SZ-Adventskalender:Warum gerade Pleschinskis Roman "Königsallee" nach Dachau passt

Ein Gespräch mit dem Verleger des Autors, Martin Hielscher aus Vierkirchen, Programmleiter des C.H. Verlags Beck in München.

Interview von Wolfgang Eitler

Die Verleihung des Münchner Literaturpreises empfanden die Gäste im Mai vergangenen Jahres genau so wie die Bücher des Schriftstellers Hans Pleschinski. Er lässt den Herzog von Croy in dessen Tagebuch sagen: "Nie war es herrlicher zu leben." SZ-Feuilletonist Jens Bisky würdigte in seiner Laudatio Pleschinskis Literatur als "Gegengift gegen Verquältheit und schlechte Laune". Dazu sang Countertenor Kai Wessel Händels zartschmelzende Arie "Sei cara, sei bella, virtute ognor". Insofern wird das SZ-Benefizkonzert mit einem der anerkanntesten zeitgenössischen deutschsprachigen Autoren, dessen Werke Bestseller der Belletristik sind, zu einer Art Neuauflage des Fests zur Preisverleihung. Nur, dass Hans Pleschinski selbst liest und Kai Wessel sich mit dem Lautisten Ulrich Wedemeier nicht auf einen kleinen musikalischen Beitrag der Barockmusik beschränken wird.

Allerdings verdeutlicht der Programmleiter des Verlags C.H. Beck, Martin Hielscher, dass die Leichtigkeit Pleschinskis nicht seelenvoller Naivität entspringt, sondern das Ergebnis klarer Analysen und präziser historischen Forschung ist. Sie entsteht durch die Suche "nach dem anderen Deutschland, dem humanen", wie Hielscher zusammenfassend sagt. Von diesem Impuls wird der Roman "Königsallee" über Thomas Mann getragen, die Geschichte über die Rückkehr aus dem Exil und die Begegnung mit der großen Liebe. Deshalb passen Roman und Thema zum Benefizkonzert zugunsten des SZ-Adventskalenders nach Dachau. Eine zentrale Frage ist nur: Warum passt dazu Barockmusik?

SZ: Jetzt verraten Sie doch mal, wie Thomas Mann und Barockmusik sich ergänzen können.

Martin Hielscher: Die barocke Musik, auch der Countertenor, sind eine Vorliebe von Hans Pleschinski. Er hat sich schon immer für die barocke Musik und Literatur erwärmt hat. Kai Wessel und er gestalten gemeinsam Barockabende. Die Tradition der Countertenöre ist verloren gegangen und wird erst gerade wieder neu entdeckt.

Aber Countertenor und Thomas Mann?

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Man kann sagen, dass die Musik im Leben und Werk eine herausragende Rolle spielen. Natürlich Wagner oder Debussy. Bei Hans Pleschinski ist es entschieden das Barock. Dadurch bringt er in seine Lesungen eine persönliche Note hinein.

Bei der Verleihung des Münchner Literaturpreises sind Hans Pleschinski, Kai Wessel und Ulrich Wedemeier gemeinsam aufgetreten. Insofern ist das Benefizkonzert einerseits eine Wiederholung, andererseits aber eine Ausweitung auf ein abendfüllendes Programm.

Genau, die Verleihung war schon eine Folge der gemeinsamen Barockabende. Damals hat Hans Pleschinski den großen Literaturpreis der Landeshauptstadt München bekommen. Man ist zuerst verwundert von der hohen Männerstimme, und dann sofort bezaubert.

Mit dem Wort "bezaubert" sind wir direkt bei Thomas Mann angekommen. Sie haben den Roman "Königsallee" im Verlag C. H. Beck als Programmleiter Belletristik verlegt. Was hat Sie an dem Roman besonders fasziniert, als sie ihn zum ersten Mal als Manuskript erhielten?

Nun war es so, dass ich schon etwas vorbereitet war darauf, was da kommt. Also ich wusste, um was es geht. Was mich besonders beeindruckt hat, sind zwei Dinge. Das eine ist das Bild der fünfziger Jahre, das wir durch den Roman bekommen. Düsseldorf 1954.

Paradigmatisch für das damalige Deutschland.

