SZ-Benefizkonzert:Sehnsuchtsbilder

Pianist Markus Kreul und seinen musikalischen Freunden gelingt in Dachau gemeinsam mit der Ludwig-Thoma-Gemeinde um Angelika Mauersich und Dominik Härtl ein Benefizkonzert der leisen und gleichzeitig einprägsamen Töne für den SZ-Adventskalender

Von Adolf Gottwaldund Wolfgang Eitler, Dachau

Auf der kleinen Spieluhr entwickelt die Melodie "Stille Nacht, Heilige Nacht" eine unerwartete Präsenz. Pianist Markus Kreul hätte das Lied fulminant intonieren können. Stattdessen dreht er an einem kleinen Hebel. Dominik Härtl steht stoisch auf der Bühne des Ludwig-Thoma-Hauses und hält eine leuchtende Laterne. Angelika Mauersich rezitiert die erste Strophe eines Gedichts von Ludwig Thoma, mit dem der Schriftsteller vermutlich bei sich selbst das Gefühl der Kindheit an Weihnachten hervorrufen will. Es endet mit der Frage: "Und weißt du es noch?"

Nach zwei Stunden werden die Drei das Publikum des SZ-Benefizkonzerts für den Adventskalender fragen: "Wisst Ihr es noch?" Dazwischen variieren Kreul, Härtl und Mauersich gemeinsam mit der jungen Violinistin Ralitsa Bogdanova, der Sopranistin Susanne Müller, dem Pianisten Nimapingcuo, Brigitte Fiedler und Edi Hörl dieses eine Sehnsuchtsbild zu einer in sich geschlossenen Erzählung und Partitur.

Spurensuche

Bereits die knappen Sätze von Ludwig Thoma und die Haikus des Dachauer Lyriker Michael Groißmeier bilden die Sehnsucht nach Frieden und einer Nähe zur Natur ab, die letztlich unerreichbar erscheint. Und so verpasst der Dichter die ersten Schneeflocken, weil er sie sich gerade erträumt. Es sind einfache Sätze, die lapidar wirken, allenfalls lakonisch und doch eine unerwartete Tiefe entwickeln: "Nur die Eisblumen/zwischen meinen Gedanken/und meiner Kindheit." Das SZ-Benefizkonzert von Markus Kreul und Mitgliedern der Ludwig-Thoma-Gemeinde entwickelte sich zu einer Spurensuche nach eben diesem Gefühl, das pauschal als weihnachtlich verstanden wird.

Der Kunst wird die Fähigkeit zugesprochen, die Wirklichkeit erträglicher zu gestalten. Sie soll Ausdrucksformen finden, die Welt besser zu verstehen und gleichzeitig das Gefühl der Offenheit und der Chance auf neue Wege erzeugen. Angesichts des Attentats in Berlin hatte die SZ ernsthaft erwogen, ob das Benefizkonzert einen Tag danach stattfinden soll. In ihrer Begrüßung der 250 Gäste erzählte die stellvertretende Teamleiterin der SZ in Dachau, Viktoria Großmann, von diesen Überlegungen und sie erklärte auch die Entscheidung für das Benefizkonzert: "Weil wir zusammenkommen wollen. Wir sollten unter Menschen sein, wir sollten eine Gemeinschaft sein, wir sollten miteinander reden und uns austauschen." Das Publikum erhob sich für eine Gedenkminute von den Plätzen. Seit 1948 gibt es den SZ-Adventskalender für Gute Werke. Seitdem haben die SZ-Leser 130 Millionen Euro für Menschen in Not in der gesamten Region München gesammelt. Dass der Kartenverkauf komplett dem SZ-Adventskalender zufließen kann, ist der Volksbank-Raiffeisenbank zu verdanken, die wie in den vergangenen Jahren auch alle Unkosten das Konzerts trägt.

Leise, aber starke Töne

Das Benefizkonzert war eines der leisen, aber starken Töne. "Weihnachten - Fest der Heimat" wirkte mit den von Geigerin Bogdanova virtuos gespielten "Zigeunerweisen op. 20" von Pablo de Sarasate zunächst gar nicht heimatlich für die Besucher, für die Heimat vor allem mit dem Alpenvorland und mit dessen Kultur und Musik verbunden ist. Das Zigeunerleben gilt ja eher als ein Leben ohne Heimat. "Heimat ist Gefühl", schrieb Markus Kreul und verwies auf die Bodenständigkeit dieses Gefühls bei Ludwig Thoma, den in der Weihnachtszeit "keine sechs Rosse" aus seinem Domizil auf der Tuften bei Rottach am Tegernsee mit Tabakswolken aus seiner Pfeife und glitzerndem Schnee vor der Tür herausreißen konnten. So äußerte er sich in einem weihnachtlichen Brief an Haußmann, einem Landtagsabgeordneten seiner Zeit.

