Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Bauen in Dachau, Folge 12:Buchsbaum, Buddhas und Beton

Lesezeit: 4 min

Der Vorgarten ist die Visitenkarte des Hauses, doch traditionell gestaltete Gärten mit heimischen Gehölzen sieht man in Dachau immer seltener. Stattdessen machen sich Designer-Steinwüsten breit. Über einen Trend, der nicht in unsere Zeit passt

Von Paul Havermann

Ein enger Verwandter der Garteneinfriedung ist der Vorgarten, quasi sein Zwillingsbruder.

Sich dieser komplexen Thematik, Vorgarten und Zaun als kritischer Betrachter anzunehmen, erfordert viel Geduld, gnadenvolles Verzeihen und eine gute Portion Leidensfähigkeit, denn nicht alle Vorgärten verdienen das Wort Garten, auch nicht in Dachau.

Der Vorgarten war und ist die Visitenkarte eines Hauses und zugleich der jeweiligen Bewohner. Früher war der Hausbaum wie ein Beschützer für Mensch und Gut, je nach Größe des Hauses und Umraum passte er sich den örtlichen Gegebenheiten, in den Vorgärten freistehend oder als Spalierbaum an der Hauswand, an. Mal größer mal kleiner, ob als Laub- oder Obstbaum, je nach Ausrichtung zur Sonne oder im Schatten, der Standort wurde immer gut gewählt, der passende Baum genau ausgesucht. So spendete er im Sommer Schatten an der Hausbank oder schenkte im Herbst die saftigsten Früchte. Begleitend standen einige Blütenstauden, die den Jahreszeiten folgend ihre ganze Pracht entfalten durften, manchmal gefasst von geschnittenem Buchs.

Auf dem Land wuchs alles wie selbstverständlich ohne große Einzäunung, höchstens den Bauerngarten schützten dichtes Weidengeflecht vor kalten Winden. Weiter in die Stadt hinein wurden die Vorgärten kleiner, meist mit einem dezenten Zaun aus Holz eingerahmt, sie blieben aber weiter Aushängeschild für die Häuser und ihre Bewohner. Villen brauchten eine Auffahrt, waren oft von einer herrschaftlichen Mauer oder durch eine handwerklich gefertigte Einfassung in Kunstschmiedearbeit umgeben. Alles war der jeweiligen Situation angepasst und wohl abgestimmt. Erst ganz im Zentrum standen die Häuser dicht an dicht an der Straße, oft mit Spalierpflanzen begrünt, wie man auf alten Fotografien in der Wieninger-Straße in Dachau erkennen kann.

Einzäunungen folgten einer selbstverständlichen Logik: Das Material, oft gespaltenes Kernholz, kam immer aus der unmittelbaren Umgebung, musste nicht weit transportiert werden, musste nicht gestrichen werden und war bei Bedarf schnell und preiswert ausgewechselt.

Heute, in einer globalisierten Welt, in welcher weder der Transport noch die Herstellung der unterschiedlichsten Materialien in Billiglohnländern angemessen bepreist werden, kommen die abenteuerlichsten "Zutaten" zur Gestaltung von Vorgärten zum Einsatz.

Schön bepflanzt macht auch ein kleiner Vorgarten was her: Anwesen in der Gröbmühlstraße.

In der Thomas Schwarz- Straße ist eine Hängebuche der "Hausbaum".

Im Schotterbett an der Richard-Wagner-Straße findet sich immerhin noch ein Baum.

Komplett versiegelt ist das Grundstück an der Herzog-Albrecht-Straßer.

Nicht der jeweilige Ortsbezug ist Maßstab für eine dem Genius Loci geschuldete Gestaltung, vielmehr ist es oft ein Übertrumpfen der Nachbarn, mit noch mehr an exotischer Dekoration, oft einfallslosen Versatzstücken aus den überquellenden Ein-Euro-Überseecontainern, garniert mit asiatischen Gräsern, Bambus und, ein Widerspruch in sich, Riesenbonsaigehölzen. Peinlichst zugeschnitten, aufgezäumt wie artifizielle Karussellpferde, abartig dressierte Fremdlinge, so stehen diese kranken Baumkreaturen dann oft in schwarzen Schotterwüsten, speichern noch mehr Sommerhitze, machen den Vorgarten zu einer kleinen, trostlosen und unfruchtbaren heißen Hölle.

