Tarifverhandlungen:Operation neue Stellen

Tarifverhandlungen: SPD-Kreisrat Martin Güll moniert die unklare Datenbasis für das Helios-Klinikum Dachau.

SPD-Kreisrat Martin Güll moniert die unklare Datenbasis für das Helios-Klinikum Dachau.

(Foto: Toni Heigl)

Die Gewerkschaft Verdi will einen Personalschlüssel für Helios durchsetzen. Das Unternehmen wirbt um Pflegekräfte in Neapel.

Die Gewerkschaft Verdi will in 21 ausgewählten Kliniken in ganz Deutschland einen neuen Tarifvertrag durchsetzen. In Bayern sind dabei: Augsburg, Günzburg und die Helios Amperklinikum AG mit den beiden Häusern in Dachau und Markt Indersdorf. Die Belegschaft an hundert Kliniken soll diese Verhandlungen durch Warnstreiks und Aktionen unterstützen. Entscheidend am neuen Tarifvertrag ist die Einführung eines Personalschlüssels für Pflegekräfte. Auf diese Weise will die Gewerkschaft das alte, im Jahr 1996 abgeschaffte System wiederbeleben, um 70 Stellen für Dachau zu schaffen.

Derweil verweist Helios auf "eine groß angelegte Recruitingoffensive in Neapel" in Italien. "Die Bilanz nach über 60 geführten Bewerbungsgesprächen innerhalb von zwei Tagen: 15 neue Pflegekräfte für die Helios Kliniken München und Dachau." Die studierten italienischen Pflegekräfte besuchten gerade Sprachschulen. "Im November werden sie ihre Arbeit bei uns aufnehmen. Ihre Anerkennung zum Gesundheits- und Krankenpfleger erhalten sie automatisch mit dem arbeitsbegleitenden Abschluss des Deutschkurses in München." Außerdem würden Auszubildende der hauseigenen Krankenpflegeschule übernommen. Helios hat 14 vakante Stellen am Klinikum errechnet: "Wir können weder die Datengrundlage noch diese Zahl 70 von Verdi nachvollziehen."

Bis zum Jahr 1996 hatte der Bundestag als Gesetzgeber festgelegt, wie das Verhältnis von Patienten zu Pflegekräften aussehen muss. Auf dieser Grundlage ist Verdi auf 70 zusätzliche Stellen gekommen. Die Tarifverhandlungen beginnen am Dienstag, 29. August. Bis dahin will Verdi-Vertreter Christian Reischl gemeinsam mit dem Helios-Betriebsrat belastbare Statistiken zusammentragen, um die Forderung nach so viel Personal definitiv zu belegen.

Martin Güll kritisiert die unzureichende Datenbasis

Die SPD-Kreistagsfraktion versucht die Tarifverhandlungen zu unterstützen, indem sie den Beschäftigten am Klinikum einen Fragebogen zukommen lässt, auf dem sie ihre Tätigkeit einschätzen sollen. Die Befragung wird im September beginnen. Der SPD-Landtagsabgeordnete und Kreisrat Martin Güll kritisiert die unzureichende Datenbasis, auf der bisher über die Zukunft von Helios gesprochen wird. Während die Arbeitnehmervertretung nicht über genügend Informationen verfüge, weigere sich die Klinikleitung, Statistiken zu veröffentlichen. Außerdem habe er in Gesprächen sowohl mit der Geschäftsführung als auch mit Betriebsrat und Beschäftigten festgestellt, dass die Belastungsgrenze des Personals unterschiedlich eingeschätzt wird. So sei die Unternehmensführung der Ansicht, wesentlich mehr von den Pflegekräften abverlangen zu können, als die Betroffenen für zumutbar halten.

Anscheinend spielen in der Debatte die älteren Pflegekräfte eine maßgebliche Rolle. Denn sie wollen an dem Berufsbild festhalten, das sich noch am offiziellen Pflegeschlüssel orientierte. Damals habe das Personal noch Zeit gehabt, Patienten seelisch zu betreuen, und sei nicht im Akkord durch den Tag getrieben worden. In vielen Diskussionen der vergangenen Wochen und Monaten wurde deutlich, dass die Debatte über den Pflegenotstand eine über das Berufsbild ist. In der Charité in Berlin setzte Verdi vergangenes Jahr erstmals den neuen Tarifvertrag durch. Allerdings mit einem "Fehler", wie Verdi-Vertreter Reischl einräumt. Es seien keine Sanktionen bei Verstößen gegen den Pflegeschlüssel vereinbart worden. Helios werde ein modifizierter Tarifentwurf vorgelegt.

Kreisräte sprechen von teils unhaltbaren Zuständen

Verdi hat Dachau für den Tarifkonflikt ausgewählt, weil seit fast einem Jahr Patienten und Pflegekräfte ihre Unzufriedenheit öffentlich geäußert und auch dokumentiert haben. Mitglieder des Kreistags sprachen selbst von teils unhaltbaren Zuständen in Dachau. Außerdem fordert Verdi eine pauschale Erhöhung aller Gehälter im Pflegebereich um 4,5 Prozent und mindestens 200 Euro, also auch für Hilfskräfte und andere berufliche Sparten wie Ergotherapeuten, Rettungskräfte im Krankentransport oder in der Verwaltung. Sie seien ohnehin unterbezahlt, sagt Reischl. Für sie wolle Verdi einen neuen Tarifvertrag mit einer höheren Einstufung erreichen.

Christian Reischl hofft darauf, dass die Belegschaft die Gewerkschaft massiv unterstützt. Denn der bestehende Haustarifvertrag hat aus seiner Sicht einen schwerwiegenden Nachteil. Wenn jemand von Helios in Dachau an ein anderes Klinikum wechseln wolle, verliere er an Einkommen. Für dessen Höhe ist die Betriebszugehörigkeit maßgeblich. Mitarbeiter aus Dachau würden vertraglich zurückgestuft. Bei Pflegekräften mit Verdi-Verträgen würden die Zeiten eingerechnet. In diesem Zusammenhang bedauert Reischl ein "Missverständnis". Auf einer Podiumsdiskussion der Partei Die Linke hatte er gesagt, dass der Haustarifvertrag Helios-Mitarbeiter in die Altersarmut treibe. Sämtliche Vertreter des Kreistags hatten protestiert. Der Landkreis hält einen Anteil von 5,1 Prozent an den Amperkliniken. Jetzt sagt Reischl: "Ich habe den Passus über die Zusatzversorgung nicht richtig gelesen.

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