Paradigmatisch für Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Düsseldorf ist eine Stadt in einer der zentralen Wirtschaftsregionen, die vom Krieg besonders betroffen waren, wo dann auch schon wieder eine zögerlicher Wohlstand einsetzt, wo der Überlebenswille spürbar wird, fast schon so wie eine neue Lust am Leben. Und diese Atmosphäre - das immer noch Verdruckste, das schlechte Gewissen, teilweise eine Verweigerung einer Aufarbeitung der NS-Zeit, dazu die Leute, die eben dies mit einem moralischen Furor einklagen - hat Hans Pleschinski wunderbar eingefangen. Das andere ist das extreme, feine, ganz und gar dezente und völlig unpeinliche Bild von Thomas Mann. Das ist glänzend.

Das Programm

Es sind zwei international renommierte Musiker, die den musikalischen Teil des Benefizabends zugunsten des SZ-Adventskalenders gestalten: Der Countertenor Kai Wessel und der Gitarrist Ulrich Wedemeier, beide exzellente Interpreten barocker Musik, begleiten die Lesung des Münchner Bestsellerautoren Hans Pleschinski. "Die beiden sind Weltklassemusiker", schwärmt der Schriftsteller. Auf dem Programm stehen das Stück "Come Again Sweet Love" für Laute von John Dowland, ein Lied aus der Sammlung "Der Turm zu Babel" von Mauricio Kagel oder auch französische Lieder von Gilles Durand de la Bergerie ("Ma belle si ton ame") und Gabriel Bataille ("Qui veut chasser une migraine"). Außerdem sind ein Preludium für Laute von Johann Sebastian Bach zu hören, drei Choräle von Bach, Lukas Osiander und Michael Prätorius sowie das Lied "An Evening Hymn" von Henry Purcell. Die beiden Musiker ergänzen die Lesungen. Im ersten Teil liest Hans Pleschinski aus der Königsallee. Im zweiten aus seinem Erzählband "Verbot der Nüchternheit. Kleines Brevier für ein besseres Leben". Das Benefizkonzert findet am Dienstag, 22. Dezember, im Ludwig-Thoma-Haus statt. Beginn ist um 19.30 Uhr, Sektempfang 18.30 Uhr. Karten: Lotto Zeitschriften, Bahnhofstraße 9, Dachau, 08131/80746 und Volksbank Raiffeisenbank Dachau in der Altstadt. sto

Die Geschichte von Thomas Mann führt auch nach München zurück, wo er bis zu seiner Flucht vor den Nationalsozialisten lebte.

Sie führt in das Thema Exil zurück. Hinter dem Roman stehen authentische Ereignisse. Es gab in Düsseldorf eine Lesung von Thomas Mann 1954 aus dem Felix Krull. Der Roman war gerade erschienen und entwickelte sich zum Bestseller.

Wie der Roman von Hans Pleschinski auch.

Genau. Er stand wochenlang auf der Spiegel-Bestellerliste und verkauft sich als Taschenbuch ausgezeichnet. Das einzige, was in dem Roman historisch nicht verbürgt ist, ist diese Begegnung zwischen Thomas Mann und Klaus Heuser, die der Roman fingiert.

Aber Klaus Heuser ist eine reale Figur?

Klaus Heuser war 17 Jahre alt, als er Thomas Mann auf Sylt kennengelernt hatte. Er war etwas über 50. Und das war eine, wenn nicht sogar die große Liebe in seinem Leben gewesen. Das war der Klaus Heuser, den er später in der Figur des Josef verewigt hat.

Und wenn man die Beschreibung von Klaus Heuser durch Hans Pleschinski hinzunimmt, dann hat er auch Züge des Felix Krull. Das Leichte, das Lässige und Dandyhafte.

Der eigentliche Witz, oder was zur Entstehung des Romans geführt hatte, war ja, dass die Thomas-Mann-Germanistik sich bisher wenig gefragt hat, was aus Klaus Heuser geworden ist. Hans Pleschinski hat nachgefragt und herausgefunden, dass Heuser aus Deutschland ausgewandert ist.

Er hätte auch in das Deutschland im Nationalsozialismus nicht gepasst.

Nicht nur weil er homosexuell war, sondern vom ganzen Lebensstil her gesehen. Vom Kosmopolitischen. Er war ein sehr liberaler Mensch. Er war nach Asien gegangen und hatte von dort immer noch Kontakt mit Thomas Mann gehabt. Das ist die eigentliche Sensation, auf die Hans Pleschinski gestoßen ist. Er hat einfach im Telefonbuch nach dem Namen Heuser gesucht und angerufen. Gleich die ersten Nummern waren richtig. So ist er auf dessen Nachlassmaterial gestoßen. Thomas Mann hatte ihm noch nach Asien Postkarten geschrieben. Die schwirren noch irgendwo in der Weltgeschichte herum.

