SZ-Serie: Bauen in Dachau, Folge 2:Baukunst und Kulisse

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Dachau ist stolz auf seine Altstadt. Wenn man mit dem Künstler Paul Havermann aufmerksam durch die Straßen läuft, bekommt der schöne Schein allerdings schnell Risse

Von Gregor Schiegl

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(Foto: N.P.Joergsen)

Gewollt und nicht gekonnt: die Rekonstruktion des Rösslerhauses...

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(Foto: N.P.Joergsen)

... und der grellweiße Koschade-Bau.

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(Foto: N.P.Joergsen)

Schlicht und schön dagegen der Modeladen Schiela ...

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(Foto: N.P.Joergsen)

... und das Kreichgauerhaus.

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(Foto: N.P.Joergsen)

Das Gebäude in der Konrad-Adenauer-Straße 11 stammt aus dem Jahr 1834.

Die Wirtschaftswunderjahre waren eine Zeit des Aufbaus und des Fortschritts, alles sollte besser werden, auch das Leben in den Städten: keine Außentoiletten mehr, keine Kohleöfen, keine engen finsteren Gässchen. Noch bis in die Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts erschien die Altstadt als Relikt einer rückständigen Vergangenheit. Heute ist sie Grundpfeiler lokaler Identität und heimeliger Sehnsuchtsort, in Dachau hat sich die Altstadt sogar zu einem touristischen Faktor entwickelt. Bei Grundstücksverkäufen in der Altstadt hat die Stadt ein Vorverkaufsrecht, das aber kaum Anwendung findet; nur für wenige Bereiche gibt es laut Stadtbaumeister Moritz Reinhold Bebauungspläne. Eine Gestaltungssatzung wurde in der Vergangenheit immer wieder diskutiert, durchringen konnte man sich dazu nie. Die erste Etappe eines Rundgangs der SZ Dachau mit dem Künstler Paul Havermann wirft ein Schlaglicht auf die Qualität des Bauens in der Dachauer Altstadt.

Trachtenmodengeschäft Schiela

Das alteingesessenen Fachgeschäft in der Konrad-Adenauer-Straße 21 wurde 1964 vom Architekten Erwin Deffner, dem Vater von Konrad Deffner, geplant und später von Hans Zaglauer umgebaut. Sein heutiges Erscheinungsbild verdankt es den Neu- und Erweiterungsbauten in den Jahren 1989 und 2002. Hier startet Paul Havermann seinen Rundgang durch die Altstadt.

"Ich wollte sehr bewusst mit einem ganz unspektakulären Auftakt beginnen. Da Baukunst immer mit emotionaler Qualität und mit dem Kontext der Umgebung einhergeht, ist mir die Straßenerweiterung in der Konrad-Adenauer-Straße zu einem kleinen Platz wichtig. Mir gefällt der von kleinen kugelförmig geschnittenen Bäumen beschattete Ort. Schon allein die Bepflanzung und die räumliche Erweiterung schaffen eine gewisse Aufenthaltsqualität. Einbezogen in den öffentlichen Raum sieht man im Hintergrund die Fassade aus den Sechzigerjahren. Schlicht, sauber mit symmetrischen Fensterachsen gegliedert, ohne großes Spektakel, zurückhaltend in der Farbgebung verbindet sie sich mit dem in späteren Jahren erneuerten Schaufenster, das fein gegliedert und mit einem tiefen Grün gestrichen wurde, zu einer harmonischen Einheit, das wirkt einladend. Was mir besonders gut gefällt, ist das Spalier, das der Besitzer angebracht hat. Solche Spaliere waren früher üblich, um die Häuser zu begrünen. In der Wieningerstraße gab es davon früher ganz viele, im Zuge der neuen Bebauung sind sie aber leider alle verschwunden. Hier wurde das Spalier neu aufgenommen, es läuft sogar um die Hausecke herum und setzt sich fort in einen idyllischen, mit Obstbäumen und kleiner Blumenwiese gestalteten Stadtgarten. Das Spalier, das einer Kletterrose Halt gibt, die Verbindung von Gebautem mit einem kleinen Stück Natur, all das fügt sich zu einem harmonischen Ganzen. Die Begleitung durch den Sommer mit Farben und mit Duft gehört meiner Meinung nach mit zur Architektur. Natürlich macht das Mühe, aber es schafft auch eine emotionale Qualität: Blühen ist Leben."

