SZ-Serie: Bauen in Dachau, Folge 4:Mehr Mut zur Lücke

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Hier traut man sich in die Höhe. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Wo das Baurecht bis zum Äußersten ausgereizt wird, schrumpfen Gärtchen zusammen zum handtuchgroßen Restgrün. In der Unteren Stadt gibt es aber auch gelungene Beispiele von Nachverdichtung, die Freiräume bewahren. Ohne dichtere Bebauung gäbe es auch kaum genug Platz für Dachaus innerstädtische Oasen.

Von Gregor Schiegl, Dachau

Die Altstadt ist Dachaus Aushängeschild und geografisches Zentrum, aber das öffentliche Leben findet, wenn nicht gerade wieder ein Lockdown alles lahmlegt, vor allem in der Unteren Stadt zwischen Münchner Straße und Bahnhof statt, in Boutiquen, an den Eisdielen und vor den Marktständen. Die Untere Stadt ist aber auch ein dicht besiedeltes Wohngebiet. Obwohl die Häuser hier schon immer enger beieinander standen als etwa im Stadtteil Dachau Süd mit seinen Künstlervillen inmitten großzügiger Gärten, findet auch hier eine fortschreitende Nachverdichtung statt. Das muss der Lebensqualität keinen Abbruch tun, solange Architektur, Städtebau und Freiflächenplanung gut aufeinander abgestimmt sind. Paul Havermann weist in diesem Rundgang auf gelungene, dem Genius Loci verpflichtete Beispiele hin aber auch auf eher profitorientierte, ambitionslose Architekturprojekte in der Unteren Stadt.

Ehemalige Scheierlmühle

Die alte Scheierlmühle an der Schleißheimer Straße samt Nebengebäuden wurde im Jahr 1989 abgerissen. Erhalten blieb nur das etwa hundert Jahre alte Turbinenhaus am Gröbenbach. 2002 trat an die Stelle des alten Siloturms ein achtstöckiger Turm, der sich in der Höhe am Vorgängerbau orientierte. Diese "städtebauliche Dominante" wurde auch im Bebauungsplan für das Areal am Gröbenbach festgeschrieben. Als Planungsziel formulierte die Stadt darin "eine verdichtete Nutzung, mit der in urbaner Weise ein Nebeneinander von Gewerbe und Wohnen angestrebt wird".

Paul Havermann: "Der Turm auf dem ehemaligen Gelände der Scheierlmühle ist ein gutes Beispiel für innerstädtische Nachverdichtung. Wo einst der Siloturm und das Nebengebäude der Mühle standen, findet man jetzt eine Mischung von verschiedenen Gewerbeeinheiten, von Büros, Praxen und einem Lokal direkt über dem Gröbenbach, der gerade das alte, schön renovierte, in Taubenblau gestrichene Turbinenhaus durchlaufen hat. Der Turm hat auf jeder Seite eine rot gefasste Mauerscheibe mit großen Fensteröffnungen, der Rest ist eine großzügige Glasfassade. Der Vorplatz mit dem kleinen Wasserspiel, die in Holzplanken gesetzten Bäume und die Terrasse, die das Lokal nach außen erweitert, sind die logische Fortführung des Genius Loci. Und die Bebauung hinter dem Turm, parallel zum Gröbenbach - tja, die ist leider nur zugebauter Raum, keine Architektur. Denn "Architektur" bedeutet ja Bau-Kunst."

Mehrfamilienhaus mit Architekturbüro

Von der Frühlingsstraße führt eine kleine Wohnstraße in Richtung Gröbenbach. Auf dem Grundstück, auf dem die Gröbmühlstraße eine scharfe Linkskurve macht, befand sich vor zwanzig Jahren lediglich ein Parkplatz. Jetzt steht dort ein Mehrfamilienhaus, das sich so natürlich in den Bestand einfügt, als hätte es dort schon immer gestanden.