Zur Person

Der Programmleiter des Verlags C. H. Beck in München, Martin Hielscher, lebt mit seiner Familie in Vierkirchen im Landkreis Dachau. "Sehr gerne", wie er sagt. Die große Stadt liegt in S-Bahn-Nähe, und das ausgedehnte Dachauer Hinterland hat er vor der Haustür für ausgedehnte Lauftouren. Nach Vierkirchen hat es Martin Hielscher und seine Familie im Jahr 2001 verschlagen, als er vom Beck Verlag das Angebot erhielt, Leiter der Abteilung Literatur zu werden. Deswegen verließ er kurzfristig Köln und musste zügig eine neue Bleibe in der Region München finden. Seine Frau Kerstin hat sich als Erzieherin am evangelischen Kindergarten in Röhrmoos etabliert. Sohn Laurin lernt gerade das Handwerk des Synchronsprechers in München. Tochter Lilly studiert in Würzburg soziale Arbeit. Außerhalb seiner Funktion als Programmleiter ist Martin Hielscher noch Biograf des deutschen Schriftstellers Uwe Timm. Mit Hans Pleschinski vertritt Hielschers Verlag einen Autor ähnlicher Bedeutung für die gesamte deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Es gibt wohl zur Zeit kaum einen erfolgreicheren. An der Universität Bamberg lehrt Martin Hielscher als Honorarprofessor im Fach Literaturvermittlung, und zwar die Kunst und das Handwerk des Lektorierens. Es bedurfte nur eines Anrufs, um Martin Hielscher, den Autor und den Verlag für das Konzert zu gewinnen. we

Das Besondere an dem Roman ist, dass Pleschinski sehr viele Stimmen und Stimmungen einfängt. Er bekommt es hin, dass die Menschen in ihrer Eigenart lebendig werden. Ob es Erika Mann ist oder Golo Mann, der Klaus Heuser aufsucht und um dessen Beistand bei seinem Vater fleht.

Für den Roman gibt es ein strukturelles Vorbild. Das ist wiederum Thomas Manns Roman "Lotte in Weimar". Das ist die gleiche Idee: Der alte, mit Weltruhm gesegnete Schriftsteller Goethe hat in seinem Herzen etwas vergraben, was vielleicht wichtiger ist als der ganze Ruhm. Ist es bei ihm eine versteckte Liebe? Bei Thomas Mann ist sie es auf jeden Fall. Es ist das, man muss es in seinem Fall ganz klar sagen, nicht gelebte Leben. Das Eigentliche wird unter einem Berg von Disziplin und Leistung versteckt. Das nicht gelebte Leben und auch die eigentliche Neigung. Hans Pleschinski hat als erster überhaupt diesem Kern nachgespürt und ist deswegen auf Klaus Heuser gestoßen.

Goethe wie auch Thomas Mann werden aus vielerlei Gründen von der Außenwelt abgeschottet. Tochter Erika will verhindern, dass sich Klaus Heuser und ihr Vater treffen, die sich im selben Hotel aufhalten.

Eine wunderbare Szene. Die Gefährdung, die durch die großen Gefühle entsteht, ist dabei das Thema. Hier stoßen zwei Prinzipien aufeinander. Das Apollonische, das auf Leistung fixiert ist, und das Dionysische, das das Leben feiert, den Moment. Diese Prinzipien, die sich widersprechen, entfalten sich alle in Form von Bühnenauftritten. Bei Lotte von Weimar wie bei der Königsallee.

Pleschinski entwirft richtige Bilder.

Durch das Hotel wird ein Bühnenraum geschaffen. Die Menschen, von denen erzählt wird, bekommen regelrecht ihren Auftritt.

Dann ist es logisch, dass in Düsseldorf der Roman als Theater inszeniert wurde. Sie waren bei der Premiere gemeinsam mit Hans Pleschinski dabei. Hat Ihnen die Aufführung gefallen?

