Englische Wochen haben die Dachauer Chöre hinter sich. Bei den Fußballern sind sie mit jeweils zwei Pflichtspielen gefüllt, in diesem Fall waren es Wochen und Monate, in welchen nur englisch gesungen wurde und in einer Vorlaufzeit von zwei Jahren ein außerordentlich anspruchsvolles Konzert mit Werken für Chor und Orchester von Edward Elgar vorbereitet wurde. Alle drei bekannten Dachauer Chöre - die Chorgemeinschaft, die Liedertafel, der Volkschor - und auch der Kirchenchor von Heilig Kreuz beteiligten sich an diesem musikalischen Großunternehmen.
Was das bedeutet, kann nur jemand ermessen, der die Mentalität von Chören und die Arbeit in und mit ihnen kennt: Es war eine gigantische Leistung an Überzeugungskraft und Organisation im Vorfeld nötig, dann schier ein Wunder bei der Bewältigung der musikalischen Schwierigkeiten, die solch anspruchsvolle Werke stellen. Aber fast noch mehr forderten die organisatorischen und technischen Probleme eines Konzerts mit Chören und großem Orchester unter freiem Himmel heraus, von der Bestuhlung und dem Aufbau des Podiums bis zur Beleuchtung und der letztlich immer problematischen akustischen Anlage mit Mikrofonen, Verstärkern und Lautsprechern stellten. Das alles schafften die Initiatoren und ihre Helfer unter der Leitung des Dachauer Kulturamts.
Ein Orchester war auch nötig. Als ideale Ergänzung der Dachauer Chöre sollte die Sinfonietta Dachau, das Symphonieorchester der Stadt schlechthin, gewonnen werden. Doch die Verhandlungen scheiterten, weil Victor Bolarinwa der alleinige Dirigent sein wollte und sich die Aufgabe nicht mit Peter Frank von der Liedertafel teilen wollte. Also sprangen Bernhard Koch, der die Karlsfelder Sinfoniker dirigiert, mit seinen Jungen Münchner Symphonikern ein. Und dieser hoch qualifizierte Ersatz bewährte sich glänzend.
Ist es schon ein kleines Wunder, dass so etwas überhaupt zustande kommt, so war es das bei dem exquisiten Programm dieser "Sommernacht der Dachauer Chöre" noch mehr. Es gab absolut nichts Gängiges, keinen Händel, Haydn, Mozart, Mendelssohn oder Brahms, dafür Musik des hier kaum bekannten Edward Elgar, aus dessen umfangreichem Schaffen man nicht mehr als den ersten Marsch aus "Pomp and Circumstance" mit der berühmtesten Melodie: "O Land of Hope and Glory" kennt. Dieses Stück war denn auch die von Bernhard Koch temperamentvoll dirigierte und von Chor und Orchester mit Hingabe gesungene und gespielte, schließlich bejubelte Zugabe dieses Abends. Man hätte meinen können (und es hätte ja auch gepasst), dass Elgar mit dem "Land of Hope und Glory" das bayerische Oberland im Sinn gehabt haben müsste; denn unmittelbar vorher hatte Bernhard Koch mit den vereinigten Chören und seinem Orchester Elgars "Scenes from the Bavarian Highlands" aufgeführt, für die sich Elgar von einem Urlaub in Garmisch hatte inspirieren lassen. Die köstlichen Szenen sind genau lokalisiert, der Tanz in Sonnbichl, eine "falsche Liebe" im Wamberg, ein Lullaby in Hammersbach, ein religiöses "Sehnen" bei Sankt Anton über Partenkirchen, eine Szene mit der Sennerin auf der Hochalm und ein Schützentreffen bei Murnau. Das Herz wird einem Oberbayern, aber auch wohl allen anderen Bergbegeisterten weit auf gegangen sein, bei diesen anheimelnden Stimmungsbildern, welche die Chöre und das Orchester unter Bernhard Koch mit Hingabe sangen und musizierten. Das war wirklich "high".
Im ersten Teil dirigierte Peter Frank "The Black Knight", Elgars 1893 nach einer Schauerballade von Ludwig Uhland geschriebenes erstes bedeutendes Werk für Chor und Orchester. Ein schwarzer Ritter erscheint plötzlich bei einem Pfingstturnier, ist der Stärkste, nimmt dann auch am Tanz und am Mahl teil und macht dem Sohn und der Tochter des Königs mit Gift im Wein den Garaus. Auf die Bitte des Königs, ihn selbst doch auch zu töten, antwortet der Schwarze Ritter: "Greis! Im Frühling breche ich Rosen." Uhlands Schauerballade ließ sich Elgar ins Englische übersetzen und vertonte sie als riesig angelegtes Chorwerk mit sehr groß besetztem Orchester.
Musikalisch ist alles drin, was die Romantik in ihrer Höchstform (in England) bieten konnte, deutsche Musik dieser Art gibt es ebenfalls in Hülle und Fülle. Peter Frank waltete über Chor und Orchester mit ruhiger Hand und ließ die Gräuel, auch die in der literarischen Vorlage (nicht bei Elgar) "schauerlichen Weisen" des Tanzes mit dem schwarzen Ritter in schönen spätromantischen Harmonien und Orchesterfarben aufleuchten. So durch und durch englisch waren die seit zwei Jahren anhaltenden englischen Wochen der Chöre gar nicht. "Der Schwarze Ritter" ist eine deutsche Erfindung, aber kein deutscher Komponist kam auf die Idee, Uhlands Schauerschinken zu vertonen. Elgars "Bavarian Highlands" sind sogar bairisch.
Als Orchesterzwischenspiel entzückten die hinreißend spritzigen Variationen über das Lied "So lang der alte Peter" von Ulrich Sommerlatte. Da erklingen Barockmusik, Mozart, Wagner ("Tannhäuser"), Strauss ("Rosenkavalier"), Orff ("Carmina burana") und eine Karikatur der "Musica viva" der 50er Jahre, wobei jeweils, also meist in skurril unpassender Umgebung, "Der alte Peter" auftaucht. Das war das größte Vergnügen bei dieser nur klimatisch, aber keineswegs musikalisch lauen Sommernacht.