SZ-Adventskalender:Körper und Seele im Dauerstress

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70 Prozent der pflegebedürftigen Menschen werden zu Hause von Angehörigen betreut. Zeit für adventliche Ruhe bleibt da kaum.

Petra Schafflik

- Mit frischem Tannengrün hat Elisabeth S. (alle Namen geändert) das gemütliche Wohnzimmer geschmückt. Auch wenn ihr die anstrengende Pflege von Ehemann Friedrich seit Monaten kaum noch Zeit lässt - die heimelige Weihnachtsdekoration "muss schon sein", findet die 75-Jährige. Schon allein weil ihr an Demenz erkrankter Mann die Natur immer so geliebt hat. Jetzt, wo ihm die Kraft fehlt, um die Wohnung zu verlassen, holt Elisabeth S. ihm ein kleines Stück Wald ins Haus. Doch adventliche Ruhe kehrt bei der Familie nicht ein, denn der Pflegealltag setzt der tatkräftigen Frau sehr zu. Aktiv und gesellig sei ihr Mann stets gewesen, erzählt Elisabeth S. mit lebhafter Stimme. "Er war immer so ein begeisterter Sportler." Doch irgendwann brauchte der 79-Jährige mehr und mehr Hilfe.

Zuletzt musste sie ihn waschen und ankleiden, ihm die Mahlzeiten mundgerecht herrichten. "Es ist richtig bergab gegangen mit ihm." Hilflos habe sie sich gefühlt, "man ist darauf nicht vorbereitet". Noch immer mag sie nicht glauben, wie ihr Mann, mit dem sie noch vor wenigen Jahren fröhlich die Goldene Hochzeit gefeiert hat, sich langsam verändert. Das Haus kann Elisabeth S. aus Sorge um ihn kaum mehr verlassen, schon ein eigener Arztbesuch wird zum Kraftakt. An ruhigen Schlaf ist nicht zu denken, weil Friedrich nachts herumgeistert, sich in der eigenen Wohnung verläuft, "den Weg zurück von der Toilette nicht mehr findet". Das überfordert Körper und Seele.

Elisabeth S. ist mit ihren Sorgen und Belastungen nicht allein. Denn 70 Prozent der pflegebedürftigen Menschen werden von ihren Angehörigen zu Hause gepflegt, erklärt Irmgard Wirthmüller von der Fachstelle für pflegende Angehörige der Dachauer Caritas. Die Pflege-Situation komme meist unerwartet und auch unfreiwillig auf die Betroffenen zu, fordere dann aber "den Menschen ganz und gar". Und wie Elisabeth S. stoßen viele Angehörige im Lauf der Zeit an ihre körperlichen und psychischen Grenzen. Die Caritas-Fachstelle bietet Informationen und eine Gesprächsgruppe, wo sich Angehörige einmal im Monat austauschen, gegenseitig Tipps und Informationen geben, "rauskommen aus dem anstrengenden Alltag".

Schon den Kontakt zu anderen Betroffenen erlebten die Teilnehmer als große Entlastung, sagt Wirthmüller. An die Demenzkranken selbst richtet sich eine Betreuungsgruppe, die das Landratsamt seit 2002 einmal die Woche organisiert. Jeder demenzkranke Gast hat eine ehrenamtliche Helferin, die auf die individuellen Bedürfnisse eingeht. Ziel der Betreuungsgruppen ist es, Angehörige von an Demenz erkrankten Personen zu entlasten. Auch für den demenzkranken Menschen sei es wichtig, andere Eindrücke außerhalb der vertrauten häuslichen Umgebung zu erleben, erläutert Silvia Fitterer vom Sozialdienst im Landratsamt.

Ein Angebot, das auch Friedrich S. lange mit großer Freude wahrgenommen hat, erzählt seine Frau. Gerade weil er immer ein geselliger Mensch war, waren die Treffen für ihn ein Lichtblick. Elisabeth S. hat diese freien Stunden genutzt, um durchzuschnaufen und sich mit Freundinnen zu treffen. Doch kaum hatte sich die Pflegesituation in der Familie ein wenig eingespielt, hat sich der Zustand des Mannes mehr und mehr verschlechtert, zuletzt wurde ein Klinikaufenthalt notwendig. Nun weiß Elisabeth S. nicht, wie es in wenigen Tagen nach der Rückkehr des Ehemanns weitergehen kann. Nach den vielen gemeinsamen Jahren ist sie es ihm schuldig, ihn zu betreuen, findet die 75-Jährige. Auch kann sie die 1500 Euro Eigenanteil für ein Pflegeheim mit der kleinen Rente der Familie nicht aufbringen, Hilfe vom Sozialamt möchte sie nicht in Anspruch nehmen. Also wird Elisabeth S. selbst die Pflege schultern, "solange ich es nur irgendwie schaffe."

© SZ vom 22.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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