Ehemalige Koschade-Klinik

Eduard Koschade etablierte in Dachau die modernste Klinik für Geburtshilfe und Frauenheilklinik im süddeutschen Raum. Der wuchtige Klinkerbau in der Konrad-Adenauer-Straße 30 stand seit 2006 leer und wurde zunächst an ein Schweizer Unternehmen veräußert. Ein Jahrzehnt lang dokterten immer wieder wechselnde Eigentümer an dem Bau herum. Erfolgreich abschließen konnte die Sanierung erst eine Münchner Projektentwicklungsfirma. Entstanden sind 32 Luxuswohnungen und eine Tiefgarage im Altstadtberg.

"Zum Verkauf angeboten wurden die Wohnungen als 'Schlossbergterrassen'. Leider hat das ganze Ensemble weder etwas mit dem Schlossberg noch mit der vielgestaltigen Architektur der Altstadt zu tun. Es mutet eher so an, als wäre ein Fremdkörper vom Himmel gefallen. Mögen die Wohnungen, vom Hang dem Mühlbach zugewandt, ihre eigene, für die Bewohner angenehme Wohnqualität haben, blickt die Fassade, die ja das Gesicht eines Gebäudes ausmacht, jetzt nackt und einsam, fast frierend in den Straßenraum. Die Straßenansicht spiegelt die jetzt schon modischen Vorgaben der Bauträgergestaltung wider: ein weißer, aseptischer Industrieputz und die immer wiederkehrenden anthrazitfarbenen Fenster, mit uniform schwarz eingedecktem Dach. Der angesetzte Balkon schwebt wie eine Gondel hoch oben an der Hauswand. Der Platz vor dem Haus ist feuerwehrgerecht aber sonst leer gestaltet, die oberirdischen Stellplätze mit den unmittelbar vor den Fenstern des Erdgeschosses abgestellten Autos machen die Gesamtsituation nicht attraktiver. Kommen Brandschutz- und Stellplatzverordnung mit Gewinnmaximierung und allerlei anderen Verordnungen zusammen, wird das Ergebnis identitätslos, eine Architektur ohne jede Aufenthaltsqualität. Letztendlich eine viel zu große Nachverdichtung, die kaum noch Raum für qualitätsvolle Gestaltung übrig lässt. Mit Altstadt hat das überhaupt nichts mehr zu tun, hier ist Baukunst zum Investment verkommen. Vielleicht könnte eine Mauer- und Fassadenbegrünung noch etwas verbessern. Für Bäume ist ja leider wegen der Tiefgarage kein Platz mehr."

Kreichgauerhaus

Im 16. Jahrhundert ließ Herzog Wilhelm V. eine "Eisenfronfeste", ein Amtsgebäude mit Gefängnis, errichten. Das jetzige Gebäude in der Konrad-Adenauer-Straße 11 stammt aus dem Jahr 1834, als man nach dem Abriss der Nachbarhäuser ein größeres Amtshaus und Gefängnis errichtete. Das alte Gefängnis wurde an den königlichen Amtsgerichtsrat Wilhelm Kreichgauer verkauft, der es zum Wohnhaus umbauen ließ. Seine heutige Gestaltung erhielt es im Jahr 2001 von Johannes Glück.

