Süddeutsche Zeitung

Späte Ehre für Anna Pröll:Eine Widerstandskämpferin

Zwölf Jahre nach ihrem Tod und langen politischen Debatten wird die Gersthofener Mittelschule bei Augsburg nach der unvergleichlichen Anna Pröll benannt. Der Name ihrer Familie ist eng mit Dachau verwoben

Von Anna Elisa Jakob und Helmut Zeller, Augsburg/Dachau

In Gersthofen bei Augsburg ist jetzt die neue Mittelschule nach einer außergewöhnlichen Frau benannt worden: Anna Pröll, die im Mai 2006 im Alter von 89 Jahren gestorben ist, kämpfte schon als 16-jähriges Mädchen gegen die Nazis. Nach Kriegsende betreute die Augsburgerin ehemalige KZ-Häftlinge und trat als Zeitzeugin in vielen Schulen in Bayern auf. Ihre Geschichte und die ihrer Familie ist eng verwoben mit dem Konzentrationslager Dachau: Ihr Vater, Karl Nolan, wurde im KZ Dachau ermordet. Ihr Mann Josef war drei Jahre lang in dem Lager gefangen und wurde ein Jahr später nach Buchenwald deportiert. Ihr Sohn Josef Pröll, 1953 geboren, ist in der Erinnerungsarbeit engagiert: als Autor, Filmemacher, Mitglied der Lagergemeinschaft Dachau und Referent der KZ-Gedenkstätte.

Bei einem Festakt wurde am Montag der Namensgeberin der Mittelschule gedacht. Ihr Sohn Josef freute sich über die "unglaublich beeindruckende und sehr emotionale" Einweihungsfeier. Josef Pröll empfand auch ein Gefühl der Genugtuung: Denn er und die Überlebenden seiner großen Familie mussten im neuen demokratischen Deutschland rasch feststellen, dass ihr mutiger Widerstand gegen das NS-Regime keineswegs Anerkennung erfuhr. Im Gegenteil. Die Prölls waren Kommunisten - und im aufziehenden Kalten Krieg wurden sie gegängelt, benachteiligt und gemieden. Auch der Sohn Anna Prölls musste mit ansehen, wie die Täter in ihrer Mehrzahl in der BRD durchaus wohlgelitten waren und in bedeutende Positionen in der Politik, der Polizei, Justiz oder Wirtschaft gelangten. "Menschen wie meine Eltern wurden Jahrzehnte danach noch diffamiert und beleidigt, weil sie "KZler" waren, schrieb der 1953 geborene Sohn. "Sie haben nach 1945 in ihrer Heimatstadt keine Arbeit und keine Wohnung erhalten."

So war es denn auch ein langer Weg, bis beschlossen wurde, dass die Mittelschule den Namen Anna Prölls tragen sollte. Der Historiker Bernhard Lehmann und die Direktorin der Mittelschule, Sigrid Puschner, schlugen es bereits im Jahr 2013 vor. "Das trat eine große Diskussion los", berichtet Josef Pröll. Über alle Stadtratsfraktionen hinweg wurde debattiert - als Problem galt, dass Anna Pröll sich zeitlebens als Kommunistin engagierte und in jungen Jahren einen kommunistischen Jugendverband aufgebaut hatte. Eine Kommunistin als Namensgeberin einer Schule - das sei für viele in Gersthofen ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, erklärt Josef Pröll - noch heute. Anna Pröll war schon mehr als 80 Jahre alt, als sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und drei Jahre vor ihrem Tod als einzige Frau Ehrenbürgerin Augsburgs wurde.

Dass die Mittelschule nach langer Diskussion nun doch nach Anna Pröll benannt werden konnte, war das Ergebnis eines "unglaublich demokratischen Prozesses", so Josef Pröll. Die ganze Schulfamilie, also Lehrer, Eltern, Schüler und Verwaltung, setzten sich mit der Geschichte der Widerstandskämpferin auseinander. Anschließend stimmten sie einstimmig für die Namensgebung. So beschäftigte sich auch der Stadtrat erneut mit dem Namen und der Person Anna Pröll - und nach langen Diskussionen stimmten dann auch die Stadträte zu.

