Süddeutsche Zeitung

Streit um erneuerbare Energien in Dachau:Glaubensfrage

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Die Stadtwerke lassen fünf Fachleute Pläne, Gutachten und Erwartungen an die geplante Windkraftanlage im Sigmertshauser Holz erläutern. Doch es zeigt sich, dass erklärte Gegner sich mit Fakten nicht überzeugen lassen

Von Petra Schafflik, Dachau

Das Windrad, das die Stadtwerke im Sigmertshauser Holz errichten möchten, erregt weiter Unmut. Einige Bürger aus Viehhausen und Pellheim fühlen sich als Bauernopfer von umweltpolitischen Zielen, welche sie für verfehlt halten. Auch die Informationsveranstaltung mit Fachreferenten, zu der die Stadtwerke am Mittwoch ins Ludwig-Thoma-Haus geladen hatten, konnte die Kritiker nicht überzeugen. "Das ist doch eine Verkaufsveranstaltung", schimpfte Bernhard Metz aus Pellheim. Lorenz Kranz nannte die vorgelegten Zahlen "utopisch".

Doch andere sind überzeugt von den Windkraft-Plänen. Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) erhielt Applaus für seine Erläuterungen zum umweltpolitischen Leitbild der Stadt. Das Windrad, sagt Hartmann, sei ein Beitrag dazu, "dass die Energiewende gelingt und wir noch wirtschaftlich profitieren." Ob die Windmühle tatsächlich gebaut wird, entscheidet der Stadtrat nach der Sommerpause. Bis dahin laufen noch Gutachten, die Vogelkartierung ist nicht beendet. Bisher "wurde nichts Kritisches gefunden", sagte Biologie Martin Königsdorfer, der die Studie koordiniert. Anwohner Kranz will aber erfahren haben, dass in diesen Tagen "der Horst eines Wespenbussards gemeldet worden ist." Eine neue Information, die nun verfolgt werde, antwortet Königsdorfer.

Daten, Fakten, Studien, Hintergründe: Vor der Debatte lieferten Fachreferenten den zahlreichen Zuhörern im Stockmann-Saal umfassende Informationen. Gerald Nübel, technischer Werkleiter der Stadtwerke, präsentierte gemeinsam mit Projektingenieur Robert Sing das Vorhaben; Martina Hunner vom Tüv Süd informierte über das Schall- und Schattenwurf-Gutachten. Demnach werden alle Grenzwerte für die umliegenden Ortschaften klar unterschritten. Für Niederroth wurden 26 Dezibel errechnet, der Grenzwert für das reine Wohngebiet liegt bei 35. Sigmertshausen liegt bei 33 Dezibel, hier gilt der Grenzwert 40 für ein allgemeines Wohngebiet. Auch der Weiler Viehhausen, der mit einer Entfernung von 800 Metern am nächsten zum geplanten Windrad liegt, hat mit 37 Dezibel Werte unter dem Limit von 45 für den sogenannten Dorf- und Außenbereich. Der Schatten der Rotoren wird um den Johannitag das Anwesen zwar erreichen. Per Abschaltautomatik wird aber sichergestellt, dass diese Lichtreflexe nicht länger als acht Stunden im Jahr und 30 Minuten täglich stören, erklärte Hunner.

Alle diese Informationen hatten am Nachmittag bereits die Stadträte im Werkausschuss ohne Debatte zur Kenntnis genommen. Die Zuhörer im Saal, darunter auch Richard Reischl (CSU, Hebertshausen) und Josef Baumgartner (FW, Schwabhausen) als Bürgermeister von zwei Nachbargemeinden, erhielten dann obendrauf noch Fakten zu rechtlichen Rahmenbedingungen, bevor der Regensburger Professor für Energiespeicher Michael Sterner in einem engagierten Vortrag für die "Energiewende vor Ort" plädierte.

Die Gegner aber ließen sich ihre Zweifel nicht nehmen. Das Windrad sei unwirtschaftlich und könne die Stadtwerke ruinieren, fürchtet Bernhard Metz. Genau deshalb werde alles exakt durchkalkuliert, die Daten der beiden bereits laufenden Anlagen in Pellheim lägen als Referenzgröße vor, erklärte der OB. "Und wenn es sich nicht rechnet, wird der Stadtrat nicht zustimmen." Die Windanlagen in Odelzhausen wie auch die beiden Windräder in Dachau "laufen alle über der Prognose", erklärte Roderich Zauscher, Kreisvorsitzender des Bund Naturschutz. "Warum sollte ausgerechnet Pellheim nicht wirtschaftlich sein?" Weil die vorgelegten Leistungszahlen "utopisch und weit weg von jeder Seriosität sind", entgegnete Lorenz Kranz. Der Pellheimer zieht in Zweifel, dass "eine Anlage im Landkreis 2000 Volllaststunden leistet." Mit dem Begriff der Volllaststunde wird der Nutzungsgrad eines Kraftwerks gemessen. Projektleiter Sing verwahrte sich entschieden gegen den Vorwurf. "Wir sollten bei der Physik bleiben." Tatsächlich waren laut Sing früher bis 1800 Vollaststunden die Regel, doch moderne Anlagen seien leistungsfähiger. "Ein Windrad, das heute nur 2000 Volllaststunden erreicht, wäre pleite", erklärte aus dem Publikum Experte Hinterseher, der Anlagen betreibt und zum Beispiel das Kammerberger Windrad projektiert hat. "Jeder würde sich alle zehn Finger abschlecken für so einen Standort", sagte er zum Sigmertshauser Holz.

Wirtschaftlichkeit hin oder her, die Natur und vor allem der umliegende Wald werden beeinträchtigt, beklagte Monika Kreitmair aus Viehhausen. Der Standort sei gewählt worden, "weil dort so wenige Menschen leben. Aber wir können unseren Hof nicht einfach wegsetzen." Gegen das Windrad im Dachauer Stadtteil Etzenhausen habe die Stadt prozessiert. "Bei uns ist das Windrad genauso nah." Allerdings wurde die Windkraftanlage in Etzenhausen nach einem entsprechenden Gerichtsurteil genehmigt. "Damals gab es Aufruhr, inzwischen hört man gar nichts mehr", sagte der OB, der selbst in dem Stadtteil lebt.

Das Misstrauen der Kritiker bleibt: Es gehe nicht um erneuerbare Energien, "sondern um ehrgeizige persönlich und politische Ziele", findet Metz, der "überhaupt die ganze Kohlendioxid-Angstmache für einen Schmarrn" hält. Professor Sterner warnte, angesichts der absehbar dramatischen Folgen des Klimawandels untätig zu bleiben. "Das wäre verantwortungslos." Die Gemüter ließen sich eventuell beruhigen, wenn der Oberbürgermeister "nicht aus rechtlicher, aber aus moralischer Verpflichtung", den Betroffenen entgegenkomme, schlug Martin Gasteiger, FW-Gemeinderat aus Hebertshausen vor. "Vielleicht mit einem Dorffest". Eine Idee, die auch Sterner gefällt. "Wir müssen zusammenkommen." Dazu diene die geplante Bürgerbeteiligung, erklärte OB Hartmann. Zuvor muss der Stadtrat per Grundsatzbeschluss das Projekt auf den Weg bringen. Falls kein Wespenbussard gesichtet wird.

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SZ vom 28.07.2017
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