Sprachakrobatik in Dachau:Schöner dichten beim Dönerschichten

Gala für den Schüttelreim

Schüttelreime sind eine Wissenschaft für sich - aber eine sehr lustige. Simon Pichler führt es im Pfarrheim Heilig Kreuz anschaulich vor.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Bei der "Galanacht des Schüttelreims" in Heilig Kreuz bleibt keine Silbe auf der anderen - und beim Publikum kein Auge trocken

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Freizeit- und Hobbydichter stehen bisweilen vor schwierigen Entscheidungen. Soll das Poem nun im Stabreim oder im Paarreim oder gar im Augenreim entstehen? Die beiden Bildungseinrichtungen Dachauer Forum sowie "Kreuz und Quer" der Pfarrei Heilig Kreuz wollten Licht ins Dunkel bringen. Sie hatten am Freitagabend ins Pfarrheim zur Vorstandssitzung des "Vereins der Freunde des Schüttelreims mit Sitz in Vaduz" eingeladen, das sie als "Galanacht des Schüttelreims" angekündigt hatten. Nach einem mehr als zweistündigen, zwerchfellerschütternden Exkurs in die unendlichen Weiten dieses "Kleinods der Poesie", dem sich die österreichischen Kabarettisten Ludwig W. Müller, Christoph Krall und Simon Pichler mit Lust und Leidenschaft seit vielen Jahren widmen, stand fest: Der Schüttelreim ist das einzig wahre Medium, um die Welt in all ihren absurd-abstrusen Facetten zu beschreiben.

Die hinreißend parodierte Vorstandssitzung stimmt darauf ein, was das Publikum erwartet: Mal hintersinnige, mal derbe Sprachakrobatik mit durchaus dadaistischen Anmutungen und eine nicht zur bremsende Spielfreude. Sitzen die drei doch mit strenger Miene auf der kleinen Bühne und liefern sich ein kunstvoll verflochtenes Wortgefecht in Sachen Tagesordnung. Simon Pichler - mit Pappschild und bunten Buchstaben ausstaffiert - vermittelt die Basics der Schüttelreimerei und warnt: "Es durchzuckt mich vom Fuß bis zur Schädelbasis, wenn mein Reim a richtiger Kas ist." Ist er aber nicht, weil das Trio auf intelligente Unterhaltung setzt und gnadenlos Weltgeschichte und -literatur durchschüttelt. So erfährt der geneigte Zuhörer endlich den wahren Auslöser des biblischen Bruderstreits von Kain und Abel: "Du kriegst den Estrich, den Rest ich", soll Abel bei der Aufteilung des elterlichen Häuschens gesagt haben. Maria wiederum soll den Weisen aus dem Morgenland befohlen haben: "Das Kind schlief in der Krippe ein, werft da keine Kippen rein".

Schneller Sprung in die griechische Antike: "Ins Meer, oh schnödes Troja sink, man reich' mir einen Sojadrink" ist die Schüttelreimer-Version vom Anfang des Trojanischen Kriegs. Weil die Sprachkünstler gerade bei der Kriegsberichterstattung der anderen Art sind, decken sie geradezu investigativ auf, was zu Napoleons Untergang geführt hat. Der etwas kurz geratene Kaiser der Franzosen war demnach zwecks ungetrübter Sicht aufs Geschehen stets mit eine Haushaltsleiter unterwegs. Aber: "In der Schlacht von Waterloo vergaß ich meine Leiter, wo?" Und was hat das Trio zum aktuellen US-Präsidenten zu sagen? Die Antwort: "War sein Friseur denn vollgedröhnt, dass er ihn zum Troll geföhnt?"

Diese verbalen Kreuz- und Querschläger erweisen sich als eine Art geistiges Warm-up für eine veritable Theatersensation: Die Schüttelreim-Enthusiasten haben Sophokles' Antigone, diese klassisch-griechische Tragödie, mal eben in die Jetztzeit, in "einen gentrifizierten Athener Stadtbezirk" und natürlich in ihre Lieblings-Reimform gebeamt. In einer imaginären Lifestyle-Wohnung wartet der mit einer rot-weiß-karierten Küchenschürze dekorierte Tom (Müller) auf seinen Mann Antigonos (Krall mit Indiana-Jones-Hut). Der war erfolglos auf der Jagd und begibt sich nun auf Beutesuche in den nächstgelegenen Supermarkt, damit Tom endlich sein Dinner für zwei zubereiten kann. Antigonos trifft seinen Ex-Lover Robert (Pichler), shoppt, was das Zeug hält und stirbt an der Kasse einen grässlichen Tod, weil er nach Ansicht der hinter ihm wartenden Meute zu langsam beim Bezahlen ist. Dieses Gustostückerl hat das Zeug zu einem Klassiker des Schüttelreims und ist so umwerfend komisch, dass eine Steigerung kaum mehr möglich scheint. Doch Krall setzt mit der Vorstellung eines "interdisziplinären Projekts zur Erforschung des Schüttelreims" noch eins drauf. Ganz professoral und mit einer ausgefuchsten Power-Point-Präsentation erklärt er seine zahlenbasierte "universelle Theorie des Schüttelreims". Ohne auch nur eine Miene zu verziehen, errechnet er mit mathematischer Präzision, wie aus der "Permutation aller Anfangsbuchstaben" von "Oh Tannenbaum" exakt 10 321 920 schüttelgereimte "Verskunstwerke entstehen, auf die man mit herkömmlichen Methoden nicht kommt". Mit klugen Seitenhieben auf ungebremste Pseudowissenschaftsgläubigkeit verzücken sie die Zuschauer, das Publikum biegt sich vor Lachen - und der Schüttelreim feiert fröhliche Urständ. Die Moral von der Geschicht'? Müller, Krall und Pichler und ihr Feuerwerk hochkarätiger Unterhaltung muss man erlebt haben - und das nächste Geburtstagsgedicht wird ein Schüttelreim.

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