"Das Kreichgauerhaus ist ein Musterbeispiel für eine Umwidmung und eine behutsame Renovierung von alter historischer Bausubstanz. Architektur schafft hier Identität und einen Kontext zur Umgebung, der Umbau ist der Tradition verpflichtet. Er knüpft an die Vergangenheit an, ohne sich anzubiedern. Die hohe Qualität ergibt sich auch aus der handwerklichen Ausführung bis ins Detail. Hier kann man sehen, dass gute Architektur genau diese Voraussetzungen braucht. Ob die neu eingesetzten Fenster mit den dazugehörigen Markisen, die Eingangsgestaltung, der Fassadenputz mit der Farbgestaltung, bis zu den Fensterblechen, alles ist mit großer Sorgfalt ausgeführt, wohlüberlegt und abgestimmt. Auch der ergänzende, neu hinzugefügte Anbau hinein in die Wieningerstraße ordnet sich in seiner zurückhaltenden Schlichtheit unter. Diese architektonische Ergänzung trumpft nicht auf, sie fügt sich mit einer wie ein Ausrufezeichen gesetzten, zeitgemäß gestalteten Dachgaube in das Gesamtensemble ein, das ist die Sprache der heutigen Zeit. Die Gaube hat im Gebäude eine wichtige Funktion, das Ganze ist in sich total stimmig. Selbst der sauber ausgeführte Sockel aus Beton lässt den Zwischenbau auf soliden Füßen stehen."

Ehemaliges Schuhhaus Rössler/ Teufelharthaus

Das erst kürzlich fertiggestellte ehemalige Schuhhaus Rössler und das Teufelharthaus in der Pfarrstraße sind Nachbauten mit etwa 20 neuen Eigentumswohnungen, Tiefgarage und Ladenflächen. Die Stadt hatte darauf bestanden, dass die Fassade des denkmalgeschützten Teufelharthauses stehen bleibt, doch bei den Abrissarbeiten stürzten - Überraschung - die Wände um; alles musste neu errichtet werden.

Die Eingangstür des rekonstruierten Rösslerhauses. (Foto: Niels P. Jørgensen)

"Viel gewollt, doch nichts gekonnt. Ein Beispiel für eine angeblich der Altstadt verpflichteten Architektur, die aber nur vorgibt, traditionell, historisch rekonstruiert zu sein. Zwar werden die ehemaligen Außenmaße weitgehend aufgenommen, der erste Eindruck spiegelt aus größerer Entfernung auch ein historisch korrektes Erscheinungsbild wider; der zweite Blick aus der Nähe entlarvt es aber als billige Reproduktion. Der Fassadenputz, ein schneller, glatter, unstrukturierter Plastikputz, hüllt das Haus wie in einen aseptischen Mantel. Unter dem Putz verbergen sich unzählige, Hartschaumplatten, billige Produkte. Wieder einmal haben die Lobbyisten der Ölindustrie ihr Geschäft gemacht, ein riesiges Problem in der Zukunft. Wer es nicht glaubt, klopfe einfach an die gelbe Haut des Hauses: Es klingt hohl. Hier darf es dann auch zu keiner Patina mehr kommen. Patina, die den Charme von historischen Gebäuden ausmacht, ist unerwünscht, pflegeleicht ist angesagt. Bei den alten Kalkputzen ist noch eine Schattierung zu sehen, wenn das Licht darauf fällt, so etwas ist lebendig. Der aufgespritzte Industrieputz wirkt wie eine gedruckte Oberfläche: Kulisse. Wenn ich etwas Historisierendes in der Altstadt baue und es erscheinen soll, als wäre es ein historisches Gebäude, muss ich schon mehr Einsatz bringen.

Das geht weiter bei den Standardfensterblechen im Rösslerhaus: viel zu tief, weiß, wie mit Plastik überzogen, aus der Schublade von Baumärkten gezogen, in die Laibung eingesetzt, zu kurz gefunden, mit Silikon ausgespritzt und passend gemacht. Handwerk geht anders. Das ehemalige Teufelharthaus mit den künstlich wirkenden Gesimsen, den abenteuerlichen Anschlüssen des Gesimses unter der Traufe, Spalten und übrig gebliebene Ritzen, alles zusammengebastelt, ohne jede handwerkliche Qualität. Die hilflos wirkende, wie als Alibi wieder verwendete originale Haustür, die mit ihrer feingliedrigen Gestaltung Authentizität vermitteln soll, möchte am liebsten aus ihrem ungestalten Körper davonlaufen."

Die nächste Folge der SZ-Serie mit dem Abschluss des Rundgangs durch die Dachauer Altstadt erscheint in der Osterausgabe, 3./4./5. April.

© SZ vom 27.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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