Während Groißmeier in seinem "Zwiegespräch mit einer Aster" nostalgisch die Natur im Winter beschreibt, besingt Richard Strauss in seinem unendlich schönen Lied "Morgen!" eine "sonnenatmende Erde", und die "Petite Suite" für Klavier zu vier Händen von Claude Debussy, die abwechselnd zu den Rilke-Gedichten erklang, beginnt mit einem sommerlichen Stimmungsbild. Sopranistin Susanne Müller sang drei ausgewählte Lieder von Richard Strauss, nämlich "Zueignung", "Die Nacht" und "Morgen!" zur Klavierbegleitung von Markus Kreul sehr schön, bei dem Lied "Morgen" durfte die Violine die überaus schöne Melodie, die Strauss hier dem Klavier anvertraute, auch mitsingen. Nostalgischer und glücklicher geht es nicht mehr: ". . . und auf uns sinkt des Glückes stummes Schweigen." Debussys "Petite Suite" spielte Markus Kreul zusammen mit Nimapingcuo, seinem Gast aus Tibet, in geradezu exemplarischer Eintracht am Klavier - überragend.

Erst essen, dann singen, dann die Bescherung

Da war man auch schon bei "Weihnachten - Fest der Liebe" mit "Hebrew Lovesongs" für Sopran, Violine und Klavier von Eric Whitacre und der römischen Weihnachtsgeschichte "Rhythmus des Herzens" des deutsch-türkischen mehrfach ausgezeichneten bildenden Künstlers Feridun Zaimoglu, der auch als Schriftsteller Erfolg hat. Das war freilich ein Fest der Liebe, das mit dem Fest der alpenländischen Weihnachtskrippen und der in die bayerische Heimat verlegten "Heiligen Nacht" von Ludwig Thoma nichts zu tun hat. Aber eben mit Sehnsucht eines Mannes, dem die Liebe begegnet, besser begegnet sein könnte. In einem der Hebrew-Songs, heißt es: "Er war voller Zärtlich/und sei war sehr hart/Und je mehr sie versuchte, so zu bleiben,/nahm er sie mit sich, ehrlich und ohne/besonderer Grund, und setzte sie am sanftesten Platz ab."

Aber Bethlehem ist kein Ort in Oberbayern, sondern liegt im Gebiet der Palästinenser. Weihnachten ist trotz dem fast 200 Jahre alten "Stille Nacht, heilige Nacht" nicht nur das beglückende Fest unserer Kindheit, es findet Jahr für Jahr als Fest der Familie statt. Wie es dabei zugehen kann, schildert der Dachauer Bestsellerautor und Chef vom Dienst bei der Zeitung Die Zeit, Mark Spörrle, in seinem humorvollen, dabei aber durchaus realistischen Familiendrama "Wir singen vor dem Essen", in dem die zwar nicht weltbewegende, aber an manchen familiären Weihnachtsabend heftigst bewegende Frage diskutiert wird: "Erst essen, dann, singen, dann die Bescherung" oder "Erst singen, dann die Bescherung, dann essen" oder. . . Markus Kreul spielte dazu aus den "Kinderszenen" von Robert Schumann und aus den Klavierstücken "Der Kinder Christabend" von Niels W. Gade. Auch das war eher ein Kontrastprogramm zur Realität vieler Weihnachtsabende in der Familie, doch Kinder überstehen auch solches, und zuletzt ist Weihnachten doch das Fest der glücklichen Kinder. Wisst ihr es noch?

Tatsächlich drehten sich viele Gespräche bei einem kleinen Büffet in der Konzertpause um die eigenen Erinnerungen an Weihnachten. Landrat Stefan Löwl (CSU) übernahm von seinem Vorgänger Hansjörg Christmann (CSU) eine Tradition und übergab der Redaktion der SZ in Dachau und der Geschäftsführerin des gesamten SZ-Adventskalenders, Anita Niedermeier, einen Scheck im Kuvert.

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