Stolpersteine in Dachau:Erinnerung aufpolieren

Stolpersteine erinnern an die Menschen, die in Dachau vor 80 Jahren dem Rassenwahn der Nazis zum Opfer fielen - jetzt auch an die Neumeyers

Von Tom Hackbarth

DachauEine kleine Menschentraube hat sich in der Hermann-Stockmann-Straße vor dem Haus mit der Nummer 10 gebildet. Die meisten Anwesenden haben den Blick nach unten gerichtet, einige stehen sogar gebückt da. Es ist das Haus von Tim und Stephen Lockes Großeltern. Auch sie haben sich am Freitag dem Stadtrundgang "Erinnerung pflegen" durch Dachau angeschlossen.

Ihre Großeltern haben sie nie kennengelernt. Lange vor der Geburt der zwei Brüder wurden Hans und Vera Neumeyer am 8. November 1938 aus diesem Haus vertrieben. Ihre Tochter Ruth, Tim und Stephens Mutter, konnten fliehen; Vera Neumeyer aber wurde im Holocaust ermordet. Stolpersteine vor ihrem letzten freiwillig gewählten Wohnort sollen nun, 80 Jahre später, an sie erinnern. Und um diese Stolpersteine ist die kleine Menschentraube auch versammelt.

Stolpersteine

Die Schüler David Paschek und Lucas Deller polieren die Gedenksteine auf dem Gehweg.

(Foto: Niels P. Joergensen)

An diesem 9. November, dem Tag des Gedenkens an die Novemberpogrome 1938, werden einige Stolpersteine im Zuge des Stadtrundgangs gereinigt. Das passiert an diesem Tag aber nicht nur in Dachau, sondern überall in Deutschland. Die kleinen Gedenktafeln befinden sich an exponierten Stellen, das goldene Messing verliert durch Straßenstaub und Witterung schnell seinen Glanz. Zwei Schüler des Josef-Effner Gymnasiums polieren deshalb das in den Boden gelassene Metall, bis es zwischen den Pflastersteinen wieder deutlich zum Vorschein kommt. Den Locke-Brüdern gefällt der wiedergewonnene Glanz: "Es haucht den Tafeln wieder Leben ein", sagt Tim zu seinem Bruder.

Stolpersteine

Am Tag des Gedenkens an die Novemberpogrome 1938, werden einige Stolpersteine im Zuge des Stadtrundgangs gereinigt.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Ihr Rundgang hat bereits etwas früher im Dachauer Forum begonnen. Dort durften sie als Nachfahren Vertriebener aus Dachau ein Gedächtnisblatt unterzeichnen. Bei dieser Aktion werden die persönlichen Geschichten der Opfer des Holocaust recherchiert und niedergeschrieben. Eine Würdigung in Form einer Unterschrift der Nachkommen hat im Falle der Familie Neumeyer bis heute gefehlt.

In einer Seitenstraße findet sich bereits der nächste Stolperstein, vor dem einstigen Haus der Familie Wallach. Insgesamt 15 davon hat der Künstler Gunter Demnig 2005 in Dachau verlegt. Sie sind in der ganzen Stadt verstreut und sollen vor allem eines: die Erinnerung bewahren. Die Schüler polieren deshalb schon weiter die nächsten Tafeln. Es ist ein Geschichtskurs aus der 11. Klasse, der an diesem Tag dabei ist. Der ganze Jahrgang beschäftigt sich derzeit mit der Reichspogromnacht. Vor allem der persönliche Bezug zu den Enkeln von Zeitzeugen macht das Thema interessant für die Klasse, so ihre Lehrerin Hedi Bäuml. Einige Schüler aus anderen Geschichtskursen haben sich dem Rundgang auch angeschlossen.

Stolpersteine

Brigitte Fiedler zeigt die Häuser vertriebener Juden in Dachau.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Bei Alice Jaffés Stolperstein endet der Rundgang. Auch diese Tafel zeigt eine kurze, aber schreckliche Geschichte, erzählt nur anhand von Daten, die ihre Zeit nach der Pogromnacht beschreiben. Und so ist es bei allen Gedenktafeln, die mittlerweile sogar europaweit zu finden sind. Auch der letzte Stein des Rundgangs sticht schließlich nach dem Saubermachen wieder gut sichtbar zwischen den Pflastersteinen heraus.

"Nicht die Erinnerung mit Füßen treten, sondern sich verbeugen", darum gebe es heute Stolpersteine, sagt Brigitte Fiedler, die den Stadtrundgang leitet. Verbeugt wird sich jedes mal, wenn von einer der Tafeln gelesen wird. So soll den Vertriebenen noch einmal Respekt gezollt werden, und so verbeugen sich die Teilnehmer des Rundgangs auch diesmal vor den Steinen. Aber nicht nur zum Lesen, sondern eben auch zum Putzen und Polieren.

Nach Abschluss der Führung gehen alle nach Hause. Vorbei gehen sie an mittlerweile goldenen Tafeln und bücken sich sogar noch einmal, um das Ergebnis zu begutachten: Die Aktion zeigt Wirkung. Allerdings nur bei fünf der 15 Tafeln in Dachau. Für die restlichen zehn Steine reichte die Zeit leider nicht mehr aus. Beim nächsten Gedenktag sollen aber auch diesen Stolpersteine wieder zu altem Glanz verholfen werden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: