Süddeutsche Zeitung

SZ-Adventskalender:Gefangen im eigenen Körper

Der siebenjährige Tino liegt nach einer zu spät erkannten Pneumokokkeninfektion im Wachkoma. Er nimmt seine Umgebung wahr, kann sich aber kaum ausdrücken. Die Pflege verlangt den Eltern mehr ab, als sie eigentlich leisten können. Der SZ-Adventskalender will der Familie helfen

Von Christiane Bracht, Dachau

Tino liegt ganz ruhig da. Doch er ist aufmerksam, das spürt man sofort, auch wenn sich der Siebenjährige nicht bewegen kann. Als er hört, dass Besuch gekommen ist, hustet er leicht, räuspert sich - für die Gäste kaum wahrnehmbar. Aber seine Mutter Monika Maier, die immer mit einem Auge auf den handygroßen Monitor schaut, der den Kleinen in seinem Zimmer überwacht, bemerkt die Unruhe sofort. Sie trägt ihn ins Wohnzimmer hinüber, bettet ihn neben den Tisch, damit er teilhaben kann. Anfangs dreht Tino seinen Kopf noch weg. Er muss sich erst langsam an die Situation gewöhnen. Zwei Fremde, das ist selten. Doch inzwischen schaut er mit großen Augen hinüber, beobachtet, was vor sich geht, hört die neuen Stimmen.

Tino liegt seit mehr als fünf Jahren im Wachkoma. Für die Eltern war das ein schwerer Schlag.

"Er ist gesund geboren", sagt Monika Maier (die Namen sind von der Redaktion geändert). Doch mit 20 Monaten bekam Tino eine Pneumokokkeninfektion. Die Ärzte erkannten dies nicht, behandelten lange falsch, als sie ihm endlich ein Antibiotikum gaben, war es bereits zu spät. Das Medikament rettete zwar Tinos Leben, aber die Bakterien hatten sein Gehirn bereits zu sehr beschädigt. Seither kann Tino nicht mehr laufen, nicht mehr reden, nicht schlucken und auch nicht mehr lächeln. Er ist ein Gefangener seines Körpers, kann sich kaum mehr ausdrücken.

"Er war ein fröhliches Kind, ein kleiner Lausbub", erinnert sich Monika Maier. Wenn man Tino so liegen sieht, kann man sich kaum mehr vorstellen, dass es auch mal andere Zeiten gab. "Er mag es noch immer, wenn man Quatsch mit ihm macht", sagt die 38-Jährige. Witze machen, kitzeln oder auch mit Stofftieren Geschichten erzählen, das liebt Tino. "Manchmal sieht man dann einen kleinen Schmunzler", sagt Monika Maier und lächelt. "Oder er seufzt wohlig, wenn wir mit ihm kuscheln." Genau diese Reaktionen sind es, die Monika und ihren Mann Matthias anspornen immer weiter zu machen, auch wenn ihnen die Pflege mehr abverlangt, als sie eigentlich leisten können - psychisch, aber auch körperlich.

Die Eltern können nur hoffen, dass das Virus den Weg in die Wohnung nicht findet

Der Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung will der Familie, die zwar nicht mehr im Landkreis Dachau wohnt, aber knapp dahinter, helfen und wenigstens die finanziellen Sorgen ein wenig abmildern. Die Krankenkasse zahlt bei weitem nicht alles, was nötig ist, sondern oftmals nur überschaubare Zuschüsse und so lastet neben den Sorgen um Tino auch ein hoher finanzieller Druck auf Monika und Matthias Maier.

"Wir haben ein Jahr gezittert", sagt Monika Maier. Ihr Sohn lag im Krankenhaus, wurde mehrfach operiert, denn der Hirndruck stieg plötzlich. Es mussten Drainagen und ein Shunt gelegt werden, damit das Hirnwasser ablaufen konnte. Ein Luftröhrenschnitt verhinderte, dass er erstickt. Es folgten Epilepsien, die noch immer täglich auftreten und schwer in den Griff zu kriegen sind. Ein Albtraum für die Eltern. Auch wenn es jetzt nicht mehr ganz so Spitz auf Knopf steht, so müssen sie noch immer genau aufpassen, denn durch die Erkrankung ist Tinos Lunge geschädigt. Er ringt immer wieder mal nach Luft, manchmal kaum merklich. Dann muss der Siebenjährige Sauerstoff bekommen.

Wichtig ist auch darauf zu achten, dass die Atemwege frei sind. Wenn man nicht schnell genug reagiert, kann es lebensbedrohlich werden. Und so sieht Tinos Zimmer aus wie eine Intensivstation - nur dass die Wände grün sind. Hinter dem Bett steht die riesige Sauerstoffflasche - griffbereit für den Ernstfall. Dort wo sonst der Nachttisch stehen würde, stapeln sich Geräte und Monitore - alles muss kontrolliert werden. Der Junge kann schließlich nicht sagen, wenn etwas nicht stimmt.

