SZ-Serie: Wandel durch Wachstum, Folge 4:Natur unter Druck

Steigende Einwohnerzahlen, neue Baugebiete und mehr Verkehr: Im Landkreis Dachau schwinden die Lebensräume für seltene Tiere und Pflanzen - viele Arten sind schon akut bedroht

Von Franziska Stolz, Dachau

Die Reize der Gegend liegen auf der Hand: Nah an München dran und doch noch ländlich, bietet der Landkreis Dachau nicht nur ein etwas bezahlbareres Leben als in der Landeshauptstadt, sondern auch Natur vor der Haustür. Immer mehr Menschen ziehen deswegen in den Landkreis. Der Bevölkerungsboom wird aber nicht spurlos an der Landschaft vorübergehen. Die Umweltexperten Esther Veges und Sebastian Böhm bewerten die Situation im Ballungsraum Dachau für viele seltene Tiere und Pflanzen schon jetzt als äußerst prekär, sehen aber Möglichkeiten, dem wachsenden Druck auf die Umwelt zu begegnen.

Ampertaler September 2017 Duftlauch

Das Ampertal ist ein Refugium für seltene Tier- und Pflanzenarten. Auf den Wiesen wachsen Duftlauch und Seidelbast.

(Foto: oh)

Die Einwohnerzahl im Landkreis Dachau steigt. Laut Statistischem Landesamt wird der Landkreis bis 2036 mit einem Wachstum von 15,5 Prozent auf etwa 174 000 Einwohner die größte Bevölkerungszunahme aller bayerischen Landkreise haben. Mit dem rasanten Bevölkerungswachstum steigt der Bedarf nach neuem Siedlungsraum, Infrastrukturen und Gewerbeflächen. Diesem Bedarf nachzukommen - die Prognose liegt nahe - wird auf Kosten der Natur gehen.

Als Gebietsbetreuer des Ampertals durchstreift Böhm die Lebensräume, die sich entlang der Amper durch den ganzen Landkreis ziehen. Er erfasst dabei die Populationen bestimmter Arten und registriert eine negative Entwicklung. Viele von ihnen sind vom Aussterben bedroht. "Die Ursachen sind mehr oder weniger immer dieselben," sagt Böhm. "Zum einen der direkte Lebensraumverlust, sei es durch Bebauung oder durch eine intensivere Landnutzung, der das Fortbestehen vieler Arten gefährdet. Zum anderen werden durch Siedlungs- und Straßenbau Populationen voneinander abgetrennt. Diese Verinselung erhöht das Aussterberisiko zusätzlich."

15,5 Prozent

beträgt das Wachstum der Einwohnerzahl im Landkreis Dachau bis zum Jahr 2036. Laut Statistischem Landesamt werden dann etwa 174 000 Menschen im Landkreis leben. Mit der rasanten Zunahme der Bevölkerung steigt der Bedarf nach neuem Siedlungsraum, Infrastrukturen und Gewerbeflächen. Das Wachstum geht auf Kosten der Natur. Schon jetzt sind im Landkreis viele Tier- und Pflanzenarten bedroht.

Drei Gebiete im Landkreis - das Ampertal, das Weichser Moos und die Gräben- und Niedermoorreste des Dachauer Mooresw - sind als FHH-Gebiete (Flora-, Fauna-Habitat) im europäischen Netz der Schutzgebiete aufgenommen. Zusätzlich gibt es noch einige Landschaftsschutzgebiete, zum Beispiel das Palsweiser Moos, und diverse kleinere geschützte Flächen. Zunächst mag das viel erscheinen, doch im Verhältnis zu anderen Landkreisen habe der Landkreis Dachau immer noch zu wenig geschützte Flächen, sagt Esther Veges, Geschäftsführerin des Landschaftspflegeverbands Dachau.

Landschaftspflegeverband

Sie bitten um Rücksichtnahme in der Natur: Esther Veges und Sebastian Böhm erfassen Tiere und Pflanzen im Ampertal.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Zu der ohnehin verbesserungswürdigen Lage kommen die steigenden Bevölkerungszahlen hinzu. "Aufhalten kann man den Zuzug natürlich nicht," sagt Veges. "Aber diese Entwicklung hat tatsächlich große Auswirkungen auf den Naturschutz." So würde eine Bodenversiegelung durch den Bau benötigter Siedlungsgebiete und neuer Infrastrukturen zu verstärkt auftretenden Hochwasserereignissen führen, weil das Wasser nicht mehr abfließen kann. Böhm gibt einen weiteren Aspekt zu bedenken: "Durch die Bodenversiegelung haben wir zum Teil Probleme mit der Grundwasserneubildung. Das kann langfristig sogar zu Problemen bei der Trinkwasserversorgung führen."

Der Zuzug ins Dachauer Umland bringt auch ein stark ansteigendes Verkehrsaufkommen mit sich. Dem Kraftfahrt-Bundesamt und dem Landesamt für Statistik zufolge wuchs die Bevölkerung zwischen 2007 und 2015 um knapp neun Prozent, die Zahl der Kfz-Zulassungen um 16 Prozent. Ein erhöhtes Verkehrsaufkommen habe nicht nur Luftverschmutzung, sondern zusätzlich eine Bodenversauerung zur Folge, da die Stickstoffausstoße oder Schwefelabgase sich im Boden absetzen und dessen Zusammensetzung verändern, so Veges.

Die Experten Veges und Böhm sehen als Konsequenz des Bevölkerungswachstums auch voraus, dass sich der Freizeitdruck auf die Naturflächen weiter erhöht. Ein Problem sei das zunächst besonders für störungsempfindliche Arten wie den bodenbrütenden Kiebitz, erklärt Böhm. Der ist in der Gegend schon vom Aussterben bedroht, also hält der Landschaftspflegeverband die Menschen an, zu bestimmten Zeiten, zu denen die Vögel brüten und ihre Nester bauen, diese Bereiche zu meiden. "Wenn nur einer von einer Million Menschen sich nicht dran hält, dann kann das schon dazu führen, dass die Brut für diese Saison zerstört ist," sagt Veges.

Nicht immer sei die Missachtung von Regeln mutwillig, sondern einfach Unkenntnis geschuldet, so Veges. So könne es auf einer Wanderung passieren, dass man beim Picknick in einer schön blühenden Wiese versehentlich auf einer Pflanze sitzt, die auf der Roten Liste steht. Böhm sieht den Schlüssel zu diesem Problem in niedrigschwelligen Informationsangeboten, beispielsweise in Form von Apps, mit denen man Pflanzen bestimmen kann. Schnell ein Foto von einer Blume gemacht, schon könne die App fachlich richtige Informationen vermitteln - auch, ob es sich um eine bedrohte Art handelt.

Als Reaktion auf das Bevölkerungswachstum schlagen Veges und Böhm verschiedene kleine Maßnahmen vor, die in der Summe viel bewirken könnten. Kommunen müssten weiter Ausgleichsflächen für Wohnraum schaffen, Landwirte auf Gewässer- und Erosionsschutz achten. Besonders wichtig sei es aber den Menschen bewusst zu machen, dass sie auch Verantwortung tragen, wenn sie Natur als Freizeitraum nutzen. "Es gibt Arten, die schon ausgestorben sind, die werden wir in einen so dicht besiedelten Raum wie den Landkreis Dachau nicht mehr zurückbringen", sagt Böhm. "Aber wir können es zumindest schaffen den Status Quo zu halten, wenn man ein paar Weichen richtig stellt."

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