Sonderausstellung:Bäuerliches Karlsfeld

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Das Heimatmuseum zeigt, wie sich das Leben in der Gemeinde gewandelt hat

Von Christiane Bracht, Karlsfeld

Die Ausstellung "Handel und Handwerk im Wandel der Zeit" zieht viele ältere Karlsfelder an. Im Heimatmuseum stehen die Alteingesessenen dann vor Schwarz-Weiß-Fotos und erinnern sich an die Drogerie in der Seestraße. (Foto: Toni Heigl)

Es ist wie eine Zeitreise in die Vergangenheit: Alte Schusterleisten, eine Registrierkasse von ungefähr 1900 mit Lebensmittelmarken und Berechtigungsscheinen, Milchkannen, emaillierten Werbetafeln und Waagen mit Gewichten, aber auch eine Haartrockenhaube aus den Fünfzigerjahren kann man derzeit im Karlsfelder Heimatmuseum bewundern. "Handel und Handwerk im Wandel der Zeit" heißt die Sonderausstellung, die vor Kurzem eröffnet worden ist. Sie lockte schon am ersten Tag viele ältere Karlsfelder an. Man erinnerte sich, wie der Ort nach dem Krieg aussah, stand vor alten Schwarz-Weiß-Fotos und hatte gleich beim Betreten des Raums den leichten Geruch von Leder in der Nase - ganz so wie es früher beim Schuster Hans Huf einmal gewesen war.

Der Schuster

Huf war eine Institution im Ort. Wer kaputte Taschen oder Gürtel beziehungsweise Löcher in den Schuhen hatte, ging zu ihm. Auch viele Generationen von Kindern kamen mit ihren abgerissenen Schulranzen, in der Hoffnung, dass er sie wieder richten könnte. Huf flickte alles und verlangte für Kleinigkeiten oft nichts. Daran erinnern sich viele. "Die Kinder sagten manchmal: Das geht doch nicht, sonst verhungerst du", erzählt Ilsa Oberbauer, die Kuratorin des Museums lachend. Sie hat schon viele Geschichten gehört über das alte Karlsfeld und sie saugt sie auf wie ein Schwamm. Denn Geschichten sind wichtig, um die Dinge lebendig zu machen. Die Kinder, die zu ihr ins Museum kommen, hören sie gern - aber natürlich auch die Erwachsenen. Und die Fünfzigerjahre haben viele noch erlebt und wissen einiges zu berichten. Die alte Nähmaschine von Huf im Museum zu sehen mit der uralten Kasse und einigen anderen Schusterutensilien, stimmte natürlich auch manch einen etwas melancholisch. Denn der Schuster lebt nicht mehr und das alte Karlsfeld gibt es auch nicht mehr.

Das alte Karlsfeld

Etwa 1500 Einwohner lebten damals in der Gemeinde, viele Flüchtlinge aus dem Sudetenland und Schlesien, aber auch Leute aus der Batschka, dem Banat und Siebenbürgen hatten den Weg nach Karlsfeld gefunden, um sich hier eine neue Bleibe aufzubauen. Die zentrale Straße war schon damals die Münchner Straße, aber sie sah ganz anders aus: Statt Media-Markt und Vitalcenter standen rechts und links kleine Häuschen und Höfe einfach nur durchnummeriert.

Der Friseur

"Im Haus Nummer sechs war der Schaufensterfriseur", erzählt Oberbauer und steuert auf die orange Trockenhaube aus den Fünfzigerjahren zu. Auf dem Tisch davor sind Perücken hindrapiert. Schere und Kamm fehlen natürlich auch nicht. "Das war dort, wo heute das Bürgerhaus ist." Ein Schwarz-Weiß-Foto zeugt von dieser Zeit. "Im Krieg hat einer einen Friseur getroffen, der ihm etwas niedergeschlagen erzählte, dass er zwar schneiden kann, aber kein Geschäft hat. Da sagte der Karlsfelder: Wir haben ein Ladengeschäft. Und so kam der erste Herrenfriseur in die Gemeinde", berichtet Oberbauer. Sie zeigt auf das Bild. "Man sah ihn hinter dem großen Schaufenster immer arbeiten, deshalb nannten ihn die Leute: Schaufensterfriseur." Der Loibl Anton war der erste. Es folgten eine ganze Reihe, später übernahmen andere das Geschäft. Der Name Schaufensterfriseur blieb jedoch - egal wer hinter der Scheibe werkelte.

