Stadtentwicklung:Späte Einsicht

Jahrelang wurde der soziale Wohnungsbau vernachlässigt, jetzt legt der Freistaat ein Förderprogramm auf. Die Bürgermeister sind interessiert, aber die meisten Kommunen haben keine eigenen Grundstücke

Von Helmut Zeller, Dachau

Der soziale Wohnungsbau ist die Herausforderung für die Kommunalpolitik: 305 Menschen warten im Landkreis auf eine bezahlbare Mietwohnung. In der Stadt Dachau sind es 408 Bürger, die auf dem freien Wohnungsmarkt keine Chance haben. Doch nicht jeder lässt sich vormerken, den tatsächlichen Bedarf schätzt das Prestel-Institut für Sozialforschung denn auch weitaus größer ein. Der Armutsbericht von 2014 rechnet mit 3718 Wohnungen für den Landkreis; gebaut wurde nicht einmal die Hälfte davon. 50 bis 60 Prozent der Normalverdiener, schätzt Leonhard Liegsalz, können bei den horrenden Mietpreisen auf dem freien Markt nicht mithalten. Der Geschäftsführer der landkreiseigenen Wohnungsbaugesellschaft hofft auf das neue Förderprogramm des Freistaats Bayern für sozialen Wohnungsbau mit einem Volumen von 150 Millionen Euro. Die Bürgermeister sind auch interessiert, doch die Nachfrage der Kommunen kommt nicht so richtig in Schwung. Das Problem: Den meisten Gemeinden fehlt es an Bauland.

Für März hat Liegsalz eine Tagung anberaumt, auf der Kommunalpolitiker und Fachleute das Förderprogramm diskutieren werden. Anfang des Jahres reagierte Bayern auf die wachsende Wohnungsnot im Land: Die Kommunen sollen flächendeckend Sozialwohnungen errichten und erhalten dabei als Zuschuss 30 Prozent der Grunderwerbskosten und 60 Prozent der Baukosten. In Summe können Gemeinden mit einem Eigenanteil von nur zehn Prozent Bauprojekte anpacken - sofern denn Bauland vorhanden ist. Darin sehen Liegsalz und die Bürgermeister der 17 Gemeinden im Landkreis denn auch die größte Hürde. Der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft gehören als Gesellschaft alle Gemeinden an - ausgenommen die Stadt Dachau, Schwabhausen, Sulzemoos, Pfaffenhofen und Hilgertshausen-Tandern.

Stadtentwicklung: Sozialer Wohnungsbau am Rennplatz in Dachau. Nach der Fertigstellung wird die Siedlung der Stadtbau GmbH aus 13 Gebäuden und 83 Wohnungen bestehen.

Sozialer Wohnungsbau am Rennplatz in Dachau. Nach der Fertigstellung wird die Siedlung der Stadtbau GmbH aus 13 Gebäuden und 83 Wohnungen bestehen.

(Foto: Toni Heigl)

Seit 28 Jahren macht Leonhard Liegsalz seinen Job: "Der Bedarf an Sozialbauwohnungen war immer hoch", sagt er. 275 Wohnobjekte hat seine Gesellschaft bisher errichtet, die Hälfte davon in Karlsfeld. Seit ein paar Jahren steige die Nachfrage deutlich an, sagt Liegsalz. Das liegt nicht etwa am Flüchtlingszuzug, sondern am Ballungsraum München, der wie ein Magnet wirkt. In die Landeshauptstadt ziehen, so Liegsalz, jährlich 25 000 Menschen; gebaut würden aber jährlich nur 2000 Wohnungen. Der große Rest wandert in die Münchner Region. Zum Beispiel in die S-Bahn-Gemeinde Petershausen: Bürgermeister Marcel Fath (Freie Wähler) spricht von einer "verschärften Wohnungsnot". Zwei Projekte des sozialen Wohnungsbaus verfolgt die Gemeinde zurzeit. Fath will auf jeden Fall Geld aus dem Fördertopf abschöpfen. Aber er sieht im weiteren Grunderwerb ein großes Problem. "Ein geeignetes Grundstück muss man erst einmal haben", sagt auch Monika Riedinger, Kämmerin der Gemeinde Bergkirchen. Für 2016 ist nichts in Planung. Nur eine Handvoll Grundstücke mit Baurecht befinden sich im Eigentum der Stadt Dachau. Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) hält den Erwerb von Grundstücken für "fast ausgeschlossen" - trotz der Förderung würde sich das bei Marktpreisen von 900 Euro und mehr pro Quadratmeter Bauland nicht rechnen. Auch für Karlsfeld ist die Grundstücksfrage entscheidend: Nur wenige Flächen, sagt der Zweite Bürgermeister Stefan Handl (CSU), seien verfügbar.

