Süddeutsche Zeitung

"Geschichten aus dem Dachauer Land":Das Grünwald von Indersdorf

Ottmarshart liegt idyllisch auf einer Anhöhe, von der die Bewohner einen herrlichen Blick auf das Glonntal und das Chorherrenstift haben.

Von Sonja Siegmund, Markt Indersdorf

"Es gibt einen Ort im Dachauer Land, da herrscht der politische Hausverstand. Dort gibt es keinen Nazi, drum ruf ich laut: Heil! Ottmarshart! Da gab es kein ,Pst' und kein ,Feind hört mit'. Denn unter ihnen war Platz für Angeber nicht. Ja, dort wohnen lauter politisch vernünftige Menschen. Oh! wär' es doch allerorts so gewesen! Dann stünd' es jetzt besser um unser Land. Geehrt wäre Deutschland, unser Vaterland." Mit diesem Gedicht hat der Indersdorfer Kooperator Otto Praunseys (1902 bis 1977) nach Ende des Zweiten Weltkriegs dem Weiler Ottmarshart ein schriftliches Denkmal gesetzt.

Vor allem lobte der Geistliche, der sich in seinen Predigten offen gegen den Nationalsozialismus ausgesprochen hatte, das mutige Verhalten des Georg Krimmer, Veitbauer aus Ottmarshart. Dessen Vergehen bestand darin, dass er bei seinen Wirtshausbesuchen in Mariabrunn öfters seine negative Meinung über den Nationalsozialismus geäußert hatte. Als weiteres "Delikt" kam hinzu, dass er von 1939 bis 1941 wegen mehrmaligen Schwarzschlachtens angezeigt worden war. In Ungnade bei der NS-Behörde fiel Krimmer auch, als dieser bei einer Feier im Mariabrunner Wirtshaus seinen Zorn über die "Braunen" auf einen anwesenden Minister abgeladen hatte. Dieser hatte dort eine Rede gehalten, worauf der Veitbauer ihm eine gehörige Watsch'n verpasste, was später in einer wilden Schlägerei ausarten sollte. Deswegen wurde Krimmer von Nazianhängern verfolgt, gefangen genommen und in der Arrestzelle im alten Röhrmooser Schulhaus inhaftiert. In dieser Zelle verbrachte er in Untersuchungshaft zwei Wochen bei Wasser und Brot. Für seine Vergehen musste der Ottmarsharter mit einem Prozess rechnen, der ihn ins Konzentrationslager hätte bringen können.

Aber so weit wollte es Krimmers Schwager, Bürgermeister Leonhard Gailer aus Niederroth, nicht kommen lassen. Aufgrund dessen legte er bei den zuständigen NS-Behörden ein gutes Wort für seinen Schwager ein und rettete diesen vor der Verurteilung. So weit reichen die Recherchen von Heimatforscherin Eleonore Philipp, die 1998 für ihr im Eigenverlag erschienenes Buch "Gerettet - Erinnerungen an zwei Familien im Nationalsozialismus" monatelang geforscht hat. In diesem Zusammenhang war Philipp auf den Veitbauern aus Ottmarshart gestoßen, einem Verwandten der Niederrother Familie.

Große Tatkraft wird auch einem Ottmarsharter nachgesagt, der als Bauernsohn politische Karriere gemacht hat: Michael Wackerl (1867 bis 1931), erfolgreicher Landwirt, Ökonomierat und Abgeordneter des Bayerischen Landtags von 1912 bis 1920. Annemarie Wackerl, Urenkelin des berühmten Landtagsabgeordneten, lebt seit ihrer Geburt in Ottmarshart. Die Landwirtschaftsmeisterin, die in 17. Generation den bäuerlichen Hof betreibt, hat vor einem Jahr von Bullenzucht auf Ackerbau umgestellt. Das große Anwesen mit separatem Wohnhaus neben der Kirche, erstmals im 15. Jahrhundert erwähnt, trägt von jeher den Hausnamen "Beim Wicklmair".