Tinos Zustand hat sich verschlechtert - "die Ärzte sind pessimistisch"

"Schon bei einer einfachen Erkältung haben wir Angst um ihn oder auch wenn er nur zahnt", sagt Monika Maier - ganz zu schweigen von Corona. "Es ist ein Nervenkrieg", sagt sie. Die Eltern versuchen, das einfach zu verdrängen und hoffen nur, dass das Virus den Weg in die Wohnung nicht findet. Tag und Nacht sitzen sie oder ein Pfleger an seinem Bett. Das einzige, was noch an ein Kinderzimmer erinnert, sind die Kuscheltiere und eine hübsche CD-Sammlung. "Tino interessiert sich für Musik", sagt Monika Maier "Das entspannt ihn." Er mag aber auch Geschichten, wie Pettersson und Findus oder Benjamin Blümchen.

Tino darf aber nicht nur herumliegen, er muss auch Übungen machen. Wenn er im Rollstuhl sitzt, werden seine Beine einmal am Tag mit einem Pedalrad bewegt. Außerdem muss er auf den "Stehbär", eine brettartige Konstruktion, die ihn aufstellt. Das sei wichtig für seine inzwischen gebrechlichen Knochen, erklärt die Mutter. Um dem Siebenjährigen eine Möglichkeit zu geben, sich eines Tages vielleicht mitteilen zu können, bringen die Eltern ihm liebevoll bei, wie er mit Hilfe seiner Augen und einem Computer, der seinen Blick erkennt, kommunizieren kann. "Ähnlich wie Stephen Hawkins", sagt die Mutter. "Vieles wäre möglich, wenn er nicht so gefangen wäre in seinem Körper."

Wenn Monika und Matthias Maier sich nicht um Tino kümmern, arbeiten sie - anders kämen sie finanziell nicht über die Runden. Die Versorgung von Tino ist kostspielig. Doch die Doppelbelastung ist auch hart zu ertragen. Matthias Maier ist ehrlich: "Es ist so belastend, dass es mir psychisch und körperlich zusetzt." Er musste sein Studium abbrechen, als klar war, dass Tino ein Pflegefall bleiben würde. Nun arbeitet er Vollzeit. Anfangs im Landkreis Dachau jetzt in der Nähe des Wohnorts, um für die Familie da sein zu können. Er spürt den Druck, genügend Geld mit nach Hause bringen zu müssen deutlich. Gleichzeitig will er in seiner Arbeit nicht negativ auffallen, versucht sich nichts anmerken zu lassen, auch wenn es manchmal über seine Kräfte hinaus geht. Monika Maier geht es ähnlich, auch wenn sie nur drei Tage die Woche als Erzieherin arbeitet.

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"Wenn die Pfleger kurzfristig ausfallen, müssen wir einspringen", sagt sie. "Manchmal erfahren wir es erst zwei Stunden vor deren Dienstantritt." Für einen der beiden Eltern folgt dann nach der anstrengenden Arbeit eine Nachtschicht, in der sie kein Auge zumachen dürfen, weil sonst der Kleine gefährdet wäre. Abgesehen davon fehlen ihnen zwei Pflegekräfte. Derzeit übernehmen die Eltern die vakanten Dienste. Geld bekommen sie dafür nicht. Unterstützung von der Familie haben sie auch nicht, denn Monika Maiers Mutter hatte einen Schlaganfall und ihr Vater ist nun mit der Pflege seiner Frau voll ausgelastet.

Matthias Maier spricht aus, was die beiden noch zusätzlich belastet: "Es ist nicht so, dass wir absehen können, dass es aufwärts gehen wird." Seine Frau wird noch deutlicher: "Die Ärzte sind pessimistisch." Seit einer Entzündung der Bauchspeicheldrüse habe sich der Zustand von Tino verschlechtert. "Sein Körper baut ab." Eine niederschmetternde Prognose. Besser man denkt nicht nach, was alles noch kommen kann, sagt sie. "Es hilft, nur die kleinen Schätze zu betrachten." Sie meint die Momente, in denen sie glücklich sind, in denen Tino sie mit den Augen anlächelt oder ihr ganz zart die Hand drückt.

Der Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung will Monika und Matthias Maier unterstützen. Die beiden brauchen dringend einen Treppenlift, denn Tino ist gewachsen und schwerer geworden. Matthias Maier kann ihn zwar noch die Treppe hinauftragen, aber wohl auch nicht mehr lange. Sein Rücken schmerzt schon. Monika Maier kann das nicht mehr. Die Krankenkasse hilft nur mit einem relativ kleinen Betrag. Daraufhin haben die beiden ein Crowdfunding-Projekt im Internet gestartet. Viele Freunde halfen, es kam einiges zusammen, aber natürlich bei weitem nicht der Betrag, den die beiden gebraucht hätten. Dennoch sind sie froh um diese Hilfe. Der SZ-Adventskalender will sich nun ebenfalls an dem Treppenlift beteiligen.

Wer Interesse hat bei den Maiers als Krankenschwester oder Pfleger zu arbeiten, kann sich unter Telefon 08131/4310184 bei Andreas Hilz melden.

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Quelle:
SZ vom 20.12.2021
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