Hier wurde verdichtet gebaut und zwar stimmig. (Foto: Niels P. Jørgensen)

"Bei dem Mehrfamilienhaus, das auch ein Architekturbüro beherbergt, folgt die Hausfassade und die niedrige Gartenmauer wie selbstverständlich der Krümmung der Gröbmühlstraße. Die überdachten Stellplätze, der streng aber sehr klar mit Riesel gestaltete Vorgarten mit Hausbaum und der schmale Gartenbereich im Süden ergeben ein harmonisches Gesamtbild. Der handwerkliche gut ausgeführte Besenstrichputz, die sandfarbene Fassade, die einen sehr schönen Kontrast zu den feinrahmigen Aluminiumfenstern bildet, die hellen Schiebeläden, welche der Fassade je nach Stellung immer ein leicht verändertes Aussehen geben, die schlichten Balkongeländer und die großzügige Dachterrasse, alles ist wie aus einem Guss! Das Flachdach ist hier eine dem Haus zugehörige Selbstverständlichkeit."

Wohnanlage

Die Wohnanlage in der Bürgermeister-Krebs-Straße, Ecke Neuängerstraße hinter der AOK in der Münchner Straße ist ein typisches Beispiel für die heutige Bauträgerarchitektur. In der Unteren Stadt ließen sich Dutzende ähnliche Beispiele finden wie dieses.

Verdichtet, aber massiv und gesichtslos. (Foto: Niels P. Jørgensen)

"Der Bau, der erst in den letzten Jahren entstanden ist, präsentiert sich in banalster Gestaltungsqualität: schwarz-weiß, meist abweisende, geschlossene Rollläden, gesichtsloser Putz, aseptisch, Flachdach, ohne jeden Gestaltungsanspruch, jedoch als hocheffiziente Baumaßnahme - nicht für den Bürger, die Allgemeinheit, sondern für den alleinigen Profit des Bauträgers. Auf einem einst wunderschönen Grundstück mit altem Baumbestand und einem traumhaft schönen Garten entstand ein Baukörper, der sich über fast die gesamte Länge und Breite des Grundstücks wie Mehltau gelegt hat, die GFZ ( Geschossflächenzahl; Anm. d. Red.) ist mehr als ausgereizt. Wie das möglich ist, bleibt das Geheimnis des Bauträgers und des Bauamtes, erschließt sich dem Betrachter beim bloßem Ansehen aber nicht. Dass hier genau eine in der Ecke stehende mächtige 100- bis 150-jährige Buche einfach umgelegt wurde - der Stumpf ist heute noch auf Google Earth zu sehen - geopfert für den Mammon, Schwamm drüber. Dafür gibt es hier jetzt ein pflegeleichtes Handtuch in Restgrün, eingefasst mit dicht gewebtem Stahlgitterzaun. Gott sei Dank schmückt zum Teil noch eine Buchenhecke die Abgrenzung zur Straße."

Sparkassen-Hauptstelle

Nun führt Havermann der Weg zurück über den Gröbenbach direkt auf das Ensemble der Kreis- und Stadtsparkasse zu. Von der Brücke schwenkt der Weg in einer leichten Kurve direkt auf den Durchgang zum Sparkassenplatz ein. Rechts sieht man die Wohnanlage, eingebettet in eine Streuobstwiese, ein innerstädtisches Idyll; in den Sechzigerjahren weideten hier noch Kühe. Als die Scheierlwiese bebaut wurde, achtete der damalige Oberbürgermeister Lorenz Reitmeier darauf, dass die Häuser nicht zu hoch in den Himmel wuchsen und die Sichtverbindung zum Altstadtberg nicht verbaut wurde. 1984 wurde der neue Sparkassen-Hauptbau eingeweiht.

Der Bau der Sparkassen-Hauptstelle hat gestalterische Qualität. (Foto: Niels P. Jørgensen)

"Obwohl hier mit vielen Wohnungen und verschiedenen Gewerbeeinheiten eine innerstädtische Nachverdichtung aus den Achtzigerjahren entstand, bleibt es eine grüne Oase mitten in der Stadt. Architektonisch angelehnt und abgestimmt ist diese Wohnbebauung an die bis ins kleinste Detail durchgestaltete Hauptstelle der Sparkasse. Vom Fuß des Gebäudes, gestaltet in sehr aufwendigem Granit, der aus der umlaufenden Pflasterzeile und den mit Granitplatten belegten Platz herauszuwachsen scheint, geht es über eine kleine Phase in den lebendigen Putz über. Dieser steigt bis oben unter die Traufe, in bester handwerklichen Qualität.