Es ging ein großer Zauber aus von Anna Pröll, die sich nie hat verbiegen lassen. Immer blieb sie sich treu: Als sie wegen Vorbereitung zum Hochverrat verhaftet wurde und zwei Jahre im Aichacher Frauengefängnis in Einzelhaft saß. Als sie mit Leidensgenossinnen im KZ Moringen trotzig sang "Uns geht die Sonne nicht unter". Als ihr Vater in Dachau ermordet wurde, die Brüder ihres Mannes in Dachau und Buchenwald starben und ihr Mann in Dachau, Natzweiler und Buchenwald ums Überleben kämpfte. Und auch als sich in Augsburg nach dem Krieg die Türen schlossen, als die "KZlerin" eine Wohnung suchte. Ihrer Ausstrahlung konnte sich auch ihre Freundin Barbara Distel nicht entziehen, die langjährige Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau.

Barbara Distel erinnerte in ihrer Rede an den Wandel im Umgang mit der nationalsozialistischen Geschichte, den Anna Pröll erlebt hat. Nach Jahrzehnten des Schweigens und Verdrängens hatte sich schließlich ein breites Interesse an der Geschichte der nationalsozialistischen Verbrechen und auch am Schicksal der Opfer und Gegner der Diktatur entwickelt, wie Distel sagte. Und daran hatte Anna Pröll keinen geringen Anteil.

Barbara Distel sagte: "Anna Pröll war im Alter der Schüler und Schülerinnen, die heute diese Schule besuchen, als sie im Kampf gegen die Diktatur ihr Leben eingesetzt und einen hohen Preis dafür bezahlt hat. Bis ins hohe Alter hat sie sich verpflichtet gefühlt, ihre Erfahrungen an junge Menschen weiterzugeben, um einen Rückfall in die Barbarei zu verhindern. Sie hätte sich über die Ehrung, die mit dieser Namensbenennung verbunden ist, gefreut und sicher gehofft, dass damit ihre Botschaft über ihren Tod hinaus in die Zukunft getragen wird. "

Im Fokus der Feierlichkeiten am Montag stand bei allen Rednern der Appell, demokratische Werte zu verteidigen und diese an die Schüler weiterzugeben. Josef Pröll betont: "Es ist wichtig, Demokratie in der Schule zu vergegenwärtigen und den Schülern zu zeigen, dass diese keine Selbstverständlichkeit ist." Dafür soll der Name Anna Pröll auf dem Schulgebäude von nun an stehen, als Erinnerung, Mahnung und Appell. Annas "Karriere" als Zeitzeugin begann im Jahr 1985, ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes Josef. Sie wurde zur gesuchten Gesprächspartnerin vor allem für junge Menschen, die ihre persönliche Geschichte hören wollten. "Schließlich fand gerade auch das spezifische Schicksal von Frauen als Opfer des nationalsozialistischen Terrors ein zunehmendes Interesse", erklärt Distel.

Im Februar 2002 zeigte Josef Pröll seinen bewegenden Dokumentarfilm über das Leben seiner Mutter "Anna, ich hab' Angst um Dich" und machte sie damit noch einmal weit über Augsburg hinaus bekannt. Josef Pröll, der als Filmemacher und auch als Gewerkschafter über den erstarkenden Antisemitismus aufklärt, fühlt sich dem Vermächtnis seiner Mutter verpflichtet.

Bereits mit 17 Jahren wurde Anna Pröll das erste Mal von den Nazis verhaftet und zu neun Monaten Haft verurteilt, 1935 erneut zu 21 Monaten in Einzelhaft. Der Grund war ihr Engagement für eine kommunistische Widerstandsgruppe: Sie verteilte Flugblätter und Zeitschriften, schrieb Parolen gegen den Nationalsozialismus an die Augsburger Hauswände. Ihren Widerstand führte sie selbst nach ihrer Verhaftung weiter und lehnte sich auch im KZ auf. Als 1937 Heinrich Himmler das KZ Moringen besuchte, in dem Anna Pröll gefangen war, fragte er sie, was sie zum "Dritten Reich" zu sagen hätte. Sie antwortete: "Ich habe es nur von der schlechtesten Seite kennengelernt." Ihr Mann, Josef Pröll, überlebte Dachau, Natzweiler und Buchenwald. Auch er gehörte in jedem Lager der internationalen Widerstandsbewegung an.

Die Familie Pröll: Deutsche wie sie werden gerade jetzt wieder gebraucht. Distel verwies auf den Rechtsruck im Land, mit dem Einzug der AfD in den Bundestag und inzwischen alle Länderparlamente. Die AfD will die Geschichtspolitik verändern und die Erinnerung an die nationalsozialistische Vernichtungspolitik auslöschen. Deshalb braucht die Zivilgesellschaft Vorbilder wie die Augsburgerin Anna Pröll.

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Quelle:
SZ vom 23.11.2018
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