Süddeutsche Zeitung

Theaterpremiere im Thoma-Haus Dachau:Sehnsucht

Situationskomik, derbe Dialoge und ein Schuss Sozialkritik: Die Ludwig-Thoma-Gemeinde spielt Peter Turrinis "Campiello", eine klassische Komödie über unerfüllte Träume. Am Freitag ist Premiere

Von Anna-Sophia Lang, Dachau

Die junge Gnese liegt hilflos auf dem Rücken. Rittlings auf ihr sitzt, im blutroten Kleid und mit langem gelocktem Zopf, Lucietta. "Er muss seinen Zwirn in dein Nadelöhr einfädeln", predigt sie in vielsagendem Ton auf die verschüchterte Gnese herab und macht mit obszöner Geste klar, von welchem Zwirn sie da redet. Der Ton ist rau zwischen den Bewohnern des Campiello. Da wird kein Blatt vor den Mund genommen. Es wird lauthals gestritten, geschrien und sich beschimpft zwischen den bunten Häusern am kleinen Platz des venezianischen Armeleuteviertels. Dort spielt das Leben. Ehen werden geschlossen und gelöst, Skandale enthüllt und die eigene Existenz verteidigt. "Campiello" hat Carlo Goldoni das Stück denn auch genannt, das er 1756 schrieb. 1982 übersetzte der österreichische Schriftsteller Peter Turrini die Komödie ins Deutsche und machte daraus ein gleichnamiges Theaterstück. Die Ludwig-Thoma-Gemeinde bringt es nun auf die Bühne.

In den vergangenen zwei Jahren spielte die Gruppe mit Rainer Werner Fassbinders "Bettleroper" und Herbert Achternbuschs "Plattling" Stücke kontroverser Natur. "Skurril-experimentell", sagt Regisseur Wolfgang Möckl. Deshalb hat er sich für dieses Jahr vorgenommen, es "klassisch" anzugehen. "Campiello" ist eine typische Commedia dell'arte und damit vor allem eins: witzig. Das Bühnenbild ist farbenfroh, die Dialoge zackig und derb, das Spiel temporeich und bisweilen richtig wild.

Die Geschichte: Drei Frauen kämpfen im harten Alltag des Viertels um ihre Existenz. Ihre Männer sind bereits tot und so müssen sie allein für sich und ihre Kinder sorgen. Orsola (Brigitte Fiedler), Catte (Rotraut Wolf) und Pasqua (Angelika Mauersich) sehnen sich nach einer Beziehung, nach Liebe und Zuwendung. Doch darauf haben sie keine Chance, bis sie ihre Kinder erfolgreich unter die Haube gebracht haben. Cattes Tochter Lucietta (Snezana Eckl) ist bereits verlobt und Orsolas Sohn Zorzetto (Zoraiz Off) hat ein Auge auf Pasquas Tochter Gnese (Fini Kron) geworfen. Doch dann kommt ein Cavaliere (René Rastelli) ins Bild, der alles durcheinander bringt. Der Adlige macht nicht nur den Töchtern schöne Augen, sondern stiftet mit seinen Eheversprechen auch unter den Müttern gewaltige Unruhe. Als die jedoch bemerken, dass er kein weltmännischer Edelmann ist, sondern ein gemeiner Scharlatan, der sein ganzes Vermögen "versoffen und verhurt" hat, wendet sich sein Glück. Am Ende üben die vermeintlich schwächeren Campiello-Bewohner Rache auf ihre ganz eigene Art.

"In der Inszenierung stecken viele Elemente der klassischen Komödie", sagt Wolfgang Möckl, "und viel Situationskomik". Doch es ist auch eine gute Prise Gesellschaftskritik dabei. "Turrini ist bekannt als sozialkritischer Volksstücke-Schreiber", sagt Möckl. In "Campiello" treffen drei soziale Ebenen aufeinander: die einfachen Frauen und ihre Kinder aus der Arbeiterschicht, der pompöse Cavaliere aus einem alten Adelsgeschlecht und schließlich der immer nervlich belastete, aber beruflich gefragte Akademiker Fabrizio (Claus Weber), der die Güter bankrotter Adliger aufkauft.

So kommen Vergangenheit und Zukunft, Gewinner und Verlierer des gesellschaftlichen Umschwungs zusammen. Der Ort des Geschehens ist zeitlos, nur wenig Hoffnung auf ein besseres Leben besteht dort. "Der Campiello könnte genauso gut auch eine Favela sein", sagt Möckl. Das Bühnenbild, genau wie die Kostüme von den P-Seminar-Schülern der jetzigen Q 12 am Effner-Gymnasium gestaltet, lässt Raum für Assoziationen. Der Umgang miteinander ist hart - doch als die Bewohner von außen bedroht werden, halten sie zusammen. Der Cavaliere spielt mit den Sehnsüchten der Frauen, verspricht Geld und Liebe, und hält nichts. Jeder Bewohner hat Träume, vom fetten Braten und dem geerbten Haus bis hin zur endlosen Liebe. Und die Erfüllung? Kommt nicht für alle. Vieles bleibt so, wie es schon immer war. Es sei an dieser Stelle nicht zu viel verraten, nur das: Auf seine Art wird alles gut.

Premiere im Stockmannsaal des Ludwig-Thoma-Hauses ist am Freitag, 20. März, um 19.30 Uhr. Weitere Vorstellungen: Sonntag, 22. März, 18 Uhr, Freitag, 27. März und Samstag, 28. März, jeweils 19.30 Uhr, sowie Sonntag, 29. März, 18 Uhr. Karten gibt es bei der Buchhandlung Wittmann, Augsburger Straße 11, und bei Flair Fashion, Bahnhofstraße 15 in Dachau, sowie bei München Ticket für zehn Euro, ermäßigt sieben Euro.

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Quelle:
SZ vom 19.03.2015
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