Süddeutsche Zeitung

Szenario:"Wir lieben Farben!"

In der Sparkasse Dachau Süd zeigen Hobbymaler mit und ohne Handicap Werke voller Leidenschaft und Lebensfreude

Von Jana Rick, Dachau

"Kunst kennt keine Behinderung." Das mag wie eine Floskel klingen, aber bei der Vernissage des Projekts "Kunst und Begegnung" kann man genau das anhand von acht Bildern sehen. Kunst kennt keine Blindheit, das zeigt zum Beispiel Silvia Ketterle, die an Retinitis Pigmentosa erkrankt ist und fast blind ist. Doch das hält sie nicht vom Malen ab. Gleich drei Gemälde hängen von ihr in der Ausstellung in der Sparkasse Süd, die sich dieses Jahr "Interpretationen" nennt. Die Mitglieder der Malgruppe, mit und ohne Handicap, bekamen die Aufgabe, sich bekannte Bilder von Dachauer Künstlern vorzunehmen und diese neu zu interpretieren. Dabei kam es nicht auf die Details an, sondern darum, wie jeder einzelne die Motive sieht. Und so entstanden wundervolle, neu interpretierte Gemälde, Alleebäume in der Münchnerstraße, Dachauer Moorlandschaften, das Augsburger Tor und ein Blick auf Steinkirchen. Die Aquarelle könnten unterschiedlicher nicht sein, von abstrakter bis fast zierlicher Kunst ist in der Ausstellung alles vertreten.

Die Schöpfer können auf ihre Ergebnisse stolz sein, das betont Christine Unzeitig, Vorstand des Vereins "Behinderte und Freunde, Stadt und Landkreis", bei der Eröffnung der Vernissage. Denn so manch eine Herausforderung stellte sich den Künstlern während des Malprozesses durchaus. Ketterle kann nur noch wenige Pigmente deutlich sehen; nur wenn sie nah genug an die Leinwand herangeht, kann sie die Einzelteile gut erkennen. Nach einer Stunde Malen muss sie oft eine Pause machen, weil ihre Augen zu tränen beginnen. Die Farben ordnet sie sich immer in der gleichen Reihenfolge an, nur so kann sie sicher sein, dass sie nach der richtigen Farbe greift. "Grün ist immer oben rechts und Blau links unten entgegengesetzt", erklärt sie. Trotzdem kommt es manchmal dazu, dass sie etwas verwechselt, schließlich kann sie helle Farben nicht unterscheiden, und auch dunkle Farben erscheinen ihr alle gleich. "Da hatte ich dann einmal plötzlich einen grünen Himmel, weil ich Weiß mit Gelb verwechselt habe", sagt die Künstlerin und lacht. Aber solche Missgeschicke nimmt die Gruppe mit Humor. Dann ist der Himmel eben mal grün, das haben die Expressionisten ja auch so gemacht. In der Kunst ist jeder frei in seinem Schaffen.

Die Kreativität ist auch in Gerhardt Josef Folkners Bild zu erkennen. Der 31-Jährige mit Down-Syndrom wohnt in der Außenwohngruppe des Franziskuswerkes Schönbrunn und malt seit zwei Jahren mit großer Leidenschaft in der Gruppe. Sein ausgestelltes Werk beruht auf einem Bild von August Pfaltz, "Etzenhausener Leiten", das die Opfer vom Leitenberg darstellt. Folkner erklärt, dass er am liebsten Gefühle malt, in seiner Interpretation stehen die Kerzen und ein schwarzer Streifen für die unschuldigen Opfer. Bei einem so traurigen Thema überraschen den Betrachter die vielen kunterbunten, lachenden Gesichter im Bild, die der fröhliche junge Mann mit nur wenigen Worten begründet: "Ich möchte nicht traurig malen." Man merkt, dass er sich schwer tut, sich klar auszudrücken, doch in seinen Bildern macht ihm das keine Schwierigkeiten, denn dann ist er in seiner Welt. Seine Mutter Christa Folkner ist auch Teil der Malgruppe. Sie sagt: "Sobald er den Pinsel in die Hand nimmt, ist er völlig versunken. Dann malt er einfach."

Jedes Mitglieder der Malgruppe verbinden etwas anderes mit seinem künstlerischen Hobby, auch das ist aus der Vielfalt der Bilder zu lesen. Doch die Farbenfröhlichkeit durchzieht alle Gemälde: Bäume strahlen in kräftigem, saftigem Grün und Flüsse schlängeln sich tiefblau durch das Dachauer Land. "Wir lieben Farben", sagt Gerhardt Folkner. Und noch eine Gemeinsamkeit lässt sich erkennen: Das Selbstbewusstsein, die die acht Bilder ausstrahlen. Jeder Künstler malt mit großer Leidenschaft und steht zu seinem Malstil, das erkennt man auf den ersten Blick. Vielleicht bezeichnet Geschäftsstellenleiter der Sparkasse Süd, Franz Wagner, auch deswegen die Ausstellung als etwas besonderes, deren Werke "berühren". Noch bis 10. August sind die Gemälde während der Schalteröffnungszeiten zu bewundern.

Was die Künstler zum Malen bringt, diese Frage beantworten alle Aussteller unterschiedlich. Für Andreas Braun, der das Augsburger Tor neu interpretierte, bedeutet das Malen Entspannung und Stressabbau. Folkner sagt einfach nur: "Weil ich so bin." Für Ketterle hat das Malen noch eine weitere wichtige Bedeutung. Da sie zunehmend die Sehkraft verliert, versucht sie noch so viel wie nur möglich zu malen wie sie kann. "Ich sammle Bilder für das innere Auge."

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Quelle:
SZ vom 21.07.2018
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