Skurrile Geschichte:Mordermittlungen im braunen Sumpf

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Udo Wachtveitl führt sein Publikum in Haimhausen zurück in die Zeit der Novemberrevolution - mit erschreckenden Parallelen zur Gegenwart

Von Dorothea Friedrich, Haimhausen

Unfassbar, dass diese schräge Truppe schon seit 20 Jahren mit "Mörderisches Bayern" unterwegs ist. Schließlich sind das Ende des Ersten Weltkriegs, die Münchner Novemberrevolution von 1918 und die Ermordung des ersten bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner am 21. Februar 1919 gerade medial ebenso omnipräsent wie der Dürresommer 2018 mit seiner lähmenden Hitze und seinen vertrockneten Feldern. Aber Udo Wachtveitl, nur zu oft auf seine Rolle als Tatortkommissar reduziert, sein Schauspielerkollege Hans Kriss, der umwerfende Posaunist Sebastiano Tramontana, der Akkordeonist und Komponist Andreas Koll, der Schlagzeuger Erwin Rehling und der Münchner Autor Robert Hültner lassen tatsächlich bereits seit 1998 ihren Inspektor Paul Katejan in der Münchner "Scheißbachklamm", der Unteren Au, und in ganz Oberbayern in den bewegten Revolutionszeiten auf Spurensuche gehen.

Sie lassen Katejan vergeblich nach den Mördern Eisners suchen, in den beängstigenden Strudel rechtsradikaler Freikorps-Hetzer geraten, lassen ihn von ehemaligen Polizeikollegen brutal zusammenschlagen und ihn geradezu innig nach Liebe und Zuneigung in einer eiskalt gewordenen Welt suchen. Zu erleben war dieses bescheiden "Kriminalhörspiel" genannte Ereignis am Freitagabend im Auditorium der Bavarian International School (BIS) Haimhausen. Und erwies sich als ein Höhepunkt im Jahresprogramm des rührigen Haimhausener Kulturkreises.

Die Musiker Andreas Koll (Akkordeon), Sebastiano Tramontana (Posaune) und Erwin Rehling (Schlagzeug). (Foto: Niels P. Jørgensen)

"Mörderisches Bayern" ist eine Collage aus Hültners drei Romanen "Walching", "Inspektor Katejan und die Sache Koslowski" sowie "Die Godin". Aber eigentlich ist es ein eigenständiges Hör- und Sehstück, das nur so und in dieser Verbindung von Wort und Musik leben kann. Wachtveitl redet, keift, gurrt, schreit in allen Stimmlagen, ist Kriminaler und altes Mütterchen, gutmütig-strenger Wachtmeister oder bösartig-arroganter Wegbereiter rechter Gewalt und realistisch-träumerische Prostituierte in Personalunion. Kriss ist mit Nachrichtensprecherstimme eine Art Analytiker, entwirrt und verknüpft je nach Bedarf die diversen Erzählstränge.

Tramontana lässt seine Posaune wie ein lästiges Insekt surren oder Fanfaren des Jüngsten Gerichts schmettern. Akkordeonist Koll entfacht den Orkan nach langer Sommerdürre oder spielt zum Totentanz der Freiheit auf. Schlagwerker Rehling entführt mit Kuhglocken in die vordergründige oberbayerische Idylle oder entfacht bedrohliches Säbelrasseln. Diese Männergruppe ist ein gut aufeinander eingespieltes Team, das sich Raum und Zeit für lustvolle Spontaneität lässt, kleine Boshaftigkeiten in dem nur temperaturmäßig unterkühlten BIS-Auditorium inklusive. Alles beginnt mit dem Mord an einem jungen Journalisten in einer heruntergekommenen Behausung in den damaligen Münchner Slums in der Au: "Meiningers Augen waren weit geöffnet. Seine Züge waren nichts als geronnene, unendliche Verzweiflung. Seine Rechte hatte sich tief in das Erdreich gekrallt, und ein winziger Käfer kroch über sein wächsernes Gesicht".

Als brillantes Hör- und Sehstück erweist sich die Lesung von Robert Hültners Krimi mit Udo Wachtveitl. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Katejan, ein aufrechter Kriminaler, verdächtigt bald den Klepsch Schani, einen verkappten Freikorps-Aktivisten. Der steht in Verbindung mit dem nicht ganz sauberen Baron von Bollendorf, einem Hetzer und Agitator der rechten Szene. Doch "die Aufklärung von Verbrechen im rechten Umfeld wird eher lax betrieben". Katejan wird entlassen und gerät in eine soziale Abwärtsspirale, bleibt aber hartnäckig über viele Jahre an seinen Fällen dran.

Die Liebe zum Detail, die hohe Kunst, Stimmungen einzufangen, die Charakterisierung unterschiedlichster sympathischer, skurriler oder bizarrer Typen und eine gute Portion Situationskomik machen "Mörderisches Bayern" zu einem Faszinosum. Wer fühlt sich nicht an erschreckendes Pegida-und-Co-Geschrei erinnert, wenn besagter Bollendorf mit sich überschlagender Stimme und falschen Versprechungen gegen die Novemberrevolutionäre agitiert? Wer schleicht nicht völlig ermattet noch einmal durch die Sommerhitze und schaut sehnsuchtsvoll nach sich endlich auftürmenden Wolkengebirgen? Wer entwickelt keine romantischen Gefühle bei der unbeholfen-zärtlichen Begegnung des abgehalfterten Kajetan mit Mia? Die Musiker und Schauspieler lassen ihre begeistertes Publikum tief eintauchen in eine ferne und doch so nahe Welt und machen das einfach mörderisch gut.

© SZ vom 13.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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