoffnung ausdrückt.

Die Theaterpädagogen Rebecca Milonari und Nicolas Hohmann. (Foto: Toni Heigl)

Ironisch: wenn sie im Warteraum einer Ausländerbehörde warten und warten. Witzig: Wenn sie die Schulbank drücken und kein Wort verstehen. Nervenaufreibend: wenn unmittelbar Aggressionen entstehen und die Gruppe sich mühsam zum Tanz ermuntert, um Gewalt untereinander zu verhindern. Hoffnungsvoll: wenn sie sich an die Geschichten aus ihren Heimatländern erinnern, beispielsweise an Wiegenliedern. Vor allem voller Zuversicht: wenn das Publikum heftig applaudiert, die Schauspieler nicht von der Bühne lassen will und der Abend in herzlich-überschwängliche Umarmungen mündet. Denn Lehrerin Isabelle Bichler, ihr Kolleginnen Annika Sengpiel, Nadja Reis und Lehrer Sebastian Inders verstehen die jungen Leute, die es ihnen mit einem herzlichen Dankeschön auf der Bühne vergelten.

Nicolas Hohmann ist drei Tage die Woche am Jugendzentrum in Dachau-Ost angestellt. Die Theaterpädagogik ist sein Metier. Außerdem arbeitet der 45-jährige, gelernte Schauspieler als Regisseur an Schulen, vornehmlich an Waldorfschulen. Rebecca Molinari ist für das junge Resi, die Nachwuchsbühne des Münchner Residenztheaters, tätig. Beide würden in ihrer Dachauer Tätigkeit fortsetzen wollen. Das Ergebnis gibt ihnen recht: Denn Theater schafft anscheinend echte Integration. Die Herzlichkeit in der Begegnung ist ein Gewinn für alle. Dazu bräuchten Rebecca Molinari und Nicolas Hohmann allerdings weiter Zuschüsse von Stadt, Landkreis und auch einigen Mäzenen.

Marteen kann nur "Gluck" sagen. Der Umlaut kommt ihm schwer über die Lippen. Egal: Es könnte sein, dass diese jungen Flüchtlinge dank des Theaters und der Berufsschule Glück in Dachau und Deutschland haben.

© SZ vom 31.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: