Die Suche nach dem Serienkiller läuft kaum eine Viertelstunde, da dringen gellende Schreie durchs gekippte Fenster. Willi Kirsch, ein gemütlicher Mann mit dicker Brille, blickt auf und sagt: „Oh, das nächste Opfer.“ Schallendes Gelächter in der Runde. Draußen vor dem Vereinsheim sind die Fußballer des SV Günding in Aktion, Trainingsspiel, Kreisklasse, trotzdem große Emotion; drinnen haben sich die Mitglieder der Muckerl Bühne Karlsfeld zur Leseprobe für ihr neues Krimidinner-Stück versammelt, ein mörderischer Stuhlkreis, der versucht, sich auf die winzigen Texte auf dem Handy-Display zu konzentrieren.
Irgendwann wird es Carolin Gruber, die heute probehalber als Nadja Nowak zu hören ist, zu viel mit dem Gebrüll. Sie schließt das Fenster, trotz der brütenden Hitze im Raum. Die Welt da drinnen und die Welt da draußen vertragen sich nicht so gut, das Abseits und das Jenseits. Wäre ja auch schlimm, wenn ein Kicker des SV Günding plötzlich tot vom Platz getragen würde, dahingerafft vom Schlangengift, das der Mörder seinem Opfer injiziert hat, ehe er ihm das Symbol einer Schlange in die kalte Haut ritzte.
Den Opfern wird eine Schlange in die Haut geritzt
Mit genau so einem Mord beginnt der Fall. Das erste Opfer ist ein Profischwimmer, dem Toten wurde die Schlange auf den Rücken geritzt. Nach diesem Muster wird anschließend fröhlich weiter gemordet. Zur Strecke bringen sollen den unheimlichen Killer „Tantalos“, ein Team von Superspürnasen unter ihrem Boss, der merkwürdigerweise auch „BOSS“ heißt. Für einen profanen Kriminalfall hält sich die Truppe für überqualifiziert. Aber dieser Fall erweist sich, wie zu erwarten, als ziemlich harte Nuss.
Ausgedacht hat sich das Stück „Alibi einer Schlange“ Greta Fink, Studentin der Theaterwissenschaften. Es ist bereits ihr viertes Krimi-Bühnenskript für die Muckerl Bühne Karlsfeld nach „Diebe auf Umwegen“, „Im Hotel sind alle tot“ und „Ein Sarg für zwei“. Anfang 2025 soll das brandneue Krimidinner auf die Bühne kommen, erstmals an der neuen Spielstätte der Muckerl Bühne, in Günding, dem Vereinslokal „Pallone d’oro“, was so viel heißt wie „Goldener Ball“.
Die Muckerl Bühne ist schon fast ein Traditionsverein, es gibt sie seit 1987. Über die Jahrzehnte hat sich das theaterbegeisterte Laienensemble durch alle Genres gespielt, von Musicals über Märchen und Klassikern, zu Boulevardkomödien und Eigenproduktionen bis hin zu Krimis. „Das kommt besonders gut an“, hat Fink festgestellt. Die Krimidinner aus eigener Feder entwickeln sich immer mehr zum Aushängeschild der Gruppe. Früher spielten sie auch Stücke von Theaterverlagen, aber die waren ihnen oft zu düster. Geschichten über Krebs und Suizid, „so etwas wollen wir nicht unterstützen“, sagt Fink. Ihre Krimidinner sind mordslustig.
Das Krimidinner ist immer ein geselliges Ereignis
Unter einem „Krimidinner“ verstehen die meisten eigentlich etwas anderes: ein Gesellschaftsspiel, bei dem die Gäste in die Rollen einer Tischgesellschaft schlüpfen und beim Essen versuchen herauszufinden, wer von ihnen der Bösewicht ist. Was die Muckerl Bühne aufführt, ist eine Krimikomödie zum Mitraten, bei der man sich entspannt zurücklehnen kann: Man spielt nicht selbst, man schaut nur zu. Zwischen den Akten kommt statt des Vorhangs die Bedienung mit Pasta und Pizza.
Die Darsteller spielen zwischen den Tischen, das führt dazu, dass die „vierte Wand“ aus der Theatertheorie allenfalls ein Perlenvorhang ist, und das Publikum mehr mitmacht, als sich das in einem Theaterhaus geziemen würde. Da weist eine alte Dame im Publikum beim Spiel schon mal darauf hin, dass ein Stuhl wackelt, ein anderer will das vermeintliche Mörderbaby kurz mal halten. Das ist Interaktion, die dem jungen Ensemble Spaß macht, auch wenn es mehr Konzentration erfordert und natürlich die Gefahr wächst, den Faden zu verlieren. Jemand, der ihnen souffliert, haben sie nicht.
