Süddeutsche Zeitung

"Geschichten aus dem Dachauer Land":Entwicklungshelfer aus dem Elsass

Im 19. Jahrhundert modernisierten Mennoniten Bayerns Landwirtschaft. In Eichstock sind sie bis heute präsent.

Von Sonja Siegmund, Markt Indersdorf

"Zum Lobe und Verehrung des großen Gottes wurde dieses Bethaus erbaut mit der gnädigsten Bewilligung des ietzt regierenden Königs Ludwig im Jahre Christi 1841." Diese Inschrift auf einer Marmortafel über dem Eingang des mennonitischen Gotteshauses bringt Berufung und Ziele dieser Glaubensgemeinschaft gleichermaßen zum Ausdruck. Auf einer Anhöhe in dem kleinen Weiler Eichstock haben die Mennoniten vor nunmehr 175 Jahren einen sicheren Ort für ihre sonntäglichen Gottesdienste und für festliche oder traurige Anlässe erhalten.

Bis zur Errichtung des Bethauses konnten sich die Siedler nur in ihren privaten Wohnstuben in Wagenried, Fränking, Tafern, Eichstock und Umgebung zum Gebet versammeln. Als der bayerische Kurfürst und spätere König Maximilian IV. Joseph 1802 an die Regierung kam, öffnete er auch die Türen für Neubürger nichtkatholischen Glaubens. In seinem Bestreben, die landwirtschaftliche Produktivität zu verbessern, lud er junge Landwirte mit ihren Familien nach Bayern ein. Besonders bei den Mennoniten stand Ackerbau und Viehzucht von jeher auf hohem Niveau. Anfang 1803 erließen der Kurfürst und sein leitender Minister Maximilian von Montgelas das bayerische Religionsedikt, das allen christlichen Untertanen die gleichen bürgerlichen Recht zusprach.

Unter diesen Voraussetzungen kamen auch viele Mennoniten nach Bayern, 1818 besiedelten die ersten mennonitischen Familien das Dachauer Hinterland. Mit dem Anwachsen der Gemeinde durch junge Familien und weiteren Einwanderern kam es bald zu Raumnot. Anstatt Gottesdienste in den Wohnstuben zu feiern, wollten sie einen eigenen Betsaal bauen. 1838 stiftete David Ruth den Grund für eine Kirche mit Begräbnisplatz. Zuvor war bereits in Wagenried ein erster Mennonitenfriedhof entstanden. Nach nur fünfeinhalb Monaten konnte das Gotteshaus am 14. November 1841 eingeweiht werden. Das Innere der Kirche ist im mennonitischen Sinn schlicht und ohne bildliche Ausschmückungen gestaltet.

Die heimische Bevölkerung nannte diese Siedler aus dem Elsass, Baden und Rheinland-Pfalz "Überrheiner", weil sie aus den Gebieten jenseits des Rheins gekommen waren. Die Mennoniten sind die Nachfahren der Täufergemeinde, die 1525 unter dem schweizerischen Reformator Ulrich Zwingli in Zürich entstanden ist. Der Name ist auf ihren bedeutendsten Führer zurückzuführen, den friesischen Priester Menno Simon (1492 bis 1559). Die Mennoniten selbst nennen sich heute "Evangelische Taufgesinnte". Dass diese Gemeinschaft bis heute überleben konnte, ist das Ergebnis eines jahrhundertelangen Kampfes um Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Ablehnung der Kindertaufe, des Treueeides und Waffentragens galten im 16. Jahrhundert als Verstoß gegen die bürgerliche und staatliche Ordnung. Die Folge waren in den Jahren 1527 bis 1581 circa 223 Hinrichtungen allein in Bayern.

In der Schweiz konnte die Gemeinschaft trotz Verfolgung im Verborgenen überleben. Nach rund 140 Jahren kam es zu Vertreibungen und Auswanderungen in die Pfalz und ins Elsass. Mehr als 200 Jahre später rief der bayerische Kurfürst die einst verfolgten Wiedertäufer als "Entwicklungshelfer" ins Land. Die als Mennoniten eingewanderten Pfälzer waren Nachkommen der Schweizer Glaubensflüchtlinge. Neben der Urbarmachung von Moorgründen diente die Berufung der Mennoniten auch der fortschrittlichen Bewirtschaftung von ehemaligen Klostergütern. 1803 hatte die Säkularisation, das heißt die Auflösung und Enteignung der Klöster, große Anwesen mit Landwirtschaft in Staatsbesitz gebracht. Dieser ehemalige Klosterbesitz bedurfte nun tüchtiger Landwirte oder Betriebsleiter. Doch der Weiterverkauf oder die Verpachtung erwies sich als schwierig. Denn nach der Überlieferung sollen katholische Ortspfarrer den Landwirten mit Höllenstrafen gedroht haben, die ehemaligen Kirchenbesitz erwarben.

