Der Journalist und Autor Tim Pröse hat sich tief in die Geschichte des Widerstands gegen das Hitler-Regime eingegraben. Eine Lesung aus seinem jüngsten Buch „Wir Kinder des 20. Juli“ stand ursprünglich auf dem Programm des Kulturkreises Röhrmoos. Doch nicht zuletzt auf Wunsch des Kulturkreis-Vorsitzenden Michael Wockenfuß widmete Pröse den Samstagabend im Landgasthof Brummer in einer szenischen Lesung dem Thema „Stauffenberg, eine Spurensuche“.
Begleitet wurde er von Pianistin und Sängerin Alexandra Fischer sowie von Florian Ewald (Klarinette und Saxofon). Sie hatten Musik von Dora Pejačević, Ludwig van Beethoven, Gabriel Fauré und Johnny Greenwood für ihre Instrumente bearbeitet und setzten um, was Pröse zu Anfang sagte: „Wenn die Worte enden, fängt die Musik an.“ Das galt ganz besonders für eine Eigenkomposition Fischers, die sie Sophie Scholl gewidmet hatte.
Wer von den etwa 120 Zuhörerinnen und Zuhörern glaubte, zum gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 2044, zum Kreis der Widerständler um Claus Schenk Graf von Stauffenberg und den rund zweihundert Mitstreitern – darunter nur wenige Frauen – sei alles gesagt und geschrieben, erfuhr an diesem Abend viele Details, die so längst nicht im Bewusstsein waren oder sind.
Der Autor brennt für sein Thema
Angesichts von „rund 500 Lesungen, darunter 250 in Schulen“, die Pröse nach eigenen Worten bislang gehalten hat, hätte man einen Routinier erwarten können. Doch man trifft einen zugewandten, für sein Thema brennenden Mann, der den Widerstand gegen das Nazi-Regime auf gewisse Weise persönlich nimmt – und mit verbindlichen, aber deutlichen Worten aufzeigt, welche Lehren die Deutschen daraus gezogen haben – oder dringendst ziehen müssten.
Damit reiht er sich in die Reihe der engagierten Menschen ein, die gegen die immer unverfrorener auftretenden Ultrarechten, gegen Extremismus, gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus aufstehen. „Wir sind an einer Kippe“, sagt er und spricht von den „Leuchtturmmenschen, die uns helfen, unser Heute zu wuppen und deren Energie von damals uns heute trägt“.
Um deren Beweggründe sichtbar zu machen, begibt sich Pröse auf Spurensuche in München, der ehemaligen „Hauptstadt der Bewegung“: in die Ludwig-Maximilians-Universität, die untrennbar mit den Geschwistern Scholl, mit Alexander Schmorell, Willi Graf, Christoph Probst und Kurt Huber, den führenden Köpfe der „Weißen Rose“ verbunden ist, an den Ort, an dem einst der Bürgerbräukeller stand und in dem der lange Jahre geschmähte Georg Elser 1939 ein missglücktes Attentat auf Adolf Hitler und seine Entourage verübte. Nicht zuletzt führt der Weg auch auf den Prinzregentenplatz zur Dienstwohnung Hitlers, „glücklicherweise heute eine Polizeistation“.
Die grausamen Erfahrungen änderten seine Einstellung
Wie aber wurde der in unzähligen Büchern, Artikeln und Filmen als Ikone des militärischen Widerstands gezeichnete Claus Schenk Graf von Stauffenberg zum führenden Kopf der Pläne für den Umsturz und die Zeit danach, bekannt als Operation Walküre? Der 1907 geborene Staufenberg war ein ranghoher Militär, einer, der zunächst dem Hitler-Regime durchaus positiv gegenüberstand. Doch die grausamen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs, Terror und Massenmorde – und nicht zuletzt die akribisch vollzogenen Vernichtung von Juden und Jüdinnen – änderten seine Einstellung. Er suchte Kontakt zu den sich formierenden Widerstandsgruppen, die bereits ein weit gespanntes Netz an militärischen und zivilen Mitwirkenden und Sympathisanten aufbauten und wurde schlussendlich zum führenden Kopf der vielen zum Umsturz entschlossenen Militärs.
Pröse verzichtet klugerweise auf eine Aufzählung aller Details von Stauffenbergs Werdegang, erzählt vielmehr mit viel Empathie von dessen Familie, von seiner Ehefrau Nina und den fünf Kindern. Fast ehrfurchtsvoll berichtet er von einem Treffen mit dem inzwischen 90-jährigen Sohn Berthold Maria. Dass dessen jüngerer Bruder eine Zeitlang in Großinzemoos gelebt hat, erfährt das gebannt zuhörende Publikum fast nebenbei.
Es muss ein bewegendes Gespräch gewesen sein, vor der Büste des Vaters. Wie es der Mutter und den Kindern nach der Ermordung Stauffenbergs ergangen ist, will Pröse wissen. Die Antwort: So wie all den Ehefrauen und Kindern der Widerstandskämpfer und den Widerstandskämpferinnen selbst, sofern sie nicht von den Nazis hingerichtet wurden: Sie wurden angefeindet, viele hatten zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben. Die Kinder wurden in Heime verfrachtet, wo sie die willfährigen Anhänger des Regimes zu linientreuen Parteigängern Hitlers umerziehen sollten.
Beschimpft und drangsaliert als Verräter
Lange Jahre – auch nach Gründung der Bundesrepublik – wurden die Familien und ihre ermordeten Väter als Verräter beschimpft und drangsaliert. Nicht zuletzt, weil viel zu viele Altnazis die Gunst der Stunde genutzt hatten und auf einflussreichen Posten saßen. Pröses Stimme kippt fast, so sehr empört er sich über diese Tatsache. Und nimmt einen Nachrichtensprecher-Tonfall an, als er von den grausamen, sadistischen Details der Hinrichtung der von der Gestapo verhafteten und gefolterten Widerstandskämpfer in Plötzensee berichtet, von den Stahlträgern, die Hitler in der Todesbaracke einziehen und an denen er „Fleischerhaken“ befestigen ließ, von den Stahlseilen, mit denen die Verurteilten stranguliert wurden, von der entwürdigenden Behandlung nach dem Tod und vom Verstreuen ihrer Asche „über Kläranlagen und Mülldeponien“.
Und dann schwingt wieder großer Respekt in Stimme und Gestik mit, wenn er über die alljährliche private Gedenkstunde der Hinterbliebenen spricht, zu der er eingeladen war. Viele von ihnen haben ein Manifest zum 80. Jahrestag unterzeichnet. Darin heißt es über die Widerstandskämpfer: „Ihr Mut, selbstlos und in Einheit miteinander zu handeln, zeigt uns, wie wir heute Differenzen und neue, zunehmend unüberwindbar erscheinende Spaltungen in unserer Gesellschaft überwinden können. Sie gestanden einander die Möglichkeit zum Anders- und Umdenken zu. Wer sich auf sie berufen möchte, kann nicht bloß selbstgerecht über das Denken und Verhalten anderer urteilen; er muss stattdessen zum Dialog bereit sein und sein eigenes Denken und Verhalten beständig an den Kriterien des Anstands und des Rechts messen.“ Nachzulesen auf www.stiftung-20-juli-1944.de.