SZ-Forum:Dachaus Grundkonflikt

Rege Diskussion auf dem SZ-Forum: Während die Dachauer Volksvertreter ein moderates Wachstum für unabdingbar halten, ist für viele Bürger das Maß längst voll.

Gregor Schiegl

Die Steuerung des Wachstums sei "die zentrale Herausforderung" für die Kommunalpolitik, sagt Landrat Hansjörg Christmann. Heinz Eichinger, Bürgermeister der 5000-Einwohner-Gemeinde Vierkirchen, sieht "Herausforderungen auf die Gemeinden zukommen, wie wir sie noch nie hatten". Das SZ-Forum unter der Moderation von SZ-Mitarbeiterin Melanie Staudinger und Redaktionsleiter Helmut Zeller hat mit dem Thema "Wohnen, Wachstum, Zukunft" offenbar genau ins Schwarze getroffen. Auf dem Podium sitzen Landrat Hansjörg Christmann (CSU), Dachaus Oberbürgermeister Peter Bürgel (CSU), der Vorsitzende des Regionalvereins Dachau Agil, Vierkirchens Bürgermeister Heinz Eichinger (SPD) und der Vorsitzende des Mietervereins Dachau und Umgebung, Wolfgang Winter. Gut 160 Zuhörer sind am Dienstagabend ins Dachauer Ludwig-Thoma-Haus gekommen, darunter viele, die sich im Landkreis kommunalpolitisch engagieren. Aus Karlsfeld ist Bürgermeister Stefan Kolbe (CSU) und der halbe Gemeinderat erschienen. In der flächenmäßig kleinen 18 000-Einwohner-Gemeinde direkt an der Grenze zur Stadt München ist das Problem bereits akut. Man kann das an vielen Punkten festmachen, beispielsweise an den Mieten, die nirgendwo so hoch sind wie hier. Die Mieten sind für Normalverdiener nicht mehr bezahlbar", sagt Mietervereinsvorsitzender Wolfgang Winter - und das gilt nicht nur für Karlsfeld. "Wer im Großraum Dachau eine Familie zu versorgen habe, müsse von der Bezahlung her schon "Ingenieur aufwärts" sein. Selbst Facharbeiter könnten sich das nicht leisten. "Bewerbt euch bei der Stadtbau", rät er den Dachauern, "das ist eine sehr segensreiche Einrichtungen." Freilich ist das Lob ein vergiftetes, sagt es doch nichts anderes als dass selbst Normalverdiener im teuren Großraum zum Sozialfall werden. Die Zahlen, die Landrat Christmann ausführt, legen nahe, dass es noch schlimmer kommen soll: Als er 1977 Landrat wurde, hatte der Landkreis 93 000 Einwohner, bald wird die Marke von 140 000 überschritten sein. Bis 2029, so die Prognosen, könnten im Landkreis 148 000 Menschen wohnen. Aber diese Zahlen, sagt der Landrat, seien "mit Vorsicht zu genießen". Denn sie zögen noch nicht in Betracht, dass in der Landeshauptstadt die letzten Wohnbauflächen in zehn Jahren erschöpft sein sollen. Der Münchner OB-Kandidat der SPD Dieter Reiter hatte deshalb an die Landkreise appelliert, größere Wohnblöcke zu errichten. Dachaus Kommunalpolitiker beeindruckt das wenig. Selbst SPD-Mann Heinz Eichinger sagt, jede Kommune müsse selbst entscheiden, wie stark sie wachsen wolle. Ganz ohne Wachstum gehe es nicht. "Wenn wir nichts Neues für Einheimische bauen, werden die Preise explodieren." Da muss ihm auch Winter zustimmen, der ganz grundsätzlich die "herrschende Wachstumsideologie" anprangert. Nicht jedes Wachstum sei gesund, Krebs wachse auch. Christmann, Bürgel und Eichinger sind sich aber darin einig, dass die Orte nicht wuchern sollen. Die Bevölkerung der Großen Kreisstadt Dachau zum Beispiel wächst OB Bürgel zufolge jedes Jahr um ein Prozent: "ein moderates Wachstum". Der Erfolg scheint der Stadt Recht zu geben: "Dachaus Wirtschaft ist noch nie so leistungsfähig gewesen wie jetzt." Überhaupt das Gewerbe: Wohnen und Arbeiten müssten wieder stärker zusammengeführt werden, fordern die drei Politiker, 35 000 Menschen pendeln schon jetzt aus dem Landkreis nach München. Ökologischer Wahnsinn. Der Dachauer Anton Speierl wirft der Politik vor, "willfährig" zu tun, was die Wirtschaft fordere. Durch die Ausweisung neuer Gewerbegebiete erhöhe sie selbst "den Druck im Kessel". Dann ziehe man nämlich neue Arbeitskräfte an, für die man wieder neue Wohnungen brauche. Der Karlsfelder Dirk Hohensohn weist darauf hin, dass die Flächen endlich seien. Ewig so weitermachen gehe also nicht. Auch die Wortmeldungen anderer Bürger zeigen, dass viele das Gefühl haben, das Prinzip Wachstum stoße im Landkreis nun an seine Grenzen. Dachaus Kommunalpolitiker setzen dagegen auf Effizienz. Die Schlagworte lauten: Flächenmanagement, interkommunale Zusammenarbeit, Ausbau von Bus und Bahn, verdichtetes Bauen. "Da braucht es Ideen", sagt Christmann an die Adresse der Architektenzunft.

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