Soziale Not:Steigende Nachfrage

Soziale Not: Die Dachauer Tafel bekommt regelmäßig Lebensmittelspenden etwa vom Bauernverband, hier bei einer Spendenübergabe 2015.

Die Dachauer Tafel bekommt regelmäßig Lebensmittelspenden etwa vom Bauernverband, hier bei einer Spendenübergabe 2015.

(Foto: Toni Heigl)

Die Dachauer Tafel versorgt 1400 Menschen mit Lebensmitteln, viele haben einen Migrationshintergrund. Ausgegrenzt werde niemand, betont das Rote Kreuz

Von Benjamin Emonts, Dachau

Eine lange Schlange bildet sich Mittwoch für Mittwoch vor der Dachauer Tafel in der Brunngartenstraße. Die Zahl der Bedürftigen im Landkreis Dachau nimmt offensichtlich immer mehr zu. Während im Jahr 2015 noch etwa 1200 Menschen die Hilfe der Tafel in Anspruch nahmen, so sind es heute nach Schätzung des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) bereits 1400. Zu den wöchentlichen Essensausgaben am Mittwoch kommen demnach zwischen 300 und 500 Hilfsbedürftige, der Großteil davon seien "Hartz IV"-Empfänger mit Migrationshintergrund. Ein Ausschluss von Ausländern, wie ihn die Essener Tafel unter bundesweiten Protesten kürzlich beschlossen hat, komme in Dachau nicht infrage, betont der BRK-Kreisvorsitzende Bernhard Seidenath. "Aus unserer Sicht ist das völlig weltfremd."

In Dachau geht man das Thema inzwischen sehr sensibel an. Im Frühjahr 2014 hatte Bernhard Seidenath in Absprache mit dem BRK-Vorstand und Mitarbeitern der Dachauer Tafel die Entscheidung gefällt, keine Berechtigungsscheine an Asylbewerber auszugeben. Die Flüchtlinge, so begründete Seidenath seine damalige Entscheidung, sollten lernen, mit ihrem Geld umzugehen und die ehrenamtlichen Helfer nicht überlastet werden.

Als diese Praxis mehr als ein Jahr später publik wurde, wurden auch seinerzeit deutschlandweit Proteste laut. Das Bayerische Rote Kreuz ruderte wenig später zurück und revidierte die Entscheidung. In einer Pressemitteilung hieß es: "Es wird niemand ausgegrenzt." Die Mitarbeiter des BRK richteten sich nach den Prinzipien "Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Neutralität und Universalität".

Daran orientiere sich die Dachauer Tafel bis heute, betont der BRK-Kreisvorsitzende Bernhard Seidenath nun. "Wir haben jetzt einen guten Weg gefunden", sagt der CSU-Landtagsabgeordnete. In der Tat ist das Arbeitspensum, das die Ehrenamtlichen der Dachauer Tafel unter Führung von Edda Drittenpreis leisten, enorm. Die Tafel wurde im Jahr 2002 ins Leben gerufen. Inzwischen engagieren sich dort etwa 60 ehrenamtliche Helfer. Allein im vergangenen Jahr haben sie 29 018 Stunden freiwillig geleistet. Die Arbeit in der Tafel selbst, also das Sammeln, Ordnen und Herausgeben der Hilfsmittel, nahm 22 340 Stunden in Anspruch. Zusätzlich entfielen im vergangenen Jahr auf die Fahrer exakt 3513 Stunden. Die drei Lieferwagen der Tafel sind die ganze Woche rund um die Uhr im Landkreis und der Umgebung unterwegs, um bei mehr als 80 Geschäften Lebensmittel für die Bedürftigen einzusammeln. Das können Lebensmittel sein, die bald ablaufen oder nicht mehr gebraucht werden, aber auch frische Backwaren, die Bäckereien extra für die Tafel herstellen. Unterstützt werden die Ehrenamtlichen auch von Schülern, insbesondere aus der Bavarian International School in Haimhausen. Im Jahr 2017 leisteten sie immerhin 552 freiwillige Stunden.

Pro Woche kommen mindestens drei neue Kunden hinzu. Der Großteil der 1400 Hilfsbedürftigen sind "Hartz IV"-Empfänger, die zu etwa 85 Prozent einen Migrationshintergrund haben. Ein immer größer werdender Anteil sind Rentnerinnen und Rentner. "Sie nutzen die Tafel erfahrungsgemäß allerdings sehr zurückhaltend", sagt BRK-Kreisgeschäftsführer Paul Polyfka. Die Dunkelziffer der hilfsbedürftigen Rentner dürfte hoch sein, da viele sich aus Scham nicht trauen, das Angebot in Anspruch zu nehmen. Außerdem versorgt die Tafel Familien mit fast 200 Kindern.

Um die Hilfe der Tafel zu bekommen, benötigen die Bedürftigen einen Berechtigungsschein. Dazu wird die Vermögenssituation der jeweiligen Person beziehungsweise Familie, also Einnahmen und Ausgaben, zunächst geprüft", erklärt Polyfka. Einen Berechtigungsschein bekommen am Ende nur diejenigen, deren zur Verfügung stehendes Einkommen dem "Hartz IV"-Satz entspricht oder darunter liegt. Asylbewerber, die in Sammelunterkünften leben und dort verpflegt werden, erhalten keine Berechtigung.

Die Essenausgabe verläuft nach einem ausgeklügelten System, das Streitigkeiten im Keim ersticken soll. Die Tafelkunden sind gleichmäßig in sechs Kategorien eingeteilt, die mit farbigen Punkten gekennzeichnet sind. Je nach farbigem Punkt dürfen die Tafelnutzer zu unterschiedlichen Uhrzeiten jeweils eine Stunde lang einkaufen. Diese Uhrzeiten rollieren monatlich, sodass eine gerechte Verteilung der Einkaufszeiten gewährleistet ist.

Für die ehrenamtlichen Helfer ist die Arbeit ein "Knochenjob", sagt Polyfka. "Wir stehen zwar nicht vor dem Kollaps, aber die Belastung ist sehr hoch." Das BRK sucht kräftig nach Nachwuchs, zumal die meisten Helfer bereits im Rentenalter sind. Die Lebensmittel reichen laut Polyfka aus, um die große Zahl der Bedürftigen zu verpflegen.

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