Süddeutsche Zeitung

SZ-Adventskalender:Martyrium in der Ehe

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Geschiedene Mutter wagt Neuanfang als Alleinerziehende

Von Eva Waltl, Dachau

Ihre 16-jährige Tochter erlernt gerade eigenständig die Gebärdensprache. "Sie macht große Fortschritte", erzählt Renate T. stolz. Nach der Schule möchte das Mädchen Heilerziehungspflegerin werden. Anders ihre jüngeren Geschwister. Sie interessieren sich für das Berufsbild des Polizisten oder der Krankenschwester. Dass ihre Mutter die Werdegänge ihrer drei Kinder unmittelbar miterleben kann, war lange Zeit nicht klar und ist für sie daher umso erfreulicher.

Während der achtjährigen Ehe wurde Renate T. von ihrem Ex-Mann zur Prostitution gezwungen. Das Familienleben war von der psychischen Gewalt des Vaters geprägt. Mutter und Kinder litten. Renate T. erkrankte an einer schweren Belastungsstörung, begleitet von Ohnmachtsanfällen. Die Kinder aßen kaum noch. "Als bei einem der Kinder Suizidgedanken aufkamen, kam der Zeitpunkt, an dem ich meine Kinder schützen musste", erzählt Renate T.. Weil sie die Gefahr, die vom Vater ausging, nicht mehr von den Kindern fernhalten konnte, lebten sie sechs lange Jahre im Heim - getrennt von ihrer Mutter, aber wenigstens in Sicherheit. "Das war für alle Beteiligten sehr schlimm", sagt Renate T. Sie ließ sich scheiden, und ihr Körper und Geist begannen allmählich wieder zu heilen. Nun wagt die alleinerziehende Mutter den Neuanfang und der SZ-Adventskalender der guten Werke der Süddeutschen Zeitung will sie dabei unterstützen.

"Die Zeit war unendlich lang, aber auch notwendig, damit wir uns alle wieder erholen konnten", erinnert sich Renate T. an die Zeit, die sie ohne ihre Kinder lebte. Es hat sie Tränen, Nerven und Geld gekostet. Die 36-jährige Mutter erhielt psychotherapeutische Betreuung, um sich von den Qualen zu erholen, die ihr Mann ihr zugefügt hatte. Während dieser Zeit war es ihr nicht möglich zu arbeiten, sie war zu labil. Sie bezog die Grundsicherung, die ausreichte, um die Therapiekosten und ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Sie zahlte "ein hohes Lehrgeld", beschreibt sie selbst die sechs Jahre. Aber sie hat nicht aufgegeben und weitergekämpft. Ihre Überzeugung, es müsse irgendwann einfach besser werden, trieb sie voran.

Vor etwa zwei Jahren dann kehrten die Kinder zu ihr zurück. Dies sei einer ihrer glücklichsten Momente gewesen, sagt sie. Die Familie fand wieder zusammen. Der Kontakt mit dem Vater ist gänzlich abgebrochen. Renate T. hat zwar viel wertvolle Zeit mit ihren Kindern verpasst, aber die Familie "nähert sich langsam einem Happy End", sagt sie.

Die Kinder stecken alle mitten in der Pubertät. Zuhause ist immer viel los. Die Zeit des Homeschooling war mühevoll, sie hätten sie aber alle gut meistern können, sagt Renate T. Auch, weil sie nie aufgehört hätten, zusammenzuhalten: "Ich bin sehr stolz, wie die drei alles bewältigen." Auch Renate T. hat vieles zu verarbeiten. Das Geld ist knapp, und der Verdienst, den ihr Teilzeitjob bringt, reicht kaum aus, um die alltäglichen Kosten zu stemmen. Unterhalt vom Vater der Kinder erhält sie nicht.

Die Mutter muss ihre Ausgaben genau verwalten, Geld für den Notfall anzusparen ist unmöglich. Die drei Kinder benötigen neue Matratzen samt Lattenrost und die Mutter eine funktionierende Geschirrspülmaschine. Selbst dafür aufkommen kann Renate T. nicht. "Ich investiere lieber in meine Kinder als in mich", sagt sie. Einen "kleinen Luxus" aber leistet Renate T. sich aber doch: "Einmal pro Monat kaufe ich mir ein Hörbuch." Die Familie beginnt gerade erst wieder zusammenzuwachsen, und die tiefen Wunden beginnen zu heilen. Unterstützung ist essenziell, damit sie wieder auf die Beine kommen und so etwas wie Normalität eintritt.

Etwas Gutes sieht Renate T. aber auch in all dem Leid, das ihr und ihren Kindern widerfahren ist. "Ich beginne jetzt, Frauen, die sich in ähnlichen Situationen befinden, zu helfen." Denn oftmals helfe es, von Betroffenen zu hören, dass man mit der Erfahrung nicht alleine ist. Dass man es schaffen kann, die Krise zu bewältigen. "Es gibt immer ein Danach", versichert Renate T. Ein Glück, dass sie die schlimmsten Qualen bereits hinter sich weiß.

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Quelle:
SZ vom 27.12.2021
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