Tassilo:"Bleib ein Mensch, Kamerad"

Tassilo: Der Pianist Markus Kreul hat ein Benefizkonzert organisiert.

Der Pianist Markus Kreul hat ein Benefizkonzert organisiert.

(Foto: Konstantin Volkmar, oh)

Markus Kreul stellt die verbindende Kraft der Musik ins Zentrum seiner Arbeit, so auch in seinem Podcast über das "Dachau-Lied"

Von Dorothea Friedrich

Quälend langsam streift die Kamera über das Gelände der Dachauer KZ-Gedenkstätte, ihr kaltes erfasst Auge das riesige Areal, bleibt an der zynischen Inschrift "Arbeit macht frei" am Haupttor hängen. Dann setzt die Musik ein, lässt sofort Gedankenfetzen von allem, was man je über Leid und Tod der Opfer des Nazi-Terrors erfahren hat, ins Hirn springen. Es ist das "Dachau-Lied", gespielt vom Pianisten und Hochschullehrer Markus Kreul.

Das Dachau-Lied haben die KZ-Häftlinge Jura Soyfer und Herbert Zipper unter unmenschlichen Bedingungen geschrieben und komponiert. Markus Kreul spielt es so, wie Zipper es 1988 in einer österreichischen Musikzeitschrift sein Lied beschrieben hat: "Es ist nämlich viel stärker, in allen Kunstwerken, wenn es sich um die menschliche Bestialität handelt, nicht die Gewalttätigkeit selbst zu zeigen, sondern sie in der Vorstellung des Zuhörers entstehen zu lassen, weil die Vorstellung immer stärker ist als die Wirklichkeit."

Wie Kreul das gelungen ist, ist eine eigene Geschichte. Er lebt seit mehr als zwanzig Jahren in Altomünster im Benefiziatenhaus. Sein Musikzimmer war früher einmal das Arbeitszimmer von Pfarrer Paul Lachawietz, der das KZ Dachau überlebt hatte und hier seinen Lebensabend verbrachte. "Das Dachau-Lied hat mich schon alleine deshalb immer beschäftigt", sagt Kreul. Zum 76. Jahrestag der Befreiung des KZs Dachau am 29. April 1945, stellt die KZ-Gedenkstätte den Podcast "Das Dachau-Lied" auf ihre Homepage. Er ist Teil einer ganzen Serie mit dem schönen Motto "Die Kraft der Musik". Sie hat Kreuls Leben bestimmt, seit er als Kind zum ersten Mal auf einem Klavier spielen wollte - aber auf elterlichen Wunsch hin zunächst Blockflötenunterricht nehmen musste. Mit elf durfte er endlich Klavier spielen lernen. Es folgten Musikgymnasium und Studium an den Musikhochschulen Köln und München sowie Preise bei etlichen Wettbewerben, Auftritte in vielen Ländern als Solist und als Klavierbegleiter. Inzwischen ist er zudem Dozent am Leopold-Mozart-Zentrum der Universität Augsburg.

Im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 "hatte ich endlich Zeit, meine Ideen umzusetzen", sagt Kreul. Herausgekommen ist zunächst ein sehr persönlicher Abend mit der entsprechenden Musik an verschiedenen Orten bundesweit. Aus der Initialzündung entstand mit Unterstützung der Initiative "Neustart Kultur" und des Deutschen Musikrats eine Sammlung "von Stücken und Reflexionen, die mich begleiten und das an Orten, die mein Leben geprägt haben." So zum Beispiel im Bonner Schumann-Haus oder vor dem Beethoven-Denkmal auf dem Bonner Münsterplatz. Wie überhaupt Clara und Robert Schumann in Kreuls Leben eine ganz wichtige Rolle spielen und er seit einigen Jahren als Schumann-Botschafter Leben und Werke des Ehepaars intensiv erforscht.

Das ist auch in den vielen Workshops zu erleben, die Kreul regelmäßig veranstaltet - wenn die Corona-Pandemie ihm nicht gerade eine Zwangspause verordnet. So gibt es den Europäischen Musikworkshop Altomünster (EUMWA) bereits seit 15 Jahren. Aus den bekannten Gründen konnte er 2020 und 2021 nicht stattfinden. Für Kreul, Initiator und künstlerischer Leiter von Anfang an, ist das mehr als eine Enttäuschung. Er bedauert vor allem, dass dem musikalischen Nachwuchs so viele Chancen geraubt werden, dass sie derzeit nur sehr eingegrenzt erleben können, was für ihn essenziell ist: "Musik ist immer Kommunikation. Es passiert immer wieder das Gleiche. Alle Ebenen heben sich auf. Die Kraft der Musik verbindet Zuhörer und Spieler." Nicht zuletzt verbinden diese Workshops auch die jungen Musiker. Das zeigt sich schon daran, dass etliche mittlerweile zu Meisterschülern geworden sind - und einige eigene Ensembles gegründet haben oder Musikworkshops planen. So etwa der Pianist Stefan Pitz, mit dem Kreul im vergangenen November in Eupen ein belgisch-deutsches Musikwochenende organisiert.

Gut möglich, dass die beiden Klaviervirtuosen den alljährlichen Meisterkurs in Benediktbeuern im Sommer auch für weitere Vorbereitungen nutzen. Womöglich gerade weil Kreul deutlich spürt, "dass uns allen die Luft ausgeht". Doch er weiß: "Musik hat auch eine therapeutische Wirkung. Aber die Scheren im Kopf müssen weg. Hintergrundmusik in einer Kneipe kann dazu beitragen, seine Sorgen endlich einem Freund anzuvertrauen. Mir macht Fahrstuhlmusik manchmal das Leben leichter, und trotzdem lebe ich für und mit höchster Klassik."

Wenn Sie eine Kandidatin oder einen Kandidaten für den SZ-Kulturpreis vorschlagen wollen, schreiben Sie bitte bis 30. April eine E-Mail an tassilo@sz.de.

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