Süddeutsche Zeitung

Stillstand in Dachau:Die Natur erholt sich

Weniger Autos auf den Straßen, weniger Flugzeuge in der Luft: Die Folgen der Ausgangsbeschränkungen haben einen positiven Effekt auf die Umwelt. Dachauer Umweltschützer warnen jedoch davor, jetzt nachzulassen. Außerdem fürchten sie, staatliche Gelder könnten knapp werden

Von Julia Putzger, Dachau

Das Coronavirus hält derzeit den Landkreis in Atem. Während es im Gesundheitsbereich kaum Zeit für eine Verschnaufpause gibt, ist es anderswo umso ruhiger. Wo sich sonst Autos dicht an dicht drängen - etwa am Stau-Hotspot in der Münchner Straße in Karlsfeld - fließt der Verkehr nun problemlos. Weltweit wurde gemeldet, dass der Ausstoß von Emissionen und Feinstaub sank, aus Venedig gingen Bilder von glasklarem Wasser in den sonst hochfrequentierten Kanälen um die Welt. Um im Landkreis Dachau wirkliche Veränderungen nachzuweisen, ist es noch zu früh. Allerdings beobachten Hobbyornithologen mittlerweile vermehrt seltene Vögel wie Wiedehopfe, Fischadler, Schwarzstörche, Bekassinen oder Wiesenpieper. Auch ein Storchenpaar in Eisenhofen und ein Kranichpaar bei Ampermoching wurden gesichtet. Naturschützer und Aktivisten warnen dennoch davor, dass auch nach der Corona-Krise der Umweltschutz nicht hintangestellt werden darf.

Messdaten, die beispielsweise einen geringeren Schadstoffausstoß entlang der Straßen belegen würden, gibt es für den Landkreis derzeit nicht. Auf Grund der wesentlich geringeren Verkehrsbelastung dürfte die Schadstoffbelastung der Luft momentan aber wesentlich geringer sein. Das kommt nicht nur den Bürgern, sondern auch den Tieren zugute, die in der Nähe von Straßen leben. "Insekten am Straßenrand haben höhere Überlebenschancen", weiß Peter Heller, Vorsitzender der Ortsgruppe Dachau des Bund Naturschutz. Er sieht noch einen weiteren Vorteil: Durch den geringeren Autoverkehr falle auch weniger Brems- und Reifenabrieb an - dieser sei in städtischen Gebieten die Hauptquelle der Feinstaubbelastung. Augenscheinlich weniger los ist auch in der Luft: Flugzeuge am Himmel sind eine Seltenheit geworden, dementsprechend gibt es weniger Lärm und kaum Kondensstreifen, was für die Reduzierung des Treibhauseffekts positiv ist, wie Heller betont. Allerdings fehlen den Meteorologen ohne den Flugverkehr nun auch bestimmte Daten, welche die Flugzeuge sonst beim Durchfliegen der untersten Kilometer der Atmosphäre sammeln, wie der Wetterdienst wetter.com mitteilt.

Trotz der positiven Effekte, welche die Corona-Krise kurzfristig auf das weltweite Klima hat, sind die lokalen Umweltschutz-verbände besorgt. Ein Problem sieht Esther Veges, Geschäftsführerin des Landschaftspflegeverbands Dachau (LPV), beispielsweise im großen Andrang auf Spazierwegen entlang der Amper. Bodenbrütende Vögel wie etwa der Kiebitz bräuchten jetzt unbedingt Ruhe, Spaziergänger oder gar freilaufende Hunde seien da kontraproduktiv. Allerdings ist Veges sich nicht sicher, ob tatsächlich mehr Spaziergänger unterwegs sind: "Wenn es schön ist, wollen immer alle raus. Vielleicht verteilt es sich jetzt sogar besser, weil nicht alle nur am Wochenende rausgehen."