Was Greta Fink besonders gut gefällt, ist, dass auch die Zuschauer beim Krimidinner miteinander ins Gespräch kommen. Zwischen den Akten tauschen sie ihre Theorien aus, wägen das Für und Wider ihrer Vermutungen gegeneinander ab. Stoff liefert ihnen nicht nur das Stück, sondern auch eine Ermittlungsakte, die sie auf den Tisch bekommen, liebevoll ausgearbeitet und gefüllt mit knallharten Fakten.
Funktionieren die Dialoge? Zünden die Gags?
Aber bis dahin dauert es noch lange, die erste Fassung des Texts ist ja gerade erst fertig, wer später welche Rolle spielt, muss erst noch festgelegt werden. Willi Kirsch schlüpft heute erst einmal in die Rolle von Ruben Dittrich, einem Ermittler, der angeblich als Verstärkung aus dem ländlichen Obermoosbach zum Team nach München gestoßen ist. Nun mischt er eifrig mit bei den Spekulationen der Profis um den Schlangenmörder und verdächtigt – auch das ist ein bekanntes Strickmuster des Krimidinners – reihum die anderen.
Beim Vorlesen erscheint die Rolle schon recht plastisch und lebendig. Was auch daran liegt dürfte, dass Willi Kirsch so viel Schauspielerfahrung mitbringt wie seine jungen Mitspieler an Lebensjahren. Seit mehr als 20 Jahre ist er bei der Muckerl Bühne dabei. An zweiter Stelle kommt Rebecca Lang, Jugendleiterin und Regisseurin. Sie hat schon mit sechs angefangen, jetzt ist sie 22 und zusammen mit Greta Fink so etwas wie die kreative Doppelspitze der Gruppe.
In der Leseprobe erfährt Finks Text nun den ersten Realitätscheck: Funktionieren die Dialoge? Gibt es logische Fehler? Zünden die Gags? Wenn sie an einer witzigen Stelle arbeite, kichere sie manchmal vor sich hin, erzählt sie. Wie sollte man auch ernst bleiben, wenn davon die Rede ist, dass Dorian Dill, Backgroundsänger und Bewunderer der Band „Die sieben Zwerchfelle“, den begehrten Granny gewonnen hat – eine Trophäe, deren Vergaben von den Bewohnern eines Seniorenheims juriert wird?
Der Fall ist knifflig – aber nicht unlösbar
Wer Dorian Dill und die anderen auf dem Gewissen hat, wissen die Sprecher der Rollen selbst noch nicht, die Auflösung kommt ja erst im vierten Akt. Zu diesem Zeitpunkt sind sie nicht schlauer als das Publikum, das bei der Aufführung jetzt an der Reihe wäre zu tippen, wer der Täter ist. Das machen jetzt die Schauspieler selbst. Viele liegen falsch, aber mehrere auch richtig. Ein gutes Zeichen für die Autorin. Einen kniffligen Fall hat sie sich ausgedacht – aber einen lösbaren.
Zu originell darf die Mordsgaudi auch nicht konstruiert sein, das hat Fink schon gemerkt. In einer früheren Krimidinnergeschichte war ein Baby involviert, das durch eine Puppe mit ausgesprochen hässlichem Gesicht dargestellt wurde. Und auf wen tippten viele Zuschauer? Genau, das Baby war’s! Das hat ihr dann doch zu denken gegeben. Jetzt versuche sie, die Geschichten wieder etwas „geerdeter“ auszuarbeiten.
Als der vierte und letzte Akt gelesen ist, bittet Fink um Rückmeldung: „Wie fandet ihr das Stück?“ Das Urteil ist einhellig. „Ziemlich cool“, sagt Mireya Schories. Emily Kalwa lobt, die Charaktere seien sehr gelungen, es gebe einige „sehr lustige Stellen“. Auch Willi Kirsch findet es „sehr spannend“ und – auch das dürfte als Kompliment gemeint sein – „sehr verwirrend fürs Publikum“.
Die Aufführungstermine stehen noch nicht fest. Auf dem Laufenden halten kann man sich auf www.muckerl-buehne.de.