Süddeutsche Zeitung

"Geschichten aus dem Dachauer Land":Das Dorf der "Irrgläubigen"

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Anfang des 19. Jahrhunderts entstand in Oberumbach eine Bewegung, die sich von der katholischen Kirche abspalten wollte.

Von Renate Zauscher

Wer von Unterumbach kommend den steilen Berg nach Oberumbach hinauffährt hat den Eindruck, in einem noch weitgehend bäuerlich geprägten Ort anzukommen: Große landwirtschaftliche Gebäude bestimmen vor allem rund um die Kirche das Bild. Der Eindruck täuscht jedoch: Während über Jahrhunderte zumeist zwischen elf und zwölf Höfe beziehungsweise "Feuerstellen" in Oberumbach existierten, gibt es heute lediglich noch einen einzigen Milchviehbetrieb im Ort.

Die Geschichte des mit 145 Bewohnern nur kleinen Dorfs in der Gemeinde Pfaffenhofen reicht weit zurück in die Vergangenheit. 814 wird "Ominpach" erstmals urkundlich erwähnt. Dabei geht es um die Schenkung eines Priesters Freido, der seinen Besitz einschließlich einer Kirche dem Hochstift Freising übergibt. Unklar ist allerdings, ob mit "Ominpach", dessen Bezeichnung auf einen Gründer namens "Omo" zurückgeführt wird, tatsächlich Oberumbach gemeint ist und nicht das nahe Unterumbach im Tal. Sehr früh schon muss es einen Adelssitz in Oberumbach gegeben haben. So besaß das Geschlecht der Eisenhofener im Glonntal zahlreiche Burgen, Bauernhöfe und ganze Dörfer. Bereits 1266 taucht laut der vor zwei Jahren erschienenen Chronik der Gemeinde Pfaffenhofen in einem "Thurnierbuch" der Name eines "Seyfried de Umpach" auf. "Niderompach" wird 1298 in einem Teilungsbrief erwähnt; 1438 wird Jörg II. von Eisenhofen in Oberumbach geboren. Im 17. und 18. Jahrhundert hat hier die bedeutende Münchner Familie Liegsalz Besitzungen. Von der noch im 16. Jahrhundert erwähnten "Burg" ist heute allerdings keine Spur mehr vorhanden.

Rund eintausend Jahre nach der urkundlichen Ersterwähnung spielt Oberumbach noch einmal eine heute zwar weitgehend vergessene, dennoch aber wichtige Rolle in der Geschichte: Als einer der Schauplätze nämlich, auf dem sich der Kampf zwischen katholischer Kirche und den vom Pietismus beeinflussten Abspaltungsbewegungen im 19. Jahrhundert abspielte. Im Umfeld von Oberumbach war es der 1774 im nahen Baindlkirch geborene und in Bayerzell aufgewachsene Ignaz Lindl, der als Pfarrer von Baindlkirch und später Gundremmingen die Menschen mit seinem Charisma und seinen neuen Ideen begeisterte. Lindl gilt als Begründer des innerkirchlichen Separatismus in Bayern. Über den Kontakt zu verschiedenen Vertretern der "Allgäuer Erweckungsbewegung" entwickelte er Überzeugungen, die ihn immer mehr von der Lehre der katholischen Kirche wegführten. In seinen Predigten, zu denen zuletzt Tausende von Menschen strömten, stellte er Christus in den Mittelpunkt. "Maria und die Heiligen können uns nicht helfen", soll Lindl erklärt haben. So wie auch viele heutige "wiedergeborene Christen" glaubte er an die baldige Wiederkunft Christi und den Anbruch eines tausendjährigen Friedensreiches, auch an die Befähigung jedes Einzelnen, die Bibel für sich zu interpretieren und danach zu leben.

Die etablierte Kirche wehrte sich: Es kam zu Anklagen von Priesterkollegen, zur Amtsenthebung, schließlich zu Lindls Versetzung nach Gundremmingen. Dort predigte Lindl weiter. Zeugen berichten von dessen unglaublicher Beredsamkeit und den tief beeindruckten Zuhörern. All das konnte nicht gut gehen. Lindl muss unter immer stärker werdendem Druck Gundremmingen verlassen, geht nach Russland, heiratet seine frühere Haushälterin und gründet schließlich in Bessarabien, dem heutigen Moldawien, nach Genehmigung durch den Zaren Alexander I., den Kolonistenort Sarata. Dort wollte Lindl eine "wahrhaft christlich-apostolische Gemeinde Gottes" nach dem Vorbild der Herrnhuter Brüder gründen. 70 Familien aus Württemberg und Bayern folgten seinem Ruf, machten sich mit 30 Planwagen auf den außerordentlich strapaziösen Weg und trafen 1822 in Sarata ein. Auf Betreiben Metternichs musste Lindl allerdings bereits 1824 Sarata wieder verlassen. Zurück in Deutschland trat er zur Lutherischen Kirche über, überwarf sich aber auch mit ihr und starb 1845 als Prediger einer Nazarener-Gemeinde in der Nähe von Wuppertal.

