Strafprozess am Landgericht München:Ein Opfer, das kein Opfer sein will

Am Valentinstag wird eine Dachauer Taxifahrerin brutal überfallen und ausgeraubt. Vor Gericht sieht sie dem Täter in die Augen.

Von Benjamin Emonts, München/Markt Indersdorf

Es ist ein schwerer Gang für die Dachauer Taxifahrerin. Im Sitzungssaal 262 des Landgerichts München II trifft die Frau am Montag auf den Mann, der sie im Februar 2016 brutal ausgeraubt hat. Mit zitternden Händen schildert sie, wie ein Kunde sie damals bei Markt Indersdorf mit einem Messer bedrohte und in einen Waldweg zwang. Sie berichtet, wie sie in Todesangst aus ihrem Auto ausstieg und sich weigerte, den Schlüssel herauszugeben. Wie der Täter sie daraufhin mit dem Messer mehrfach verletzte und ihren Kopf mit Fußtritten malträtierte, schließlich den Schlüssel raubte und mit dem Taxi davonfuhr. Sie wirkt tapfer und stark, als sie schildert, was schon für den Zuhörer nur schwer zu ertragen ist. Doch die seelischen Wunden, die das Gewaltverbrechen ihr zugefügt hat, sind bis heute nicht verheilt.

Der Anwalt, der sie als Nebenklägerin vertritt, setzt sich am Montag zwischen seine Mandantin und den Angeklagten, um ihr ein Gefühl der Sicherheit zu geben. Die Taxifahrerin blickt ihrem Peiniger mehrmals ins Gesicht, während der Angeklagte mit verschränkten Armen auf den Boden blickt. Vor Gericht auszusagen, mit der eigenen Angst konfrontiert zu werden, ist für die Frau nicht neu. Schon vor sieben Jahren hatte ein Kunde in der Nähe von Schönbrunn versucht, sie von hinten mit einem Kabel zu erdrosseln, weil er nicht bezahlen wollte. Sie befreite sich aus der Situation und fand langsam wieder zurück in ihr Berufsleben. Auch damals sagte sie gegen den Täter vor Gericht aus. Er wurde zu drei Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt.

Am 14. Februar 2016 wurde sie erneut Opfer eines Überfalls. Ihr Peiniger, ein inzwischen 35-jähriger Rumäne, der in Frankreich und Rumänien schon mehrfach wegen Diebstahls inhaftiert war, räumt am Montag ein, die Frau bedroht, getreten, gestochen und ausgeraubt zu haben. Es tue ihm tausendfach leid. "Es ist alles wahr, wie es in der Anklage geschrieben steht", sagt er, um doch nach einer Rechtfertigung zu suchen: "Wäre ich nicht betrunken gewesen, wäre das nicht passiert."

Tritte gegen den Kopf

Am Abend des 14. Februar war er gegen 19.20 Uhr in das Taxi gestiegen. Erst wies er die Frau in englischer Sprache an, ins Dachauer Industriegebiet zu fahren. Dort angekommen, änderte er seine Meinung und wollte plötzlich durch den halben Landkreis zu einer Pizzeria nach Markt Indersdorf. Als er dort Richtung Kloster und Krankenhaus gefahren werden wollte, wurde der Taxifahrerin die Sache allmählich unheimlich, weil sie wusste, dass sich dort keine Pizzeria befand. Wenig später bedrohte der Mann sie mit dem Messer und forderte sie auf, Richtung Gut Häusern zu fahren und in den Waldweg abzubiegen. In der folgenden Auseinandersetzung vor dem Auto fügte der Täter ihr fünf Schnittwunden an den Fingern und dem Unterarm zu. Als die Frau zu Boden ging, trat er ihr mehrfach gegen den Kopf, sodass sie am Hinterkopf eine Platz- und eine Risswunde erlitt und zwei Zähne abgeschlagen wurden. Mit dem Wagen im Wert von 25 000 Euro flüchtete der Rumäne. Vor Gericht sagt er aus, er habe mit dem Wagen zu seiner Frau nach Breisach in Baden-Württemberg fahren wollen.

Doch dazu kam es nicht. Noch auf der Fahrt über die Autobahn beschaffte sich der Angeklagte an mehreren Raststätten reichlich Alkohol mit dem Geld, das er im Taxi gefunden hatte. Vermutlich im Rausch und orientierungslos tankte er einen falschen Kraftstoff in das Auto, sodass er in der Nähe von Trier liegen blieb. Am nächsten Vormittag wurde das Auto dort von der Polizei sichergestellt samt der Tatwaffe, leerer Alkoholflaschen und Zigarettenstummeln. Der Angeklagte fuhr per Anhalter und mit dem Zug zurück zu Freunden nach München, wo er einen Tag später alkoholisiert einen Selbstmordversuch beging. Er wurde zwei Tage lang stationär in der Psychiatrie in Haar behandelt. Anschließend fuhr er zu seiner Frau nach Breisach und setzte sich zwei Tage später in seine rumänische Heimat ab.

Dort wurde er am 8. April 2016 aufgrund eines europäischen Haftbefehls festgenommen, nachdem die Polizei die DNA des erkennungsdienstlich bereits behandelten Mannes im Taxi gefunden hatte. Seit Mai 2016 sitzt er in München in Untersuchungshaft. Die Taxifahrerin zeigte sich sehr erleichtert, nachdem ihr Peiniger festgenommen worden war. Für ihre Psyche sei das enorm wichtig gewesen, sagte sie der SZ. Und doch ist die 54-Jährige weit davon entfernt, wieder normal leben zu können. Noch Monate nach dem Überfall traute sie sich nicht mehr allein aus dem Haus, an Arbeit ist bis heute gar nicht zu denken, trotz psychologischer Hilfe. Laut Anklageschrift leidet die Frau unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Das Urteil wird am Freitag, 11. August erwartet.

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