Cyrus Mahmoudi, Vorsitzender der Kreisgruppe Dachau des Landesbunds für Vogelschutz (LBV), sieht noch ein Problem: das illegale Ablagern von Gartenabfall in der Natur. "Das kann katastrophale Folgen haben", warnt der Experte und denkt dabei zum Beispiel an Neophyten. Hinsichtlich der Gewässerqualität erklären sowohl Veges vom LPV als auch Heller vom Bund Naturschutz, dass keine Veränderung zu erwarten sei, da die größte Belastung durch die intensive landwirtschaftliche Nutzung angrenzender Flächen entstehe, die auch in Zeiten der Corona-Pandemie weitergehe.

Natürlich sind auch sämtliche Vereinsaktivitäten von Bund Naturschutz und LBV von den derzeitigen Einschränkungen betroffen. Aktivitäten wie etwa die Amphibiensammlung werden aber trotzdem durch-geführt, indem Personen aus einem gemeinsamen Haushalt jeweils eine Tour entlang des Krötenzauns übernehmen, wie Heller erklärt. Wie es um weitere Aktionen im Jahresverlauf stehe, müsse man erst einmal abwarten. Ähnlich ist die Situation beim LBV: "Eigentlich müssten wir gerade Nistkästen aufhängen und kontrollieren, aber das geht nun eben höchstens innerfamiliär", sagt der Vorsitzende Mahmoudi. Esther Veges berichtet ebenfalls von großen Verzögerungen bei verschiedenen Projekten, die in Anbetracht der Lage aber leider nicht zu vermeiden seien.

Weit mehr Kopfzerbrechen bereitet Mahmoudi indes die finanzielle Lage des Vereins. Denn normalerweise würden um diese Jahreszeit Spenden gesammelt - auch das ist nun nicht mehr möglich. Außerdem befürchtet er, dass die Regierung Fördergelder für den Naturschutz kürzen könnte, um ihre finanziellen Ressourcen für die Folgen der Corona-Krise zu nutzen. "Ich warne davor, die Schrauben in diesem Bereich zurückzudrehen - wir müssen am Ball bleiben", sagt Mahmoudi. Der LBV verantworte in Bayern zahlreiche Artenschutzmaßnahmen und kümmere sich um die Biotoppflege, die durch Fördermittel finanziert werden. "Jetzt wird klar werden, was die Umweltschutzverbände leisten, das werden andere nicht ersetzen", meint Mahmoudi.

Allerdings hofft auch der Experte vom LBV, dass die derzeitige Situation den Menschen wieder bewusst mache, "was sie an der Natur haben". Peter Heller vom Bund Naturschutz vermutet, dass viele Menschen nun über ihre Lebensumstände nachdenken und Alternativen zum Bei-spiel zu schadstoffbelastenden Freizeitmodellen suchen werden. "Vielleicht nehmen doch mehr Menschen auch die bessere Luft wahr und überlegen, wo ihr Anteil am vorherigen Zustand war".

Jonathan Westermeier von Fridays for Future Dachau und künftig Kreisrat der Linken mahnt gleichwohl zur Vorsicht: Zwar sei es schön, wenn nun kurzfristig Veränderungen sichtbar würden, Verantwortliche dürften sich darauf aber nicht ausruhen. "So funktioniert Umweltschutz nicht", sagt er. Allerdings machten die Maßnahmen, die angesichts der Ausbreitung des Coronavirus getroffen wurden, sichtbar, was alles innerhalb kürzester Zeit möglich sei, so Westermeier - wenn man nur wolle.

Jedoch habe das Krisenmanagement in Deutschland auch eindrücklich seine Schwachstellen gezeigt: "Es war lange ab-sehbar, dass die Entwicklungen in Deutschland etwa zehn Tage hinter denen in Italien sind - trotzdem wurde das Ganze lange Zeit als Panikmache abgetan." Wenn man schon Probleme habe, selbst zehn Tage im voraus zu planen, dann werde es schwierig, für Umweltthemen mit einer Spanne von zwei bis drei Jahren "richtigen Druck zum Handeln aufzubauen", kritisiert Westermeier.

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SZ vom 07.04.2020
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