Dazu gesellt sich neben Laternen in allen Größen und Materialien auch noch allerlei künstliches Getier: Rehlein, Hirsche und Fantasyobjekte aus rostigem Blech gestanzt und oben drauf in allen Ausformungen noch Unmengen an billigen, in Steinguss oder Plastik hergestellte Buddhafiguren. Zufrieden lächelnd sitzen sie in sich selbst versunken in einer für sie ganz und gar fremden Umgebung. Oder belächeln sie dort einfach nur verschmitzt die europäischen Weltgereisten, die sich zu Hause mit ihnen als Vorgartendeko ihrer globalisierten Weitläufigkeit selbst versichern müssen?

Sei's drum, früher bevölkerte der deutsche Gartenzwerg viele Vorgärten. Nicht immer war es ein ästhetischer Anblick, diese spießigen Gesellen mit roter Zipfelmütze, Pfeife rauchend, mit der Laterne in der Hand oder schubkarrenfahrend im Vorgarten werkelnd anzutreffen. Gegenwärtig sind diese bunten, bärtigen Tonfiguren aus fernen Zeiten jedoch fast in keinem Vorgarten mehr zu finden. Wurden sie vielleicht durch einen aus dem Fernen Osten eingeschleppten Virus dahingerafft, so wie schon vielfach der heimische Buchsbaum Opfer des asiatischen Buchsbaumzünslers wurde oder wurden sie vielleicht sogar hinterlistig durch die stoisch vor sich hinblickenden und ewig grinsenden Buddhafiguren aus ihrer angestammten Heimat verscheucht?

Oft werden japanische Zengärten als vermeintliche Vorbilder zitiert, wenn sich besonders profilierungssüchtige Hausbesitzer einen Schottervorgarten anlegen. Aufschüttungen von grobem Schotter in allen Farben machen dann den Vorgarten für kurze Zeit steril und keimfrei und vermeintlich pflegeleicht. Mit schwarzen Betonplatten belegte, behördlich verordnete Stellplätze für das Auto runden die ganze Trostlosigkeit noch ab, sie speichern kein Wasser, dafür aber die Wärme und steigern im Sommer die Hitze in den Städten.

Diese Vorgarten-Schotterwüsten haben ganz und gar nichts mit japanischen Zengärten gemein. Der japanische Zengarten ist ein Garten der Meditation und ist ganz eigenen Gesetzen der Gestaltung unterworfen. Täglich wird dort in nimmermüden, meditativen Bewegungen der Riesel neu gerecht, neu zu wellenförmigen Mustern geformt, er bedarf der immerwährenden Pflege und großer Hingabe.

In vielen Städten und Gemeinden wird Gott sei Dank schon überlegt, wie man diese leblosen, grauen, schwarzen und marmorweißen Vorgartenwüsten verhindern und zurückbauen lassen kann. Dazu brachten inzwischen einige Kommunen schon Vorgarten- und Baumerhaltungssatzungen auf den Weg, um den schlimmsten Auswüchsen Einhalt zu gebieten.

Aber braucht es wirklich Gesetze und neue Regelungen? Anscheinend schon, denn in der vernetzten Welt werden täglich neue Gags und Gimmicks gepostet, geliked und durch den Äther gejagt, auch Beispiele von "coolen" Vorgartenalpträumen, von Nachahmern wird man nicht verschont.

Warum nicht einmal spazieren gehen, die Augen auf, an vielen Stellen, im öffentlichen Raum, zum Beispiel an den blumenreichen Grünflächen der Dachauer Stadtgrün, auch im privaten Bereich lassen sich in Dachau positive, traditionelle Beispiele für Gestaltung von Vorgärten und Bepflanzungen finden. Warum nicht die alten Traditionen mit heimischen Stauden und Gehölzen pflegen, eine Glyzinie, lateinisch Wisteria Sienensis, ein Japanischer Feuerahorn wären asiatisch genug. Auf jedem Heimat- und Volksfest werden ja auch Lederhose und Dirndl als hier verortete Tradition gepflegt, warum dann nicht auch bei der Gestaltung des eigenen Vorgartens und Zaunes mit heimischen Pflanzen und hiesigen Materialien.

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Quelle:
SZ vom 21.08.2021
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