Dennoch: In Karlsfeld wird intensiv eine Lösung beraten, denn es besteht "dringender Handlungsbedarf", wie Handl erklärt. Das neue Förderprogramm könnte dabei eine Rolle spielen. Liegsalz meint, dass die Kommunalpolitik das Problem erkannt hat. "Das Bewusstsein ist da", sagt er. Doch es gibt noch eine weitere Hürde: Das neue Programm, das auf vier Jahre begrenzt ist, richtet sich ausschließlich an Kommunen. Sie müssten als Bauherr auftreten und die Darlehen aufnehmen. Das mag den einen oder anderen Gemeinderat abschrecken - trotz der hohen Zuschüsse. Oberbürgermeister Hartmann zufolge lässt sich eine weitere Verschuldung im Haushalt der Stadt nur schlecht darstellen. Dachau hat die Stadtbau GmbH, die seit ihrer Gründung 1961 insgesamt 1168 Mietwohnungen, 538 Eigentumswohnungen, 104 Eigenheime und 24 kommunale und gewerbliche Objekte realisiert hat. Das kommunale Unternehmen bekommt ebenso wie die landkreiseigene Wohnbaugesellschaft aus dem neuen Fördertopf nichts, da dies laut EU-Richtlinien zu einer Wettbewerbsverzerrung führen würde. Die Stadtverwaltung sucht nach einem Ausweg. Hendrik Röttgermann, Geschäftsführer der Stadtbau GmbH, ist eher skeptisch. Die Stadt könnte seinem Unternehmen die Baubetreuung überlassen. In diese Richtung denkt auch sein Kollege der Landkreis-Wohnbaugesellschaft. Außerdem, meint Röttgermann, müsse man im Einzelfall prüfen, wie man besser fahre. Die Stadtbau GmbH erhält Unterstützung im Rahmen der bisher schon laufenden Förderung. Die wurde jetzt aufgestockt: Nicht nur wurden die Darlehenszinsen deutlich gesenkt, erstmals gibt es auch satte Zuschüsse bis zu 300 Euro pro Quadratmeter.

Stadtentwicklung: Leonhard Liegsalz.

Leonhard Liegsalz.

(Foto: Toni Heigl)

"Wirklich interessant ist das neue Förderprogramm für Gemeinden, die über ausreichend viele Grundstücke mit Baurecht verfügen", sagt Hartmann. Zu dem erheblichen Fehlstand an bezahlbarem Wohnraum ist es aus verschiedenen Gründen gekommen. Das sind die steigenden Mietpreise im Ballungsraum München. In Dachau etwa liegt der Mitpreis pro Quadratmeter bei Neuvermietungen zwischen 14 und 15 Euro und höher. Da ist auch der Trend der vergangenen Jahre zu Baugebieten mit Ein- und Zweifamilienhäuser im ländlichen Raum. Vor allem aber hat die Misere einen Grund: Der liegt "im eklatanten Versagen der Politik über die letzten Jahrzehnte hinweg". Wolfgang Winter, Vorsitzender des Mietervereins Dachau und Umgebung sagt weiter: "Jetzt wird hektisch nach einer Lösung gesucht. Aber neue Grundstücke wachsen nicht über Nacht."

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