Auch sonst scheint die Zeit in dem nur einen Kilometer von Markt Indersdorf entfernten Ort stehen geblieben zu sein. Nach wie vor finden sich in dem Weiler nur Hausnummern, die an den älteren Gebäuden noch mit Hausnamen versehen sind. Der landwirtschaftlich geprägte Charakter ist bis heute unverändert: Es gibt noch drei Bauernhöfe, die bewirtschaftet werden. In anderen Anwesen sind indes handwerkliche Betriebe eingezogen wie eine Schreinerei, eine Firma für Frästechnik, Autosattlerei und ein Biker-Service. Außerdem wurden einige wenige Einfamilienhäuser hinzugebaut, insgesamt sind es 24 Anwesen. Ob alt oder neu, fast alle Häuser zieren Balkone mit rosafarbenen oder tiefroten Geranien. Hübsch und gepflegt sind auch die Gärten, mit farbenprächtigen Bauernblumen, bunten Wiesen und reichtragenden Obstbäumen.

Wackerl kennt jeden der 47 Einwohner, sie weiß auch viel über die Geschichte ihres Heimatortes und seiner Kirche zu berichten. Nach der Überlieferung soll die 848 erstmals genannte Kirche östlich auf einem Hügel erbaut worden sein. Mitte des 15. Jahrhunderts ließen die Indersdorfer Chorherren das erste Gotteshaus auf dem heutigen Platz errichten. Propst Innozenz Weiß gab Anfang des 18. Jahrhunderts den Neubau in der jetzigen Form in Auftrag. Die dem heiligen Mauritius geweihte Kirche wurde nach dem gleichen Plan erbaut wie die "Heilig Kreuz"-Kirche im benachbarten Albersbach. Aus dieser Zeit stammt der Hochaltar mit der Holzplastik des Heiligen Mauritius, dargestellt als römischer Offizier, der eine Lanze mit der Kreuzesfahne hält. Hierbei handelt es sich um die legendäre Heilige Lanze, mit der Hauptmann Longinus die Seite Christi durchbohrt haben soll. Mauritius war Anführer der Thebaiischen Legion, die sich vorwiegend aus Christen des oberen Ägypten zusammensetzte. Diese Legion wurde aus Afrika herangezogen, um in Gallien eine Revolte niederzuschlagen. Im Zuge der Christenverfolgung unter Kaiser Diokletian wurde die Legion indes gezwungen, gegen ihre christlichen Glaubensgenossen bei Agaunum vorzugehen (heute St. Moritz in der Schweiz). Die Legionäre weigerten sich und wurden hingerichtet. Mauritius, Patron der Soldaten, Kaufleute und Waffenschmiede, wird häufig mit dunkler Hautfarbe dargestellt, was entweder auf seinen Namen oder seine ägyptische Herkunft zurückzuführen sein dürfte.

Ottmarshart und seine Geschichte

Die Ortschaft Ottmarshart (Otmarshared) wird erstmals im Jahre 814 urkundlich genannt. Damals gab ein gewisser "Piligrim" den Altar "ad otmareshard" und den Grund, wie ihn die Eiche "abgränzt und das Thal" an die Basilika in Freising zurück. Der Weiler gehörte in jenen Zeiten dem Orden der Templer. Dieser wurde 1118 infolge der Kreuzzüge gegründet. Es war der erste Orden, der die Ideale des adeligen Rittertums mit denen der Mönche vereinte. In diesem Sinne bildete der erste Ritterorden während der Kreuzzüge eine militärische Eliteeinheit. Der Templer-Orden unterstand direkt dem Papst und wurde nach einem Aufsehen erregenden Prozess 1312 auf Druck des französischen Königs aufgelöst. Bertrand, ein Meister dieses Ordens, verkaufte 1168 das Gut Ottmarshart an Pfalzgraf Otto den Älteren von Wittelsbach. In den folgenden Jahrhunderten (1130 bis 1783) gehörte es zur Klosterhofmark Indersdorf. Zwei der berühmtesten Pröpste, Erhard Brunner (1412 bis 1442) und Johannes Brunner (1442 bis 1470) stammten laut Hofchronik aus dem Weiler. Im 19. Jahrhundert wurde Ottmarshart ein Ortsteil der Gemeinde Ried, die seit der Gebietsreform zur Gemeinde Markt Indersdorf gehört.sies

