Gemeinhin flucht der gestresste Zeitgenosse darüber, wie schnell ihm die Zeit verfliegt – und so ist es auch. Schon wieder Juni. Die Unterlagen zur Steuererklärung, deren pünktliche Lieferung man dem fast schon beleidigend skeptischen Finanzbeamten hoch und heilig versprochen hat, liegen verstreut in Schubladen und Kartons, wichtige Rechnungsbelege, wie auch immer sie dahin gekommen sein mögen, hinter dem verstaubten Blümchen-Kaffeeservice der längst verstorbenen Oma im Küchenschrank. Und dann das Kellerabteil, ein Chaos: zerrissene Lampenschirme, unbrauchbare Elektrogeräte, Bücher, deren Verfasser einem weismachen wollten, der Mensch könne sich ändern und gleich die ganze schreckliche Welt; abgewetzte Handtaschen und abgetragenes Schuhwerk, in das man ja vielleicht noch die Füße zur Gartenarbeit zwingen könnte, wenn man sich jemals dazu aufrafft; scheußliche Möbel und verbogene Tischtennisschläger – kurzum eine Kunst-Installation, bei deren Betrachtung der Besucher der Biennale di Venezia über die Vergeblichkeit allen menschlichen Strebens sinnieren hätte können und zu dem aufrüttelnden Ergebnis gekommen wäre: Der einzige Zweck der Existenz des Homo sapiens besteht nur darin, jede Menge Müll zu hinterlassen, bevor er von diesem geschundenen Planeten abtritt.
Kultur statt Konsum
7. Juni 2024. Ein Nachtrag: Die Venezianer wollten das Kunstwerk nicht, aber egal, dann geht die Installation eben mit einer Entrümpelungsfirma in einen Wertstoffhof des Landkreises, irgendwann. Aber das löst nicht das Problem, dass einem die Zeit verfliegt – bis man dann eines schrecklichen Tages keine mehr hat, und man die Glocken von Sankt Johann nicht mehr hört. Aber, und darum geht es doch im Grunde, es gibt abseits vom Finanzamt, von anderen Behördengängen, Arztbesuchen, außerhalb der Keller, ein Leben vor dem Tod – und das trägt im Landkreis den Namen Kult-A8.
Hinter Kult-A 8 steht ein Trio, das seinesgleichen sucht: die Kreisrätin Ursula Kohn aus Odelzhausen, Paul Schmid, früherer stellvertretender Bürgermeister von Sulzemoos, und Edith Daschner, ehemals stellvertretende Bürgermeisterin von Bergkirchen – drei ehrenamtlich Engagierte, die die Leidenschaft für Kunst und Kultur zusammengeschweißt hat. Sie stellen seit nunmehr schon 14, 15 Jahren ein Programm auf hohem Niveau auf die Beine, von Brecht bis Blasmusik, wie Schmid sagt.
In dieser Zeit haben sie ein lebendiges Zentrum für Tanz, Blasmusik, klassische Konzerte, Opern, Film, Dokumentation und Lesungen im westlichen Landkreis entlang der A 8, in den beteiligten Gemeinden Bergkirchen, Odelzhausen, Sulzemoos und auch Pfaffenhofen a. d. Glonn geschaffen. Der Ursprungsgedanke war: Warum sollen die Leute nach Dachau oder auch München fahren, wenn sie auch in ihrem Lebensumfeld Kunst und Kultur auf großstädtischem Niveau erleben können?
Die Beziehungen sind freundschaftlich, nicht geschäftlich
Es wurde zu einer Erfolgsgeschichte, auch weil die Künstler, manche gastieren bei Kult-A 8 zum wiederholten Mal, in dem Trio Freunde sehen, Veranstalter, die sie auch in der Pandemie nicht im Stich gelassen haben. Am 31. Dezember gibt Harmonic Brass, ein Blechbläserquintett, um 15 Uhr wieder das Silvesterkonzert in der Pfarrkirche Odelzhausen mit Werken von Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel nebst einigen musikalischen Überraschungen und einer charmanten Moderation mit herrlichen Geschichten. 300 Besucher werden bei dem alljährlichen Highlight gezählt. Die Dresdner Frauenkirche wollte „Harmonic Brass“ für ihr Silvester-Konzert abwerben – keine Chance trotz höheren Honorars. Am 7. Dezember gibt es eine andalusische Weihnacht mit Flamenco in der – ja, tatsächlich – Pfarrkirche von Bergkirchen. Ricardo Volkert, sein Ensemble und die Tänzerinnen nehmen die Zuhörer mit auf eine Reise von den Bergdörfern der Sierras hinunter in die Städte Granada und Sevilla und an die Strände der andalusischen Meere.
So schnell verfliegt dann die Zeit auch wieder nicht. Aber der Exit aus dem tristen Kellerdasein naht schon viel früher: Das Sommerkonzert mit zwei Konzertabenden am 19. und am 20. Juni verspricht zumindest eine vorübergehende Erholung vom Alltagsstress. Mehr noch: den Geschmack der Leichtigkeit des Lebens mit dem Ricardo Volkert & Ensemble, durch den Rhythmus der Gitarren, Kastagnetten, Perkussion und Flamencotänze oder durch die ganz eigene Tonpoesie von Quadro Nuevo. Am 20. Juni dann der Konzertabend, wieder im Schloss Sulzemoos, die Joo Kraus-Travel Party und Harmonic Brass, das virtuose Blechbläserquintett, das zu den besten der Welt zählt. Davon werden die Besucher tage- wenn nicht wochenlang zehren; und danach, aber keine Eile, kann man die längst fällige Steuererklärung ins Finanzamt bringen.


Daneben enthält das Jahresprogramm noch viele weitere, sehenswerte Veranstaltungen – im Juli den Theatersommer Bergkirchen, zwei Diener, zwei Herren und eine Nacht in Venedig in einer Inszenierung des Hoftheaters; das Lisa Wahlandt Trio meets Marco Lobo und Café Caravan, ein Konzert mit Roma-Musik oder das Rockkonzert mit ROXXDOXX. Im September folgt ein Jazzfrühschoppen, im Dezember weitere Weihnachtskonzerte. „Kultur in ländlichen Räumen“ heißt ein Förderprogramm der Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne). Darin heißt es: „Kultur eröffnet Raum für Begegnung, schafft Gemeinschaft und stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Damit alle Menschen in Deutschland – in ländlichen genauso wie in urbanen Räumen – Zugang zu Kunst und Kultur haben, unterstützt der Bund die kulturelle Infrastruktur auf dem Land mit verschiedenen Maßnahmen.“
Das macht Kult-A 8 bereits seit vielen Jahren – ohne Unterstützung des Bundes, aber mit der Hilfe großzügiger Spender, die den Wert der Arbeit dieses Trios erkannt haben. Weniger bürokratisch ausgedrückt, schenkt Kult-A 8 – in diesen Krisenzeiten selten genug – Lebensfreude, bietet das Trio, das schon selbst Kultstatus hat, einen Fluchtpunkt – für alle, die noch einmal das pralle Leben spüren wollen, vor dem endgültigen Abstieg in den Keller.