Aufgrund dessen soll sich der König an seine frühere Heimat jenseits des Rheins erinnert haben. Nach seinem königlichen Aufruf kauften 1818 die Brüder Jakob und Johann Dettweiler aus Weißenburg im Elsass den verwaisten Maierhof von Stachusried für 6200 Gulden. Die Dettweilers bewirtschafteten den ehemaligen Besitz des Benediktinerklosters Scheyern zunächst zusammen, 1823 teilte man ihn auf. Das waren die Anfänge der mennonitischen Ansiedlung in der heutigen Marktgemeinde Indersdorf. Insgesamt zehn mennonitische Familien haben um 1820 ihre überrheinische Heimat verlassen, um im Dachauer Hinterland eine neue Existenz zu gründen. Der Erfolg gab ihnen recht, denn die Mennoniten leiteten in Altbayern eine Revolution der Landwirtschaft ein. Sie rückten von der damals üblichen Zweifelderwirtschaft - eine Hälfte Brache, die andere Getreideanbau - ab und führten die intensiverer Dreifelderwirtschaft ein. Zudem wurden damals Stallmist und gelöschter Kalk als Dünger ausgebracht.

Eichstocks bunte Bevölkerung

Der Weiler Eichstock liegt auf einer Anhöhe rund 1,5 Kilometer westlich von Ainhofen in der Marktgemeinde Indersdorf. Bereits 1305 wird der Flurname Aychstoechinne urkundlich erwähnt. Dort im Eichwald lag ein Anwesen der Herren von Harreszell. Eichstock, in alten Urkunden als Aychstok aufgeführt, unterstand dem Landgericht Kranzberg und gehörte bis zur Aufhebung 1783 zum Kloster Indersdorf. Im Dreißigjährigen Krieg wurde der Hof zerstört, dann pachtete ihn Georg Landmann. 1798 erwarb der Mennonit Gerhard Ruth aus der Rheinpfalz das Anwesen, 30 Jahre später der Protestant Daniel Springer. Nach der Errichtung des Betsaales 1841 wurden einige Häuser dazu gebaut. Um das von zwei großen Linden gesäumte Gotteshaus liegt der Friedhof mit den Gräbern der mennonitischen Gemeinde. Die Anzahl der Bewohner ist nahezu gleich geblieben. 1868 zählte Eichstock 14 Bewohner, von denen acht mennonitischen Glaubens waren. Aktuell sind es 16 Bewohner, wobei nur noch ein Mennonit in dem Weiler lebt. Im Gemeindehaus gegenüber dem Betsaal haben eine Flüchtlingsfamilie aus Nigeria sowie eine ungarische Familie eine vorübergehende Bleibe gefunden. Seit 1967 verfügt die Glaubensgemeinschaft über dieses Freizeit- und Tagungsheim (Agape-Gemeindewerk), das auch für Hochzeiten und andere Veranstaltungen zur Verfügung steht. SIES

Das Miteinander von Neusiedlern und alteingesessenen Bauern führte mitunter zu Problemen. Traditionen und religiöse Gebräuche waren verschieden. Außerdem verweigerten die Mennoniten die sogenannten Kirchentrachten (Zehent, Reichnisse) anzuerkennen, die auf ihren Anwesen lasteten. Sie wollten nicht einsehen, dass man dem katholischen Pfarrer noch Abgaben leisten musste, wo die Mennoniten die Kosten ihrer eigenen Religionsgemeinschaft selbst zu tragen hatten. Infolgedessen kam es bereits Mitte des 19. Jahrhunderts aus wirtschaftlichen Gründen zu Auswanderungen nach Nordamerika. 1856 haben 22 ausgewanderte Familien die noch heute existierende Gemeinde Halstead in Kansas gegründet. Ein gewichtiger Grund war zudem, dass die heranwachsenden Söhne zum Militärdienst eingezogen wurden. Bayern erlaubte zwar, einen Ersatzmann zu stellen, aber der Preis von 1000 Gulden war hoch. Dazu kam die mennonitische Glaubensüberzeugung der Gewaltlosigkeit, keine Waffen zu tragen und nicht zu töten. Für die Gemeinde in Eichstock war die Abwanderung der meist großen Familien ein schwerer Verlust, so dass der Betsaal in den 1920er Jahren fast nicht mehr genutzt wurde.

45 getaufte Gemeindemitglieder

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs vor allem durch Zuzug wieder eine lebendige Gemeinschaft heran. Die Mennonitengemeinde stellt eine freie Körperschaft dar, die sich selbst finanziert und keine kirchliche Hierarchie kennt. Von jeher ist sie für ihre außergewöhnlichen karitativen Leistungen bekannt. Damals wie heute versehen kompetente Männer, die aus den eigenen Reihen gewählt werden, den Predigtdienst. Derzeit sind es 45 getaufte Gemeindemitglieder, die aus den Landkreisen Dachau, Freising, Pfaffenhofen/Ilm und Aichach kommen. Seit zehn Jahren hat Holger Prokisch aus Petershausen den Vorsitz inne. Viele Jahre stand Wolfgang Schmutz aus Fränking (Gemeinde Weichs) der Mennonitengemeinde vor, der dieses Amt altersbedingt aufgegeben hat. Ende September dieses Jahres wird in Eichstock das 175. Jubiläum gefeiert.

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SZ vom 25.08.2016/gsl
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