Sehr gut. Es war eine extrem schräge Aufführung, weil der Schauspieler des Anwar, des Geliebten von Klaus Heuser, wegen eines Unfalls im Zug festsaß und nicht kommen konnte. Die Regieassistentin musste mit dem Textbuch in der Hand die Rolle vortäuschen. Kurios war auch, dass eine Frau den Part des homosexuellen Partners von Klaus Heuser übernehmen musste. Das hat sehr gut funktioniert, auch weil die Inszenierung die Bühne für die Romansprache geöffnet hat.

Dann stellt sich schon die Frage, wie man diesen Roman, der im Kern des SZ-Benefizkonzerts steht, lesen kann.

Der Roman ist szenisch aufgebaut. Er lebt von in sich geschlossenen, wunderbaren Mini-Dramoletten. Ein Beispiel: Erika Mann kennt Heuser noch aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Sie ist selbst auch homosexuell orientiert. Sie versteht das Begehren von Klaus Heuser. Sie hat eine tiefe Zuneigung zu ihm. Gleichzeitig versucht sie den Vater zu schützen. Hans Pleschinski hat ein genaues Gespür für diese Konflikte, wie in der Szene, in der er den Kulturamtsleiter von Düsseldorf auftreten lässt, der in seiner Rede nichts Besseres zu tun hat, als Ernst Jünger zu erwähnen, also quasi den Erzfeind von Thomas Mann, und keinen einzigen Fettnapf dabei auslässt. Und Thomas Mann schafft es, Haltung und Würde zu bewahren.

Leicht vorzutragen ist so ein Roman nicht.

Hans Pleschinski liest hervorragend. Er arbeitet beim Bayerischen Rundfunk als trainierter Sprecher. Diese aufs Szenische, auf Dialoge und auf unterschiedliche Stimmen angelegte Form kann Pleschinski aus dem Roman herausholen. Sie lebt gerade vom mündlichen Vortrag, sie ist Element seines Schreibens.

Es gibt noch einen anderen Aspekt im Werk von Hans Pleschinski insgesamt. Er treibt seine Recherchen weit hinein in die Geschichte Deutschlands und dessen Bürgertums.

Der historische Blick zurück hat Hans Pleschinski schon immer interessiert. Er ist bestrebt, den Blick auf Deutschland auszuweiten. Wir sind auf das 20. Jahrhundert und auf den Zivilisationsbruch fixiert und vergessen, was es an Geschichte davor schon gab. Auch an schöner, humaner Geschichte. Gerade die Zeit des Barock, die hohe Zeit von Städten wie Dresden, die einst die deutsche Mitte darstellen, tendieren wir zu vergessen. Pleschinski ist während der Recherchen zu Heuser auf dessen Großmutter Else Rethel gestoßen und damit auf eine jüdisch-großbürgerliche Familie. Dazu gehörte der sächsische Zweig der Familie Oppenheim, dazu gehören Bankgründungen und große Malerdynastien. Else Rethel hat ihre Memoiren hinterlassen und zeichnet ein Bild eines liberalen Bürgertums, das wir so nicht mehr kennen.

Macht Hans Pleschinski daraus wieder einen Roman?

Nein. Es erscheint als von ihm herausgegebenes Tagebuch. Es ist nicht sein erstes. 2013 hat er das "Geheime Tagebuch des Herzog Croy" veröffentlicht, das in die Zeit vor die Französische Revolution führt. Außerdem hat er den Briefwechsel über Friedrich den Großen mit Voltaire aus dem Französischen übersetzt. Ein Riesenerfolg.

Hans Pleschinski ist für Sie Romancier und Historiker zugleich?

So etwas in der Art. Er hat auch Gesellschaftsromane wie "Ludwigshöhe" geschrieben, es ist die Geschichte einer Moribunden-WG, die ein Haus für Selbstmorde anbietet. Aber auch dieser Roman baut sich szenisch auf.

Und immer geht es um Deutschland.

Ja, aber es geht um ein anderes Deutschland, um Deutschland jenseits der Tradition des Militarismus, eines düsteren Preußentums, jenseits dieses öden, mageren und lebensfeindlichen Deutschlands.

Das Heinrich Mann in seinem "Untertan" beschreibt.

Ja, und das wir verinnerlicht habe, das wir scheinbar in unseren Genen haben. Und Hans Pleschinski sagt: Das stimmt überhaupt nicht. Deswegen auch seine Faszination für die Barockmusik. Sie ist für ihn eine Feier des Lebens.

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