SZ-Serie: Wandel durch Wachstum, Folge 3:Teil der Familie

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Viele Handwerksbetriebe in der Region leiden unter einem akuten Fachkräftemangel. Die Bäckerei Polz in Ampermoching beschäftigt Flüchtlinge aus zehn Nationen, ohne die der Betrieb nicht laufen würde

Von Jana Rick, Hebertshausen

Um 8 Uhr ist der Arbeitstag in der Backstube von Bäcker Polz in Ampermoching fast schon zu Ende. Rollwagen mit Tabletts voller frischer Brote und Brezn werden durch die große Halle des Familienbetriebes geschoben, Mehl wird vom Boden aufgekehrt, die Maschinen sauber gemacht. Eshaq Alizada klopft sich die Hände an seiner Schürze ab, der Konditor arbeitet seit drei Jahren in der Bäckerei Polz und kommt aus Afghanistan. Eigentlich ist er gelernter Schneider, doch in diesem Beruf fand er in Deutschland vorerst keine Arbeit. Jetzt ist er über seine Anstellung in der Bäckerei sehr froh.

Thomas Polz ist froh, dass sich sein Sohn Simon nach einer Ausbildung zum Steuerfachgehilfen doch für die Bäckerei entschieden hat. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Wie er arbeiten neun weitere Flüchtlinge bei Bäcker Polz in der Backstube. Fragt man nach dem Grund, so antwortet Thomas Polz: "Aus reiner Not." Wie viele Handwerksbetriebe leidet der seit 1970 tätige Bäckermeister unter akutem Fachkräftemangel. "Keiner möchte mehr Bäcker werden.", klagt er. Sein 29-jähriger Sohn Simon Polz sieht die mangelnde Anerkennung für den Bäckerberuf als Grund für die sinkende Zahl an Auszubildenden: "Ohne Abitur bist du nichts mehr. So denken viele. Und dann ist das Handwerk natürlich aus den Augen der jungen Leute." Natürlich würden auch die Arbeitszeiten den Beruf unattraktiv machen. Die Mehrzahl der Angestellten bei Bäcker Polz beginnt um 2.30 Uhr, um den Kunden dann morgens frisches Brot anbieten zu können. Simon Polz hat bereits am Vorabend um 22 Uhr angefangen, Teige zu mischen. Er hat sich an die Arbeitszeiten des Bäckerberufes gewöhnt und sieht das Positive daran. Er freut sich, um 10 Uhr alleine schwimmen zu gehen, während andere arbeiten. Mittags legt er sich dann schlafen.

Die Idee, den Fachkräftemangel mit Flüchtlingen zu bekämpfen, hatte Thomas Polz vor einigen Jahren, als er am Fenster seiner Bäckerei stand und auf der Straße Flüchtlinge vorbeiradeln sah. Als er dann einmal in der Flüchtlingsunterkunft fragte, ob denn jemand von den jungen Ausländern bei ihm arbeiten wolle, hätten sich gleich alle um ihn gedrängt. Heute zählt Thomas Polz stolz die lange Liste der Herkunftsländer seiner Mitarbeiter auf: Somalia, Kosovo, Libyen, Nigeria . . . Menschen aus zehn Nationen arbeiten bei ihm. Drei der Flüchtlinge machen sogar eine Ausbildung zum Bäcker, einer hat diese bereits erfolgreich abgeschlossen. Polz ist stolz auf seine Schützlinge, die zusätzlich zum Handwerk noch Deutsch lernen müssen und trotzdem die Kurse in der Berufsschule meistern. Die Sprache sei die größte Herausforderung für seine ausländischen Mitarbeiter. Simon Polz erklärt, dass er den Flüchtlingen teilweise mit Händen und Füßen das Backhandwerk beibringt, doch irgendwie geht es immer.

Auch Gebre und Liban sind Teil des Teams. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Nur sehr selten kommt es in der Backstube zu Streitigkeiten aufgrund der unterschiedlichen Kulturen. Polz erinnert sich an einen Flüchtling, der sich von den japanischen Konditorinnen nichts beibringen lassen wollte, diese missachtete. Doch im Großen und Ganzen klappt die Zusammenarbeit. Einige Mitarbeiter würden sich beispielsweise für den Ramadan Urlaub nehmen, ein anderer verzichtete für die Arbeit auf das Fasten. "Ramadan is over", habe er plötzlich beim Mittagessen gesagt und in eine Leberkässemmel gebissen. Thomas Polz lacht, wenn er Anekdoten wie diese über seine Angestellten erzählt. Sie sind für ihn Teil der Familie. Vor einigen Jahren hat er sogar zehn Wohneinheiten bauen lassen, damit seine Angestellten eine Unterkunft haben. "Wir haben nicht nur einen Fachkräftemangel, sondern auch einen Wohnungsmangel", so der Bäcker.

Eshaq Alizada arbeitet seit drei Jahren in der Bäckerei. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Er betont auch, dass die Integration seiner Angestellten ohne die Helferkreise nicht funktionieren würde. Sie erledigen Behördengänge mit den Flüchtlingen und helfen ihnen bei der Organisation der Ausbildung. "Ohne die Helfer hätten wir hier keinen einzigen Flüchtling in der Backstube", so Polz. Der 64-Jährige hat auch hin und wieder mit Vorurteilen außerhalb der Backstube zu kämpfen. Einmal habe ihn jemand beim Einkaufen gefragt, ob er einen "Braunbären" beschäftigen würde. Erst später habe er verstanden, was damit gemeint war. "Manche denken auch, ich kann mit der Beschäftigung von Flüchtlingen billiger produzieren." Dabei versuche er doch nur, den Familienbetrieb aufrecht zu erhalten. Im Landkreis Dachau sei das besonders schwer, weil große Industrien wie MAN und der Flughafen München auch Bäcker anstellen. Dennoch ist der Landkreis laut Peter Denk, Geschäftsführer der Bäckerinnung Dachau, über all die Jahre ein stabiler Garant für gute Ausbildung im Handwerk. In den letzten Jahren wurden im Durchschnitt etwa acht Bäcker und vier Verkäufer im Landkreis ausgebildet, 1990 waren es noch drei Bäcker und drei Verkäufer jährlich. "Ein wesentlicher Zuwachs, zumindest regional bezogen", so Denk und ergänzt: "Rein objektiv gesehen sind wir also sehr gut aufgestellt." Der Geschäftsführer betont, dass die Bäckerinnung gemeinsam mit den Betrieben weiterhin in der Öffentlichkeit präsent sein müsse. Die Beteiligung an Ausbildungsmessen gebe den Betrieben die Möglichkeit, für den Bäckerberuf und die Ausbildungen zu werben. Aktionen wie das "Hexenhaus" in der Adventszeit würden zudem das Bäckerhandwerk in das Bewusstsein der Dachauer bringen.

Polz ist auf jeden Fall froh, dass sich sein Sohn damals nach einer begonnenen Ausbildung zum Steuerfachgehilfen doch noch für den Bäckerberuf entschieden hat. "Wenn man weiß, dass es weiter geht, orientiert man sich anders", erklärt Polz Senior. Er selbst möchte auf jeden Fall noch so lange wie möglich arbeiten, sagt er lachend: "Meine Frau meint immer, es wird gearbeitet, bis man in die Grube fällt." Für die Zukunft hofft er, dass keine seiner ausländischen Mitarbeiter abgeschoben werden, sondern weiter bei ihm arbeiten dürfen. Damit nicht nur die Backkunst des Familienbetriebes von Generation zu Generation weitergegeben wird, sondern auch die multikulturelle "Familie Polz" weiter wächst.

© SZ vom 10.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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