Die Kirche mit dem seltenen Mauritius-Patrozinium in Ottmarshart war für die Menschen aus der Umgebung, die an Schwerhörigkeit und Gicht litten, ein Wallfahrtsort. Als Opfergaben wurden von den Kranken häufig aus rotem Wachs gefertigte Ohren gespendet. Eine Kuriosität, die bis heute in der Sakristei verwahrt wird, ist eine uralte Glocke mit etwa 20 Zentimetern Durchmesser, die an der Wandung ein großes Loch aufweist. Ein wilder Stier soll sie an der Stelle, wo die erste Kirche stand, aus dem Boden gewühlt, aufgespießt und zur neuen Mauritius-Kirche gebracht haben. Diese Glocke wurde bis in die 1930er Jahre von Wallfahrern benutzt, die unter Anrufung des Heiligen Mauritius den Altar dreimal umschritten und sich von einer hinterher gehenden Begleitperson in die Ohren läuten ließen.

Eine weitere Besonderheit sei das kleine Guckfenster im hinteren Kirchenraum, erklärt Annemarie Wackerl. Weil es in Ottmarshart keinen Friedhof gibt, mussten die Särge mit den Verstorbenen im Leichenzug nach Indersdorf gebracht werden. Durch dieses Guckfenster hätten die Dorfbewohner ihren toten Nachbarn lange nachsehen können, um ihnen einen letzten Gruß aus ihrem Heimatort mitzugeben. Denn Ottmarshart liegt auf einer Anhöhe, von der man eine großartige Aussicht auf die Indersdorfer Klosterkirche, das ehemalige Chorherrenstift und auf das idyllisch gelegene Glonntal hat. "Deshalb werden wir auch das Grünwald von Indersdorf g'nennt - nah am Zentrum, schön g'legn und doch abseits von z'vui Trubel", erklärt Wackerl augenzwinkernd.

Ein bisschen stolz ist die junge Frau auch auf ihren berühmten Urgroßvater Michael Wackerl. "Der muaß scho a blitzgescheita Mo gewes'n sei, was der alles so o'packt hod". Wackerl war Mitglied der Bayerischen Volkspartei (BVP), wurde deren Bezirksvorsitzender und bekleidete Jahrzehnte lang das Amt des Bürgermeisters der Gemeinde Ried. Den Recherchen von Heimatforscherin Eleonore Philipp zufolge galt Wackerls Hauptsorge "der wirtschaftlichen und politischen Einigung der Bauern und Besserung ihrer sozialen Lage". Damals entstanden Lagerhäuser in Dachau und Umgebung, die später von der Baywa übernommen wurden. Wackerl hat die Errichtung einer Kreislandwirtschaftsschule in Dachau initiiert sowie einer Haushaltungsschule im Kloster Indersdorf. Zudem hat er einige lokale Nachrichtenblätter des Bezirks zur Bayerland AG zusammengebracht, die daraufhin als "Amperboten" herausgegeben wurden. Weitere Projekte in jener Zeit, die Wackerl förderte, waren der Bau der Lokalbahn Dachau-Altomünster, die Regulierung der Glonn und Elektrifizierung des Bezirks Dachau. Nach Aussagen von Zeitzeugen soll der Ökonomierat Wackerl Anfang des 20. Jahrhunderts noch mit seinem Hochrad nach München gefahren sein, berichtet dessen Urenkelin. Bis heute steht sein Schreibtisch in der guten Stube, an dem der "Alte aus Ottmarshart" so manche Akte aus dem bayerischen Landtag gewälzt haben dürfte.

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Quelle:
SZ vom 05.09.2016
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