Süddeutsche Zeitung

Sulzemoos:Ende der gelben Ära

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Im Ort wird demnächst eine der letzten Telefonzellen abgebaut. Der Betrieb ist nicht mehr wirtschaftlich

Von Benjamin Emonts, Sulzemoos

Wenn heute von einer "Telefonzelle" die Rede ist, schwingt meist ein abschätziger Unterton mit. "Was ist das denn für 'ne Telefonzelle?", lautet häufig die mitleidige Frage. Der Adressat muss sich dann rechtfertigen, weshalb er im Zeitalter des Smartphones immer noch das antiquierte Exemplar eines überdimensionalen, klobigen Handys mit sich herumschleppt. Der Sulzemooser Gemeinderat hat sich nun ebenfalls mit einer Telefonzelle beschäftigt, aber nicht der sprichwörtlichen, sondern der echten, noch dazu gelben Telefonzelle. Das Denkmal postmoderner Kommunikation steht bereits seit den Sechziger- oder Siebzigerjahren in der Dorfstraße im Sulzemooser Ortsteil Wiedenzhausen, so schätzt Bürgermeister Gerhard Hainzinger von den Freien Wählern. Ihr Standort ist durchaus prominent.

Die gelbe Telefonzelle befindet sich an der Ortsdurchfahrtsstraße zwischen einem Grundstück und einem Gehsteig, auf der einen Seite ein Gartenzaun, auf der anderen eine gemütliche Holzbank, auf der man auf den Telefonisten warten oder neugierig dessen Gespräch lauschen kann. Im Hintergrund ist die Kirche Sankt Florian zu sehen. Hainzinger findet zurecht, dass die Telefonzelle keine schlechte Figur macht im Wiedenzhausener Ortsbild. "Sie hat seit Jahrzehnten einfach dazugehört."

Im Zeitalter des Mobiltelefons sind Telefonzellen nicht mehr gefragt

Was den Nostalgiker allerdings traurig stimmen dürfte: Die Telefonzelle soll nun abgebaut werden. Eine entsprechende Anfrage der Deutschen Telekom flatterte vor kurzem ins Sulzemooser Rathaus. Der Gemeinderat stimmte dem Vorhaben mit 14 zu eins Stimmen zu. Offensichtlich beklagte die Telekom, dass die Telefonzelle in letzter Zeit kaum noch genutzt worden sei, erzählt Hainzinger. Im Zeitalter des Mobiltelefons sind die Telefonhäuschen nicht mehr gefragt, außer man möchte unbedingt anonym bleiben und nicht zurückverfolgt werden, was beispielsweise für Lösegelderpresser gilt oder für Gangster auf der Flucht, die noch eben ihre Angehörigen grüßen möchten. Die Deutsche Telekom hat jedenfalls schon zu Beginn des neues Jahrtausends damit begonnen, die Telefonzellen nach und nach abzubauen, wie es vor Jahren auch in Einsbach und Sulzemoos geschehen ist.

Der schwindende Bedarf ist dabei nur ein Grund. Ausschlaggebend war auch die Zerstörung, die immer wieder an den Telefonzellen verübt wurde. Im Jahr 1982, als es landauf landab noch sehr viele Telefonzellen gab, belief sich die Schadenssumme laut einem einschlägigen Internet-Lexikon auf 13,6 Millionen D-Mark. Es wurden 18000 Glasschäden, 7800 gestohlene Hörer und 1270 entwendete Münzbehälter registriert. Auch in Wiedenzhausen wurden das Häuschen und das Telefon mehrfach demoliert. Ganz abgesehen davon, dass die abgeschlossen Telefonzellen - besonders bei schlechtem Wetter - oftmals zweckentfremdet wurden: als kleine Party-Location, Raucherabteil oder Schlafsaal.

Die Deutsche Telekom ging folglich dazu über, sogenannte Telestationen zu errichten, die keinen Wind- und Lärmschutz mehr bieten. Sie sind bis heute zu finden in Ortschaften und vor allem an Bahnhöfen. Die gelben Telefonzellen sterben endgültig aus. Bürgermeister Hainzinger aber weist auf ein besonders seltenes Exemplar in der Einsbacher Keltenstraße hin. Dort hat sich ein Sammler eine historische Telefonzelle aus Großbritannien auf sein Grundstück gestellt. Ihre Farbe ist rot.

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Quelle:
SZ vom 28.02.2017
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