Auch dem in den Neunzigerjahren hinzugefügten Erweiterungsbau nach Süden ist die gleiche architektonische Sorgfalt angediehen. Es ist nicht die einfache Prolongierung des Mittelbaus, die Fenster sind weiter dem Quadrat und der quadratischen Teilung verpflichtet, jedoch beinahe rahmenlos mit feinem Rundeisen als Quersprossen eingesetzt; das Fenster scheint fast wie entmaterialisiert. Ganz anders im Hauptbau. Auch hier sind die Fenster, die ja wie die Augen in einer Fassade wirken, dem Quadrat in der Grundform und der Teilung verpflichtet. Die Farben der Fassade und Fenster sind sehr genau aufeinander abgestimmt, eine bis ins letzte Detail durchgestaltete Architektur. Nichts wurde dem Zufall überlassen!

Von den neu eingesetzten Fenstern im Sparkassen-Hauptgebäude kann man gestalterische Qualität leider nicht behaupten. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Kürzlich wurden viele Fenster, aus welchen Gründen auch immer, ausgetauscht und durch neue Fenster ersetzt. Hier fehlen auf einmal die senkrechten unteren Stege und die Quersprossen; die neuen Fenster werden zur gestalterischen Beliebigkeit, die Augen der Fassade sind nun zum Teil entstellt. Gibt es keinen Hausarchitekten mehr, der so wie früher verantwortlich für Baumaßnahmen war, gibt es kein zu bewahrendes architektonisches Erbe, keinen Aufschrei der Bewahrer der Heimatpflege? Schließlich ist die Sparkasse ja nicht irgendeine Institution, sie versteht sich doch als eine Förderin und Bewahrerin der Kunst und Kultur. Wenn jetzt auch an einigen Fenstern mit schnell aufgenieteten Quersprossen und an einer Stelle mit einem nur mäßig eingepassten Steg Schadensbegrenzung angesagt ist - es gibt zu denken, wie heute oft leichtfertig mit kulturellem Erbe umgegangen wird."

Neue Doppelhaushälften

Klein aber fein. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Paul Havermann beendet seine Runde durch die Untere Stadt mit einem sehr schönen Beispiel von gelungener Architektur in der Bürgermeister-Scharl-Straße. Die Gärten sind hier schon relativ klein und die Häuser schon deutlich näher an die Straße gerückt, als das früher noch in den Wohnstraßen Dachaus der Fall war.

"Auf einem länglichen, zur Straßenseite schmalen Grundstück wurden je zwei Doppelhaushälften so eingeplant, dass auf engstem Raum eine innerstädtische Nachverdichtung entstand, die einerseits den Wunsch nach einem Eigenheim in der Stadt, andererseits sehr ansprechende Architektur ermöglichte. Die helle verputzte Fassade, teils mit unbehandelten Holz verkleidet, mit asymmetrisch, den Bedürfnissen der Innenräume verpflichtet eingefügten Fenstern, die kleinen aber feinen, mit einer heimischen Buchenhecke gefassten Gärten: alles auf engen Raum, trotzdem großzügig gestaltet. Über der Traufe ein Walmdach, das mit einer nach drei Seiten verglasten Gaube noch einen hellen Dachausbau erahnen lässt. Die kleine Anlage könnte Vorbild sein, von Architekten gestaltet, nicht als Einheitsbrei aus dem Computer gespuckt, so wie heute viele neue Bauvorhaben, die ohne jeden Anspruch an Gestaltung ihr Dasein fristen müssen."

In der Folge 5 geht es um die Wohnquartiere in Dachau Süd und Dachau Ost.

© SZ vom 10.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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