Der Kramer

Einige Utensilien standen im damaligen Kramerladen. (Foto: Toni Heigl)

In der Nummer 16 war der erste Kramerladen, gleich neben dem Alten Wirt. Es war lange Zeit das einzige Geschäft in Karlsfeld. Dort konnte man Futtermittel kaufen, Brennholz, auch Petroleumlampen, denn auch nach dem Krieg hatten noch nicht alle elektrisches Licht. Milch wurde in Kannen geschöpft, wenn man welche haben wollte. "Die meisten waren früher eigentlich Selbstversorger", erzählt Oberbauer. Denn anfangs wohnten nur Bauern in Karlsfeld. Nach und nach änderte sich das. Blickfang des angedeuteten Kramerladens im Museum ist jedoch die reich verzierte Registrierkasse. Diese stand zwar nicht im Karlsfelder Kramerladen, aber die Kinder lockt sie natürlich, denn in ihr liegt altes Geld: Pfennige, D-Mark und sogar Reichsmark. Auch einige Lebensmittelmarken und Berechtigungsscheine aus der Zeit, als Nahrungsmittel noch knapp waren und zugeteilt wurden, hat Oberbauer auftreiben können. "Wissen Sie eigentlich, warum die Kasse klingelt, wenn sie geöffnet wird?", fragt sie. "Auf diese Weise konnten die Ladeninhaber hören, ob jemand in die Kasse griff." Ein Schutz sozusagen, um Angestellte und Kunden im entscheidenden Augenblick beobachten zu können. Bei ihren Recherchen hat Oberbauer auch eine kleine Zeitungsannonce gefunden: "In der Gemeinschaftssiedlung in Karlsfeld hat in der Blumenstraße eine Kolonialwarenhandlung als erstes Geschäft die Pforten geöffnet. Maria Piesserek aus Pfaffenhofen an der Ilm ist die Inhaberin, die sich damit eine Existenz geschaffen hat." Doch als die Supermärkte sich in Karlsfeld ansiedelten und immer mehr Leute dort einkauften, gingen die kleinen Kramer und Kolonialwarenläden ein.

Das erste Gewerbegebiet

Erinnert wird in der Ausstellung auch an das erste Gewerbegebiet in der Rothschwaige. Dort war Sport Berger. In München hatte das Geschäft nicht genug Platz für die Wohnwagen, die verkauft wurden. Außerdem legte der Inhaber einen kleinen See an, damit dort Kanu gefahren werden konnte. Doch die Familie Berger verkaufte schließlich den Laden, kurz darauf zog er nach Bergkirchen. Der See ist heute ein Teich, auf dem verwunschene Seerosen blühen und Frösche quaken. Nur das alte Wohnhaus der Familie steht noch und erinnert diejenigen, die die Vergangenheit kennen, an das Sporthaus. Auch von der Firma Wunder, die einst Gepäckträger, Autoträger und Skibindungen herstellte, ist nichts mehr übrig. Nur das Autohaus Heber gibt's noch.

Die Sonderausstellung

Die Sonderausstellung zeigt auch eine ziemlich große Schreinerwerkstatt, den Hocker eines Sattlers, Utensilien eines Dekorationsgeschäfts, sowie Metzgerwerkzeug, wie Beil und Wurstspritzen aus der Batschka. "Zum Teil sind diese bis vor zehn Jahren noch benutzt worden - natürlich privat", erklärt Oberbauer. "Da haben die Leute ihr Heimweh verarbeitet, denn in der Batschka haben sie immer ihren eigenen Wein und ihre eigene Wurst gemacht." Viele der ausgestellten Gegenstände haben die Kinder nach dem Tod von ortsbekannten Handwerkern und Händlern ins Museum gebracht. "Die jungen Leute wissen nichts mehr damit anzufangen", erklärt Oberbauer. Und die Sachen einfach wegzuwerfen, tut ihnen zu weh. "Erst gestern ist jemand gekommen und hat mir eine 150 Jahre alte Säge gebracht", sagt sie und zeigt auf das Gerät an der Wand.

In der Dauerausstellung finden viele Dinge keinen Platz, deshalb veranstalte das Museum immer wieder Sonderausstellungen. "Die Leute wollen auch sehen, was sie gebracht haben", erklärt Oberbauer. Bis Mitte April wird Handel und Handwerk der Fünfzigerjahre im Heimatmuseum gezeigt. Geöffnet ist jeweils am ersten und dritten Sonntag im Monat, immer von 14 bis 17 Uhr. Aber die Kuratorin erwartet auch außerhalb dieser Zeiten Schulklassen. "Es ist ein Anliegen vom Schulamt, dass mehr von den Museumsinhalten in den Unterricht getragen wird", weiß sie. Deshalb soll es in diesem Jahr sogar eine Fortbildung im Heimatmuseum geben. Im vergangenen Jahr haben sich mehr als 200 Kinder die alten Sachen angeschaut, vor allem Grundschüler, aber auch die fünften und sechsten Klassen, sowie die Kinder und Jugendlichen von den Übergangsklassen, die auf diese Weise einiges über ihre neue Heimat lernen sollen.

© SZ vom 03.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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