Süddeutsche Zeitung

Tagebücher von Kardinal Faulhaber:Nüchterner Chronist

Kardinal Michael von Faulhabers Aufzeichnungen '45 sind erschienen

Von den Tagebüchern des Münchner Kardinals Michael von Faulhaber (1869-1952) lässt sich nun der Jahrgang 1945 online nachlesen. Aus den Aufzeichnungen geht hervor, wie der Kirchenmann das Kriegsende erlebte, was er über das Konzentrationslager Dachau wusste und wie er sich bei der US-amerikanischen Militärregierung für NS-belastete Persönlichkeiten einsetzte. Im Rahmen der wissenschaftlichen faulhaber-edition.de soll noch in diesem Jahr der Jahrgang 1946 folgen.

Faulhabers nahezu tägliche Aufzeichnungen sind von 1911 bis 1952 erhalten und gelten Historikern als einzigartiges Dokument. In einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Projekt werden die Tagebücher seit 2015 veröffentlicht. Federführend sind der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) in München, Andreas Wirsching, und der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf.

Trotz der totalen Zerstörung Münchens, das Faulhaber mit Pompeji nach dem Ausbruch des Vesuvs verglich, habe den Kardinal das Kriegsende offenbar wenig bewegt, erklärte Wolf bei der Vorstellung des Jahrgangs. Anders als 1918 habe es ihm weder schlaflose Nächte noch Herzrasen bereitet und zu keinen tieferen Reflexionen geführt. Als "nüchterner Chronist", so Wolfs Mitarbeiter Philipp Gahn, habe Faulhaber in den letzten Kriegstagen seine Beobachtungen notiert. Unter anderem auch die Beobachtung, als nach einem Bombenangriff auf Freising mit vielen Toten eine Mutter die verstreuten Körperteile ihrer Kinder in einem Kübel aufsammelte. Mit dem Sinn dieses Leides habe er sich in seinen Tagebüchern nicht beschäftigt.

Vom Konzentrationslager Dachau wenige Kilometer nördlich von München besaß der Kardinal seinem Tagebuch zufolge nur vage Informationen, hauptsächlich von Geistlichen, die ihm nach ihrer Entlassung berichteten. Offenbar hatte Faulhaber selbst Angst, nach Dachau zu kommen. Als ihn ein US-Offizier befragte, fühlte er sich in die Defensive gedrängt und reagierte pikiert. Die Kollektivschuldthese lehnte Faulhaber radikal ab. Die Verbrechen der Nationalsozialisten verglich er mit den Kriegsgräueln der Amerikaner. Mit seiner eigenen Verantwortung setzte er sich nicht auseinander. Wirsching sagte, diese Haltung wirke heute möglicherweise selbstgerecht oder gar bigott. Allerdings habe sich Faulhaber damit im "Mainstream" dessen bewegt, wie sich Deutsche bis in die 1960er Jahre hinein mit dieser Frage auseinandergesetzt hätten.

Gleichwohl zeigten andere Quellen, dass es schon bald nach 1945 im deutschen Katholizismus auch andere Stimmen gegeben habe, so Wirsching. Er zitierte einen Brief Konrad Adenauers aus dem Februar 1946. Darin sieht der spätere Bundeskanzler eine Mitschuld der Bischöfe und des Klerus, die sich nicht genügend gegen die Gleichschaltung durch die Nazis gewehrt hätten.

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SZ vom 18.02.2019 / KNA
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