In Oberumbach und den umliegenden Dörfern muss Ignaz Lindl bereits früh Anhänger gehabt haben. Im Pfarrarchiv Egenburg existiert ein Schreiben, in dem Pfarrer Jakob Hinterholzer 1821 vom Erzbischöflichen Ordinariat beauftragt wird, "auf diskrete Weise alles zur Belehrung und Beruhigung" eines erkrankten Bauern in Bayerzell zu tun und die Krankenbesuche eines von Lindl beeinflussten "Mystikers" sofort zu melden.

Auch nach Lindls Tod bleiben seine Anhänger in Oberumbach und Pfaffenhofen offensichtlich seiner Lehre treu. In der Pfaffenhofener Chronik ist festgehalten, dass der Ortspfarrer Jakob Wimmer 1851 fünf Personen als "Anhänger der Lindl`schen Sekte" an seine Kirchenoberen meldet. Diese Sekte, schreibt Wimmer zwei Jahre später, grassiere bereits "seit 40 Jahren in der Umgebung". Pfarrer Wimmer nennt die Verdächtigen beim Namen: Es seien dies Ulrich Huber, "Asambauer" in Oberumbach, Maria Geiler, Peterbäuerin (in Pfaffenhofen), außerdem Maria Merk aus Pfaffenhofen sowie Anton Huber, "Schambergersohn von Oberumbach" und die Witwe Margaretha Winterholler in Unterumbach. Vorsteher der Gruppe sei ein Simon Neumayer aus Eismannsberg. Der Pfarrer schreibt in seinen Seelsorgeberichten von Zusammenkünften in Privathäusern, willkürlicher Auslegung der Heiligen Schrift, Abhaltung des Abendmahls und die Sitte des "Bruderkusses ohne Unterschied des Geschlechts". Maria Merk werde als vom heiligen Geist erwählte Prophetin betrachtet.

Bedenkzeit für die Abtrünnigen

Das Erzbischöfliche Ordinariat war beunruhigt. Im August 1853 fand eine Visite der Pfarrei Pfaffenhofen durch den damaligen Erzbischof von München-Freising, Karl August von Reisach, statt. Die "Irrgläubigen" wurden in den Pfarrhof vorgeladen und eindringlich auf die Folgen eines Abfalls hingewiesen. Bis zum 1. Oktober wurde ihnen eine Bedenkzeit eingeräumt. Die Frist verstrich, schließlich wurde Maria Geiler, Ulrich Huber und Anton Huber die Verhängung des "großen Kirchenbanns" angekündigt. Wenig später folgte von der Kanzel in Sulzemoos als zuständigem Pfarramt die offizielle Exkommunikation. Im Jahr darauf, 1854, wurde auch Jakob Huber exkommuniziert. Ein Familienangehöriger der Oberumbacher Hubers, Josef Huber in Miesberg, entging wohl nur deshalb der Exkommunikation, weil er 1854 an den "Blattern" starb. Anton Huber zog 1855 nach Württemberg in eine "Nazarener-Gemeinde", wo er 1892 starb. Seiner Heimatgemeinde vermachte er dennoch die Finanzmittel für den Bau eines Armenhauses.

Wie sehr sich die Verfolgung der Anhänger Lindls auf deren Leben auswirkte, zeigt das Beispiel eines Stephan Kiening, der 1853 die Witwe des "Hinterschusters" in Unterumbach heiraten wollte. Weil er als früherer Anhänger Lindls bekannt war, wurde ihm dies trotz mehrfacher Eingaben untersagt. Aber auch die kirchliche Beerdigung wurde all jenen verwehrt, die Lindls Lehren anhingen. So starb die exkommunizierte Maria Geiler 1866 "hartnäckig bis in den Tod im Irrthume verharrend", weshalb sie "ohne alle Ceremonien und ohne Geläute" beerdigt wurde. Als der gleichfalls exkommunizierte Ulrich Huber 1879 starb, musste er nicht nur ohne Gottesdienst beerdigt werden; selbst ein Seelenamt für alle Verstorbenen der Familie wurde verweigert.

Heute redet keiner mehr von den Lindlianern

Die Verfolgung der Lindlianer muss die Menschen in den betroffenen Orten im 19. Jahrhundert stark beschäftigt haben. Man kann sich auch heute noch gut vorstellen, welche Gerüchte und Mutmaßungen über die betroffenen Personen verbreitet wurden. Umso erstaunlicher ist es, dass sich heute in Oberumbach offenbar niemand mehr an die damaligen Begebenheiten erinnert. So weiß etwa Heinrich Heiß zwar aus der Chronik, dass Oberumbach "ein Zentrum der Lindlianer" gewesen sei, wie er es formuliert; er könne sich aber nicht daran erinnern, dass im Dorf jemals über die Sache geredet worden sei.

Einzig Josef Huber in Miesberg ist über diesen Teil seiner Familiengeschichte gut informiert. Sein Onkel Stefan Metzger hat vor Jahren alles Wissenswerte über die Familie und damit auch über ihre Verbindung zu Lindl und den Lindlianern in einer Chronik aufgeschrieben. Von seinem Vater, der seinerseits viele Begebenheiten aus seiner Zeit als Wirt in Miesberg schriftlich festhielt, hat Josef Huber gehört, dass ein Familienmitglied sogar mit nach Bessarabien ausgewandert ist und dort nach kurzer Zeit an Malaria starb. Das historische Interesse ist hier Teil einer bewusst gepflegten Familientradition.

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SZ vom 02.09.2016
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